Kein Aus für die Onkomaus
Das Harvard-Patent auf die "Krebsmaus" bleibt mit Einschränkungen bestehen
Als 1992 das Europäische Patentamt (EPA) in München die "Krebsmaus" patentierte, schlugen die Wellen der Empörung besonders hoch. Den Kritikern der "Life Industry" erschien das Patent EP 169672 als ungeheuerlich, weil das Leben zum technischen Produkt entwürdigt würde. Bis heute ist das Patent der US-amerikanischen Harvard Universität in Cambridge für das transgene Säugetier heiß umkämpft. Gegen dieses Patent legten mehr als 100 Organisationen ( Bundesverband der Tierversuchsgegner, Menschen für Tierrechte), Einzelpersonen sowie das Land Hessen insgesamt 17 Sammeleinsprüche vor dem EPA ein, über die bis heute nicht endgültig entschieden ist. Nach einer wechselvollen Verfahrensgeschichte wurde das Patent, das in der Zwischenzeit wirksam blieb, nun von der Einspruchsabteilung des EPA neu verhandelt.
1995 endete die erste Einspruchsverhandlung gegen das Patent ergebnislos, weil die Einspruchsführer gegen die Änderungsvorschläge der Kammer zu dem Patent protestierten. Dies war von den Gegnern als nicht rechtmäßig angezweifelt worden. Die Kammer hatte daraufhin die mündliche Verhandlung beendet und das Verfahren schriftlich fortgesetzt. Durch eine Umbesetzung in der Einspruchsabteilung und EU-Novellierungen musste das Einspruchsverfahren nun komplett neu verhandelt werden.
Die Krebsmaus ist ein Krankheitsmodelltier. In die DNA des Tiers wird während des embryonalen Stadiums ein menschliches Onkogen eingebaut, ein Gen also, das mit hoher Wahrscheinlichkeit garantiert, dass die Tiere in frühem Alter an Krebs erkranken. An den manipulierten Tieren sollen Therapien für Krebspatienten erprobt werden. Neben der Krebsmaus gibt es inzwischen auch Mäuse, die genetisch so manipuliert sind, dass sie an Alzheimer oder AIDS leiden. Kritiker der Krebsmaus weisen darauf hin, dass sie in der Krebsforschung bisher überhaupt nicht eingesetzt worden sei. Unter Tierschutzgesichtspunkten ist auch problematisch, dass Organismen geschaffen werden, die a priori zum Leiden erschaffen werden. Ein zentrales Kriterium für die höchst bedingte Eignung des transgenen Organismus zur Krankheitsbekämpfung sei vor allem, dass Krebs multifaktoriell verursacht wird. Neben der genetischen Disposition wären insbesondere auch psychische Ursachen, Ernährung oder Lebensweise von Menschen als relevante Faktoren zu berücksichtigen, die an der Krebsmaus nicht studiert werden könnten.
Der Kampf um die Biopatente ist seit Anfang der 80er Jahre zu beobachten. Als 1980 in den USA das erste Patent auf eine Bakterie erteilt wurde, wurde der Konflikt mit einem Patentrecht, das auf technische Erfindungen ausgerichtet ist, unter Hinweis auf die Eigenart des Bakteriums gelöst. Diese Organismen seien unbelebten chemischen Verbindungen weit ähnlicher als Tieren. Die Kritiker dagegen witterten hier nicht nur den juristischen Trick, Lebewesen auf anorganische Materie zu reduzieren, sondern befürchteten vor allem den Anfang vom Ende: finalen die Biopatentierung des Menschen.
In den USA wurde die Krebsmaus bereits 1988 als erstes Säugetier patentiert. Die dem EPA vorliegende Patentierung erfasst indes nicht nur eine spezifische Maus und ihre Nachkommen, da nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), dem unter anderem die Mitgliedsstaaten der EU angehören, Tierarten nicht patentierbar sind (Art. 53b EPÜ). Prinzipiell erstreckte sich das Patent bislang auf sämtliche Säugetiere - wie etwa Krebshunde oder Krebsaffen - die eine karzinogene Schwachstelle haben. Das ging dem EPA nach der jetzigen Revision der Problematik doch zu weit, sodass das Patent sich nun allein auf Nagetiere erstrecken soll.
Greenpeace erkennt in dieser Eingrenzung des Biopatents nur eine Schönheitsoperation. "Nie zuvor wurde das Patentrecht so schamlos missbraucht und verbogen", meinte Christoph Then, Patentexperte der Gruppe. Nach den Umweltschützern sind vom EPA mittlerweile mehr als zwanzig weitere Patente auf Tiere erteilt worden. Inzwischen würden sich solche Anträge häufen, die seit 1998 vom EPA nach der umstrittenen Biopatent-Richtlinie der EU entschieden werden (Neue Vorwürfe von Greenpeace an das Europäische Patentamt).
Die Kritiker zielen auf eine fundamentale Klärung. Es handele sich nicht um Erfindungen, sondern um den Zugriff der Gen-Industrie auf die organische Natur. Prinzipiell werde alles, was gentechnologisch manipuliert werden kann, unter Profitgesichtspunkten monopolisiert. Das Leben sei keine Erfindung der Gen-Industrie und daher auch nicht patentierbar. Die Kritiker sehen in den Biopatenten die massive Verletzung ethischer Schranken, aber auch das Ende der Artenvielfalt. Das Leben werde auf ein Industrieprodukt wie etwa einen Automotor oder eine Glühbirne reduziert. Auch der Europarat beschloss in seiner Empfehlung "Biotechnologie und geistiges Eigentum" (Recommendation 1425 (1999)): "Die Versammlung vertritt die Ansicht, dass Pflanzen, Tiere, menschliche Gene, Zellen, Gewebe und Organe weder als Erfindungen betrachtet, noch Monopolen unterworfen werden können, die durch Patente gewährt werden."
Die Gentechnologie begreift sich dagegen als die moderne Schlüsseltechnologie schlechthin, die gleichermaßen Wissenschaft und Wirtschaft befruchtet, um das Mängelwesen Mensch gegen eine feindliche Natur aufzurüsten. Krankheitserkennung, Therapie und verbesserte Resistenz der Natur gegen Schädlinge, Hungerbekämpfung und schonender Umgang mit der Umwelt werden als Argumente für unzählige Anwendungsfelder genannt. So verweisen die Verteidiger der Gentechnik darauf, dass durch die Übertragung von genmanipulierten Organen in Zukunft ein geringeres Abstoßungsrisiko für den Menschen bestehe. Man hofft, dass diese Art der Xenotransplantation bei Organmangel zur Routine werden könnte. Sowohl bei Chorea Huntigton- als auch bei der Parkinson-Krankheit wurde in den USA bereits Gehirngewebe ungeborener Schweine transplantiert. Die Lebensindustrie wehrt sich daher gegen die Betrachtung durch die "Patent-Brille", auf die sie indes aber auch nicht verzichten will, wenn sich die hohen Investitionen lohnen sollen.
Die Diskussion um Menschen, Mäuse und Schweine begleitet das Schreckgespenst des genpatentierten Menschen, die Furcht vor der gentechnogischen Herrschaft über die menschliche Existenz. Aber es ist unwahrscheinlich, dass Menschen nicht alle Mittel ergreifen werden, um ihre gebrechliche Existenz zu verbessern, mithin der Schöpfung auf die Sprünge zu helfen (Vgl. dazu In den Fallstricken der Bioethik). Ob sie diesen Weg allerdings mit der "Onkomaus" gemeinsam beschreiten werden, bleibt weiterhin offen. Die Biopatentkritiker haben bereits angekündigt, Beschwerde gegen die Kompromissentscheidung des EPA einzulegen.