Neue Vorwürfe von Greenpeace an das Europäische Patentamt

Die Organisation hat neue Patentanträge, die kurz vor der Bewilligung stehen und "Rechtsbrüche" darstellen, einsehen können

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Anscheinend hat Greenpeace im Kampf gegen "Patente auf Leben" wieder einmal zugeschlagen. Das Europäische Patentamt wird die medienbewusste Umweltschutzorganisation nicht mehr los, die sich zur Aufgabe gemacht, die Praktiken des Amtes transparent zu machen. Jetzt hat Greenpeace sich offensichtlich die Akten von 12 Patentanträgen vorlegen lassen, die belegen sollen, dass das Patentamt angeblich weiterhin unbedenklich und gegen die eigenen Regeln verstoßend Patente auf Pflanzen, Tiere und Mensch-Tier-Chimären oder transgene Tiere gewährt.

Wenn es denn stimmt, was Greenpeace über das im Oktober veröffentlichte Patent der Firma Stem Cell Sciences sagt, bei dem menschliche Zellkerne in Eizellen von Schweinen verpflanzt werden, um daraus Gewebe oder Organe zu entwickeln, die nicht vom menschlichen Immunsystem abgestoßen werden, (Greenpeace entdeckt wieder einen Patentantrag, der auch menschliche Embryonen umfasst), dann wäre dies tatsächlich ein Beleg für die Forderung nach einer strengeren Kontrolle des Amtes, das eine der wichtigsten Ressourcen der Wissensgesellschaft verwaltet und hütet: das geistige Eigentum. Das Patent erstreckte sich allgemein auf "transgene tierische Embryos" und schloss auch menschliche ein (Bundesregierung will Patent auf Chimären prüfen). Nach Bekanntwerden des Patents hatte Rainer Osterwalder, Sprecher des Europäischen Patentamtes, gesagt, dass auf "Mensch-Schwein-Mischwesen" keine Patente gewährt würden: "Wir haben festgehalten, dass Patent-Ansprüche, die sich mit Verfahren zur Herstellung menschlicher Embryonen befassen, aus ethischen Gründen nicht gewährbar sind." Allerdings sei in den Akten kein Hinweis mit einer entsprechenden Stellungnahme des EPA darauf zu entdecken gewesen. Stattdessen wird das Unternehmen in mehreren Schreiben, das letzte vom September 2000, aufgefordert, die Zulassungsgebühren zu bezahlen. Nur aus diesem Grund gelte das Patent als zurückgenommen.

Für Aufsehen hatte Greenpeace schon zu Beginn dieses Jahres gesorgt, als man ein bereits vom Europäischen Patentamt bewilligtes Patent entdeckte, bei dem es um ein vom Roslin-Institut entwickeltes Verfahren geht, mit dem transgene Stammzellen, also embryonale Zellen mit neuen Genen, isoliert, selektiert und vermehrt werden können, um daraus Zellkulturen oder im Prinzip auch Embryos mit gewünschten Eigenschaften zu züchten. Da dieses Patent ebenso von tierischen Stammzellen sprach, waren auch hier menschliche Stammzellen und die sich aus dem Klonen ergebenden Embryos eingeschlossen. Das Patentamt hatte nach dem Bekanntwerden eingeräumt, dass es sich um einen schweren, aber versehentlichen Fehler gehandelt habe. Mit dem bewilligten Verfahren geklonte menschliche Embryonen hätten geistiges Eigentum der Patentinhaber werden können, was gegen europäisches Recht verstößt. Die University of Edinburgh bzw. das Roslin Institute, neben den beiden Firmen Patentinhaberin, hat sich schließlich bereit erklärt, die Patentansprüche auf die Züchtung von menschlichen Embryonen auszuschließen und eindeutig von "nichtmenschlichen" Tieren zu sprechen, allerdings soll das Patent weiterhin die Isolierung, Veränderung und Züchtung einzelner menschlicher Zellen umfassen

Bei einem anderen Patent, bei dem menschliche Zellkerne in Eizellen von Kühen eingebracht werden, gab es seitens des Patentamts offenbar auch keinen Einspruch. Nachdem sich im September der Antragsteller nach dem Stand des Verfahrens erkundigt habe, sei er nur darauf hingewiesen worden, dass die Prüfungszeit noch bis Januar dauern würde. Gefunden hat Greenpeace auch zwei Patentanträge auf menschliche Gensequenzen von Human Genome Sciences, bei denen lange Listen möglicher Anwendungen aufgeführt werden, aber kein einziges Medikament entwickelt wurde. Greenpeace bezeichnet dies als "Vorratspatentierung", die künftige Forschung behindern könnte und unstatthaft sei, weil nur Erfindungen, aber nicht die Entdeckung von Genen oder Gensequenzen patentiert werden könne (siehe auch Hamstern von Genen).

Tatsächlich sind solche umfassenden, hypothetisch viele Anwendungen abdeckenden Anträge Optionen auf die Zukunft, die keine Erfindung darstellen. Hier müsste also eine genauere Prüfung stattfinden. Wenn das Patentamt explizit sagt, dass auf menschliche Embryonen und Mensch-Tier-Mischwesen keine Patente gewährt würden, dann sollte es dies auch in die Tat umsetzen. Anders steht es jedoch um den Artikel 53a des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), das Erfindungen dann von der Patentierung ausschließt, wenn diese gegen die "guten Sitten" oder die "öffentliche Ordnung" verstoßen. Greenpeace sagt richtig, dass in die Prüfung also ethische Fragestellungen eingeschlossen werden müssen, was aber natürlich keineswegs heißen muss, dass deswegen Patente auf Leben abgelehnt werden müssen, wie dies Greenpeace fordert.

Anders steht es um die weiteren, von Greenpeace gefundenen Patentanträge, die wie die anderen kurz vor der Bewilligung stünden. Dabei geht es um gentechnisch veränderte Schweine oder Pflanzen und Saatgut. Hautargument von Greenpeace ist, dass nach Artikel 53 des EPÜ Pflanzensorten und Tiere nicht patentiert werden dürften. Allerdings hatte im letzten Jahr die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts ein entsprechendes Moratorium beendet und entschieden, dass Pflanzen und Tier dann patentierbar seien, wenn sie durch neuartige und daher patentierbare biotechnologische Verfahren hergestellt werden (Europäisches Patentamt gibt Patentierung von Pflanzen und Tieren frei). Schon etwas bemüht formuliert, sagte die Beschwerdekammer, dass ein Antrag, "in dem bestimmte Pflanzensorten nicht einzeln beansprucht werden, nicht von der Patentierbarkeit unter dem Artikel 53 (b) EPÜ ausgeschlossen ist, auch wenn er Pflanzensorten einschließt." Ausgeschlossen seien in dem Artikel nur Pflanzenarten, unabhängig davon, wie sie erzeugt wurden: "Daher sind Pflanzenarten, die Gene enthalten, die in eine natürliche Pflanze durch rekombinante Gentechnologie eingeführt wurden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen." Wenn es aber um ein neuartiges Verfahren zur Erzeugung einer Pflanzenart geht, trifft dieses Verbot nicht zu. Für Greenpeace ist diese Entscheidung "unzulässig", weil sie nicht der EPÜ entspreche, sondern die umstrittene neue EU-Patentrichtlinie umsetze.

Der Präsident des EPA, Ingo Kober, dazu: "Auch das EPÜ kennt für lebende Materie keine grundsätzliche Ausnahme von der Patentierbarkeit. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern hat die diesbezügliche Amtspraxis im Grundsatz immer wieder bestätigt. Auf die Bedeutung der EU-Richtlinie als geltendes Patentrecht habe ich bereits hingewiesen. Ihre Umsetzung durch den Verwaltungsrat ist Ausdruck des politischen Willens der Organisation und des Amts, die Vorgaben des europäischen Gesetzgebers zu respektieren und in das europäische Patentrecht zu übernehmen." Die EU-Richtlinie ist noch nicht in nationales Recht umgesetzt: Bundeskabinett billigt einstimmig Biopatent-Gesetzentwurf.

Greenpeace fordert, das Europäische Patentamt besser zu kontrollieren und Übertretungen von Gesetzen zu ahnden. Gedroht wird damit; "Originalakten sicherzustellen und der Öffentlichkeit zu präsentieren", wenn die Politik weiter wie bislang versage. "Das Europäische Patentamt ist keiner unabhängigen Gerichtsbarkeit unterstellt, weswegen auch kein Staatsanwalt mit Ermittlungen beginnen kann. Die etwa 5000 Mitarbeiter sind administrativ so gut wie unabhängig und genießen Immunität. Kein Polizeibeamter darf den gläsernen Verwaltungsbau am Isarufer ohne Genehmigung des Hauses betreten. Kontrollorgan ist lediglich der von den 20 Mitgliedsstaaten gewählte Verwaltungsrat. Da Einkommen und Pensionen der Mitarbeiter nur durch Patentgebühren erwirtschaftet werden, darf ein hohes Interesse des Hauses an möglichst vielen erteilten Patenten unterstellt werden."

Kober in einer Rede vom Juni 2000 zur fehlenden Kontrolle: "Gegen vorsätzliche Rechtsbrüche spricht auch die Möglichkeit umfangreicher Kontrollen durch Einspruchs- und Beschwerdeverfahren nach der Patenterteilung, und auch durch Nichtigkeitsverfahren vor nationalen Gerichten, in Deutschland etwa vor dem Bundespatentgericht und, in der Berufungsinstanz, vor dem BGH: Entgegen aller Behauptungen unterliegt das europäische Patent - und das Europäische Patentamt mit seinem Wirken - sehr wohl zahlreichen unabhängigen Kontroll- und Überprüfungsmöglichkeiten auf nationaler wie internationaler Ebene." Etwas sehr indirekt und nicht unbedingt überzeugend ist auch die Abweisung der Kritik, dass das Patentamt schon aus wirtschaftlichen Gründen an der Steigerung der Patente interessiert sei: "3,2 % der 1999 eingereichten Anmeldungen entfallen auf dieses Gebiet. Ihre Bedeutung für die chemische und pharmazeutische Forschung und Industrie ist damit völlig unbestritten. Allerdings ist ihr Anteil an den Anmeldungen beim EPA nahezu dreimal kleiner als jener der Medizintechnik, und fällt auch gegenüber den Bereichen Telekommunikation, Elektronik und Computertechnik signifikant ab. Die Zahl der Gentechnik-Anmeldungen am gesamten Anmeldeaufkommen seit Eröffnung des Amts zeigt erst recht, dass die These von der Gewinnmaximierung völlig unhaltbar ist: Auf weit mehr als 1 Million veröffentlichter Patentanmeldungen kommen knapp 25 000 Anmeldungen für diesen Bereich. Aus solchen Fakten lässt sich kaum ein herausragender wirtschaftlicher Vorteil dieser Technologie für das EPA ableiten."