Europäisches Patentamt gewährt versehentlich ein Patent, das auch gentechnische Veränderungen am Menschen umfasst
Auf lange Sicht wird Europa aber keine Insel der moralisch eingezäunten Gentechnologie bleiben können
Greenpeace ist im Kampf gegen "Patente auf Leben" darauf gestossen, dass das Europäische Patentamt im Widerspruch zur EU-Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen, an die es allerdings nicht gebunden ist, und im Widerspruch zum Verbot für Eingriffe in die menschliche Keimbahn ein Verfahren im letzten Dezember als Patent anerkannt hat, mit dem genveränderte tierische Zellen, worunter ausdrücklich auch menschliche Stammzellen eingeschlossen sind, zur Aufzucht von Embryonen erzeugt werden können. Das Patentamt hat bereits eingeräumt, dass es sich um einen "schweren Fehler" gehandelt habe. Drei Prüfer hätten anscheinend versehentlich das Patent gewährt, obgleich es auch auf Menschen angewendet werden könnte.
Nach der Richtlinie sind, um "die Würde und die Unversehrtheit des Menschen zu gewährleisten", der menschliche Körper "in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung, einschließlich der Keimzellen, sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile oder seiner Produkte, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines menschlichen Gens, nicht patentierbar." Ende Dezember hatte die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts eine weitere Hürde überschritten und entschieden, dass auch Pflanzen und Tiere dann patentierbar seien, wenn sie durch neuartige biotechnologische Verfahren hergestellt werden, mit der Einschränkung allerdings, dass die Anwendung der Erfindung technisch nicht auf eine Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt sein darf.
Bei dem schon zuvor "versehentlich" gewährten Patent geht es um ein Verfahren, bei dem transgene Stammzellen, also embryonale Zellen mit neuen Genen, isoliert, selektiert und vermehrt werden können, um daraus Zellkulturen oder im Prinzip auch Embryos mit gewünschten Eigenschaften zu züchten. Eingeschlossen in das Patent ist nicht nur das Verfahren zur Erzeugung der transgenen Stammzellen, sondern auch die daraus entstehenden tierischen Zellen und Tiere, die für dieses Verfahren verwendet werden, transgene Tiere, aus denen solche Stammzellen gewonnen werden, und die Marker zur Herstellung genetisch veränderter Zellen und transgener Tiere. Genetisch veränderte Blastozyten oder Zellen, die in Blastozyten eingeführt werden, können in einen "Empfänger" eingepflanzt werden, so dass ein Embryo heranwächst und eine Chimäre wird, die über die Keimbahn die genetische Veränderung weitergibt. Bei dem Verfahren wird ein Gen zusammen mit einem Marker in Stammzellen eingeführt, und es soll angeblich ermöglichen, in einem Schritt und ohne die Verwendung von toxischen Medikamenten große Mengen an bestimmten transgenen Zellen oder transgene Embryos herzustellen. Die embryonalen Stammzellen und Zelllinien können auch zum Klonen verwendet werden, um transgene Tiere herzustellen.
Ausdrücklich wird in dem bewilligten Patentantrag gesagt, dass der Begriff "tierische Zelle" alle tierischen Zellen, vornehmlich aber Zellen von Säugetieren, umfasst, was auch menschliche Zellen einschließt. Überdies bezieht sich das Patent auf alle Arten von Stammzellen. Die interessantesten Stammzellen werden aus Embryonen gewonnen und können sich zu allen Körperzellen ausdifferenzieren, während andere wie epidermische, hämopoetische oder neuronale Stammzellen sich nur zu einigen Zelltypen entwickeln können.
Eigentümer des Patents EP 0 695351 B1ist die University of Edinburgh, zu der auch das Roslin Institute gehört, das kürzlich die ersten britischen Klon-Patente zur Übertragung des Zellkerns erhalten hat. Die Erfinder sind Austin Smith vom Centre Genome Research und Peter Mountford vom australischen Unternehmen Stem Cell Sciences. Wie Greenpeace sagt, arbeitet SCS mit dem amerikanischen Firma BioTransplant zusammen. Die Forschungsarbeit beider Firmen zielt darauf, Tiere so gentechnisch zu verändern, dass ihre Zellen oder Organe zur Transplantation geeignet sind und vom menschlichen Körper nicht mehr als fremd abgestoßen werden. Aus embryonalen Stammzellen lassen sich im Prinzip natürlich auch menschliche Zellgewebe und Organe zur Transplantation züchten. Gentechnisch veränderte Zellkulturen, die aus Stammzellen entwickelt werden, dienen auch aber zur pharmakologischen Forschung.
Greenpeace sieht in der Bewilligung des Patents die Erlaubnis, aus gentechnisch veränderten menschlichen Stammzellen letztendlich "gentechnisch manipulierte Menschen" herzustellen, was die "Zukunftsvision der Gen-Konzerne" sei. Die Bewilligung des Patents sei ein "beispielloser Tabubruch", kritisiert Christoph Then, Gentechnikexperte bei Greenpeace, da damit "der im Labor produzierte und patentierte Mensch deutlich näher gerückt" sei: Mit dem Patent, so der Vorwurf, sei "automatisch nicht nur das Verfahren zur Genmanipulation der so genannten Keimbahn patentiert, sondern auch das "Produkt" dieses Eingriffs: der genmanipulierte Mensch." Die Organisation will gegen die Entscheidung Einspruch erheben und fordert die Menschen dazu auf, sich beim Patentamt zu beschwerden. Am Dienstagmorgen hat Greenpeace mit einer Aktion in München begonnen. Rund 90 Demonstranten aus 13 europäischen Ländern haben versucht, alle 45 Eingänge des Patentamtgebäudes zu blockieren.
Greenpeace sieht in diesem Patent nur die "Spitze des Eisbergs" und vermutet auch, dass die Entscheidung des Europäischen Patentamts vielleicht kein Versehen gewesen sei, da es in den letzten Jahren versucht habe, "die Patentierung von Lebewesen systematisch zu erweitern" und "möglichst alle Ausnahmen von der Patentierbarkeit auszuschließen". Ob freilich das Patent tatsächlich nicht nur die Züchtung von Menschen, sondern auch die Patentierbarkeit von diesen "Produkten" der Gentechnik einschließt, ist insofern zweifelhaft, weil dies zumindest gegen die Vorschrift verstößt, dass keine Patente erteilt werden dürfen, die gegen die guten Sitten verstoßen.
Die Frage allerdings ist, ob sich langfristig allgemeine Verbote gegen Eingriffe in die menschliche Keimbahn oder die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken durchhalten lassen. Auch ethische Grenzen der Machbarkeit stehen unter dem Druck der Globalisierung. Eine europäische Insel wird es nicht lange geben, zumal in den USA bereits neue Richtlinien anstehen, die das Moratorium von 1996 aufheben. Auch bei diesem Moratorium ging es nicht um ein prinzipielles Verbot, sondern lediglich darum, dass für die Forschung an menschlichen Embryonen keine öffentlichen Gelder gewährt werden dürfen. Nach der Entdeckung der Möglichkeit, Stammzellen züchten zu können, hat ein NIH-Komitee versucht, das pauschale Verbot zu differenzieren. Weiterhin verboten sein soll die finanzielle Förderung der Forschung an menschlichen Embryonen, nicht aber die mit Stammzellen, die aus menschlichen Embryos gewonnen werden, sofern die Wissenschaftler nicht selbst die Embryos töten oder sie zu diesem Zweck erzeugen. Benutzt werden dürfen nach der neuen Richtlinie, die demnächst vermutlich in Kraft treten wird, Embryonen, die zu Tausenden in der Reproduktionsmedizin entstehen und im Abfall landen. Im Zuge dieser künftigen Aussichten wurde denn auch gleich ein Institut gegründet, dass die Labors mit menschlichen Stammzellen beliefern will (Handel mit menschlichen Stammzellen). Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain hat zwar in einem Brief an die NIH gefordert, die neue Richtlinie nicht umzusetzen, aber vermutlich dürfte der Druck der Industrie zu groß sein. In den USA versuchen auch "Right-to-life"-Gruppen die Richtlinie zu Fall zu bringen.
Dass auch Europa keine Insel ist, hat sich schon in diesem Jahr gezeigt, nachdem das britische Patentamt zwei Klon-Patente des Roslin-Institutes, das seit letztem Jahr zum Geron-Konzern gehört, bewilligt hatte, die allgemeine Rechte auf die Verfahren zur Übertragung des Zellkerns umschließen (Erste Patente für Klonverfahren). Mit einbezogen sind Verfahren zur Herstellung von geklonten nichtmenschlichen Tieren sowie zur Herstellung von "menschlichen und nichtmenschlichen Zellen durch Kernübertragung". Die Patente erstrecken sich auf die mit Kernübertragung geschehene Herstellung von "nichtmenschlichen tierischen Embryos und geklonten nichtmenschlichen Tieren". Darin eingeschlossen ist die Herstellung von nichtmenschlichen und menschlichen Zelllinien. Geron hat sich damit auch das Klonen von menschlichen Zellen gesichert und weist darauf hin, dass das "therapeutisches Klonen", also die Züchtung von therapeutisch bedeutsamen Zellgeweben aus embryonalen Zellen, von der britischen Human Fertilisation and Embryology Authority sowie dem Human Genetics Advisory Body als Bereich der Embryoforschung gestattet werden soll. Ausdrücklich ausgenommen von der Patentlizenz für Geron ist der Einsatz des Verfahrens für das reproduktive Klonen von Menschen. Diese Einschränkung wurde beim Europäischen Patentamt nicht vorgenommen. Und natürlich wird man nicht unbedingt Peter Mountford von Stem Cell Sciences Glauben schenken mögen, dass man nicht doch irgendwann auch mit der Technik, wenn sie denn einmal ausgereift sein sollte, Menschen mit bestimmten Eigenschaften züchten werde, auch wenn er beteuerte: "Es wird keine genmanipulierten Menschen geben."
Seltsam ist allerdings schon, dass das Patentamt nach sechsjähriger (!) Prüfung des Antrags die Erweiterung auf den Menschen übersehen haben sollte. Gerade in diesem sensiblen Bereich sollten "Unachtsamkeit und große Arbeitsbelastung" keine Rolle spielen. Ein erfolgreicher Einspruch gegen das Patent kann nicht nur zu dessen Aufhebung, sondern auch zur Veränderung einzelner Punkte führen. Möglicherweise dient der Einspruch von Greenpeace dazu, die pauschalen Verbote zu konkretisieren. Horrorszenarien, wie sie zum Teil von Greenpeace aufgeboten werden, dienen vermutlich weder einer notwendigen Diskussion über das Thema, noch werden sie langfristig eine Abwehr stabilisieren können, weil sie sich allmählich verschleißen. Und wenn überall um Europa die Forschung mit menschlichen Stammzellen betrieben wird, kann auch eine europäische Insellösung auf Dauer dem technischen Fortschritt und dessen Umsetzung keinen Einhalt gebieten.