"Kein ESM, wir sind Italiener"

Grafik: TP

Italien greift vorerst nur auf das europäische Kurzarbeitergeld und die Unternehmenskredite zu, aber nicht auf 49 Milliarden Euro aus dem ESM, weil die M5S fürchtet, dass damit eine Troika-Herrschaft wie in Griechenland droht

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Kurz vor den Osterfeiertagen einigten sich die Finanzminister der 19 Euro-Länder und der restlichen EU-Länder mit souveränen Währungen auf ein etwa 500 Milliarden schweres "Corona-Hilfspaket" aus einem europäischen Kurzarbeitergeld mit dem Namen "SURE", Unternehmenskrediten der Europäischen Investitionsbank EIB und einer "vorsorgliche Kreditlinie" in Höhe von 2 Prozent des jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukts aus dem 2012 zur "Euro-Rettung" eingeführten Europäischen Stabilitätsmechanismus (vgl. Euro-Bonds über den Corona-Krisen-Umweg?).

Den Ankündigungen der italienischen Regierung nach wird Italien zwar auf das SURE-Kurzarbeitergeld und die Unternehmenskredite der EIB zurückgreifen, aber nicht auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, aus dem sich das Land bis zu 39 Milliarden Euro leihen könnte. Kulturminister Dario Franceschini, ein Sozialdemokrat, hält das für falsch. Seine Partei soll sich den Informationen der Zeitung La Repubblica nach bei einem Koalitionsgipfel dafür eingesetzt haben, auch auf das ESM-Geld zuzugreifen, scheiterte aber am Widerstand des Partners M5S.

Schlechte Erfahrungen

Der hatte während der Zeit der Koalition mit der Lega schlechte Erfahrungen mit den Haushaltsüberwachern in Brüssel gemacht (vgl. Entscheidung mit dem Hintergedanken, eine Regierung loszuwerden, die unbequem ist?) und traut nun den Versprechen nicht ganz, dass das Geld eigentlich ohne daran geknüpfte Bedingungen vergeben werde. Tatsächlich gibt es - anders als in manchen Medien dargestellt - durchaus eine Bedingung: Nämlich die, dass das Geld ausschließlich für die direkten und indirekten medizinischen Kosten der Seuche eingesetzt werden darf. Dass man darunter in Brüssel nach dem Ende der Coronakrise etwas anders verstehen wird als in Rom, ist nicht ganz ausgeschlossen.

Weil sie den ESM auf keinen Fall anfassen wollte, drohte die M5S sogar mit einem Bruch der Koalition, woraufhin die Sozialdemokraten ihr Beharren auf Mittel aus dem Mechanismus aufgaben. Hätten sie darauf bestanden, hätte die M5S bis zu Neuwahlen womöglich mit den "Sovranisti" vom alten Koalitionspartner Lega weiterregieren können, deren Chef Matteo Salvini auf Facebook den Slogan "Kein ESM, wir sind Italiener" ausgab. Damit erinnerte er seine Landsleute an die Maßnahmen, die die so genannte Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Weltwährungsfonds den Griechen nach deren "Rettung" durch den ESM verordnet hatte.

Eurobonds

Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund, warum die italienische Regierung den Zugriff auf die ESM-Mittel ablehnt. Dass sie ein Abrufen von Mitteln aus dem ESM derzeit ablehnt, heißt nämlich nicht, dass sie nicht neue Schulden machen will. Nur sollen diese Schulden keine nationalen sein, sondern europäische, für die die Zinsen niedriger wären, weil Eurozonen- und eventuell sogar alle EU-Mitgliedsländer dafür haften würden. Für den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte sind solche Eurobonds das einzige "angemessene Instrument" im Umgang mit der Coronakrise.

Deshalb will er beim nächsten EU-Gipfel am 23. April weiter "für einen Fonds [kämpfen], der eine europäische Vergemeinschaftung der Anstrengungen darstellt". Das Volumen, das ihm dabei vorschwebt, würde mit 1,5 Billionen Euro etwa 44 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts und elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der gesamten EU erreichen.

Regeln wie den Artikel 104b des Maastricht-Vertrages, die festlegen, dass Staatsschulden eine nationale Angelegenheit sind, hält der italienische Regierungschef für "alt" und "überholt". Dazu zählt er auch den Stabilitätspakt mit seinen Verschuldungsobergrenzen, den Italien unterzeichnete, um trotz Staatsschulden in Höhe von damals mehr als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Eurozone aufgenommen zu werden.

Trotz dieses Pakts hat die italienische Staatsverschuldung inzwischen 134,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Und im laufenden Jahr wird die Coronakrise den Berechnungen der Katholischen Universität in Mailand nach dafür sorgen, dass die italienischen Staatsschulden 150 bis 158 Prozent des dann deutlich gesunkenen Bruttoinlandsprodukts betragen.

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