Kein Klimaschutz mit Kohlekraftwerken
Die Energie- und Klimawochenschau: Deutsche Umweltverbände fordern von der Bundesregierung mehr Ernsthaftigkeit im Klimaschutz, während Texaner unter dem hohen Mais-Preis leiden
Es geht alles auch noch ein bisschen schlimmer: Drei australische Ökonomen sind der der Ansicht, dass die Treibhausgasemissionen noch schneller zunehmen, als bisher angenommen. Das Niveau, das im Worst-case-Szenario des UN-Klimarates IPCC für 2050 erwartet wird, könnte schon 2030 erreicht sein.
Das ist in etwa der Inhalt eines Seminars, das am Dienstag in der Australischen National-Universität in Canberra abgehalten wurde. Stephen Howes, der dort an der Crawford School for Economics and Government lehrt und forscht, hat gemeinsam mit Kollegen errechnet, dass sich die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 verdoppeln könnten. Kohlendioxid oder CO2 ist das mit Abstand wichtigste Treibhausgas.
Schuld für den raschen Anstieg hat nach Ansicht von Howes und Kollegen das Wirtschaftswachstum in Asien, das auch auf andere Weltregionen übergreife. Die Konsequenz für den internationalen Klimaschutz sei, dass die Industriestaaten ihre Emissionen stärker als bisher gedacht zurückfahren müssen. Es sei schwer vorstellbar, dass die Notwendigen Reduktionen erreichbar sind, ohne dass sich die größten Industriestaaten als auch Entwicklungsländer auf bindende Ziele festlegen.
Klimaschutzziele in Gefahr
Da nimmt sich das Klimaschutzziel, auf das sich die große Koalition vor einem knappen Jahr auf ihrer Klausur im brandenburgischen Meseburg einigte, auf den ersten Blick regelrecht weitblickend aus. Um immerhin 40 Prozent gegenüber dem 1990er Niveau sollen bis 2020 in Deutschland die Emissionen vermindert werden (Klimaziele: Deutsche Ankündigungspolitik):
Bei den deutschen Umweltverbänden hat man allerdings erhebliche Zweifel, ob dieses Ziel mit der derzeitigen Politik auch erreicht werden kann. Am Dienstag luden sie in Berlin zu einer Pressekonferenz ein, um angesichts der laufenden Debatte über die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Neufassung des EEG wird mit veränderten Einspeisevergütungen wird – wenn alles nach Plan läuft - noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden.
Helmut Röscheisen vom Deutschen Naturschutzriung findet das 40-Prozent-Ziel ehrgeizig, weist aber daraufhin, dass das das Wirtschaftsministerium mächtig bremst. Unter den gegebenen Voraussetzungen werde das Ziel nicht erreicht werden. Insbesondere in der Verkehrs- und Kohlepolitik sieht er große Lücken. Es gebe kein Tempolimit, keine Maßnahmen gegen Geländefahrzeuge auf den Straßen, keine Regelungen gegen die Stand-by-Verschwendung, dafür aber neue Kohlekraftwerke. Auch in Sachen Kraftwärmekoppelung tue sich zu wenig.
Der in der parlamentarischen Beratung befindliche Gesetzentwurf zur Förderung der Kraftwärmekopplung (KWK) sei eine intellektuelle Zumutung, findet Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Einerseits würde die Verdoppelung der ressourcenschonenden KWK auf 25 Prozent an der Stromversorgung im Gesetz als Zweck festgeschrieben, andererseits reichen die fixierten Maßnahmen dafür nach Ansicht aller Fachleute nicht aus. So sei einen Degression der Einspeisevergütung unsinnig, da die Technologie weitgehend ausgereift sei. Auch sei bisher vorgesehen, die Pflicht für die Netzbetreiber, den Strom aus KWK-Anlagen abzunehmen mit dem Ende der Förderzeit auslaufen zu lassen. Für potenzielle Betreiber ist derlei natürlich eine erhebliche Unsicherheit.
Ganz anders stellt sich offenbar die Situation für Großinvestoren dar, die neue Kohlekraftwerke bauen wollen. Klaus Brunsmeier vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat 27 geplante neue Kraftwerke gezählt. Wenn diese realisiert würden, gingen auf deren Konto Jahr für Jahr 145 Millionen Tonnen CO2-Emissionen, und zwar über viele Jahrzehnte. Das wäre rund 90 Prozent der Emissionsmenge, die sich Deutschland langfristig erlauben kann, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre stabilisiert werden soll.
Begründet werden die Kohlepläne gerne mit der angeblichen Stromlücke, die drohe. Brunsmeier hält die allerdings für reine Propaganda der Energiekonzerne, vor deren Karren sich auch die Deutsche Energieagentur (dena) habe spannen lassen. Wenn der Stromverbrauch durch Effizienzsteigerung bis 2020 um 20 Prozent reduziert, die erneuerbaren Energiequellen ausgebaut und der Anteil der Kraftwärmekoppelung auf ein Drittel gesteigert würde, gäbe es keinerlei Probleme. Allerdings, so Brunsmeier, gehe es um sehr viel Geld, das sich mit den Kohlekraftwerken verdienen lasse, und um die Macht der großen vier, nämlich E.on, RWE, Vattenfall und EnBW. Seiner Meinung nach müssten Kohlekraftwerke schlicht verboten werden. Das ginge zum Beispiel, indem man einen Mindestwirkungsgrad von 70 Prozent vorschreibt, wie ihn Großkraftwerke nie und nimmer erreichen können.
Wenig Bio am Agrosprit
Auch Martin Kaiser von Greenpeace wies darauf hin, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen gebe, mit denen man binnen kürzester Zeit den Klimaschutzzielen näher kommen könne. Dazu zähle zum Beispiel ein Tempolimit auf den Autobahnen, mit denen drei Millionen Tonnen CO2-Emissionen jährlich einzusparen wären. Außerdem könne man, wenn das Tempo einmal beschränkt sei, auf den Straßen abrüsten, das heißt, es könnten leichtere Autos gebaut werden. Die schweren, Sprit fressenden SUVs gehören nach seiner Ansicht ohnehin von den Straßen verbannt.
Jedenfalls ist der Agrosprit für die Umweltschützer keine Lösung des Klimaproblems. Kaiser forderte die Abschaffung der Beimischungspflicht. Die deutschen Ethanol- und Agrodieselquoten würden andernorts zur Urwaldzerstörung beitragen. Außerdem sprach er sich für verbindliche Standards für die Biomassenutzung aus, denn die sei in Kraftwerken durchaus sinnvoll. In denen ist nämlich der Wirkungsgrad erheblich höher, aber im Augenblick drohe auch dieser Bereich unter dem allgemeinen Imageverlust des Agrosprits schaden zu nehmen.
Texaner gegen zu viel Ethanol
Auch auf der internationalen Ebene geht die Debatte um den Agrosprit weiter. Letzte Woche hat die Internationale Energy Agentur (IEA) davor gewarnt, auf den nachwachsenden Benzin- und Diesel-Ersatz zu verzichten. Kraftstoffe aus Pflanzen seien unverzichtbar für die Deckung des globalen Bedarfs, sagte die Organisation nach einem Bericht der britischen Zeitung Financial Times. Agrosprit mache inzwischen 50 Prozent des zusätzlichen Kraftstoffes aus, der aus Nicht-OPEC-Ländern auf den Markt komme. Der stellvertretende IEA-Direktor William Ramsey wird von dem Blatt mit den Worten zitiert: "Wenn wir nicht diese halbe Million Barrels (Agrosprit) hätten, wüsste ich nicht, woher wir sie bekommen sollten." Die OPEC, so Ramsey, habe angekündigt, ihre Förderung nicht erhöhen zu wollen. Nach Ansicht der Financial Times hatten letzte Woche daher Ängste, die wichtigen Verbraucherländer könnten ihre Agrosprit-Programme einschränken, den Ölpreis in die Höhe getrieben. Ende April wurde für ein Fass der Sorte WTI (West Texas Intermediate) für über 118 Dollar gehandelt.
Unterdessen werden rund um den Globus die Menschen wegen steigender Lebensmittelpreise nervös. So auch im US-Bundesstaat Texas, wo Gouverneur Rick Perry am Freitag vergangener Woche die Regierung in Washington aufgefordert hat, das Agrospritziel zu halbieren, um die Explosion der Nahrungsmittelpreise ein zu dämmen. Das sei der beste und schnellste Weg um das Problem in den Griff zu bekommen, meinte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters. In den letzten drei Jahren sei in Texas der Preis für Mais um 138 Prozent gestiegen, und das Ende scheint noch nicht in Sicht: Für 2008 wird gegenüber dem Vorjahr eine Preisverdoppelung auf acht US-Dollar pro Scheffel Mais (36,37 Liter) erwartet. Das würde die texanische Ökonomie 3,59 Milliarden US-Dollar kosten, meint Perry. Das Ethanol-Programm habe durch die hohen Preise verheerende Auswirkungen auf die texanischen Fleischproduzenten.
Ethanol wird in vielen Ländern im zunehmenden Maße dem Benzin beigemischt. In Deutschland hatte Anfang April Umweltminister Sigmar Gabriel einen Rückzieher gemacht und die geplante Erhöhung der Beimischungsquote storniert. Während hierzulande auch Zuckerrüben und verschiedene Getreidesorten als Ausgangsbasis für die Herstellung des Ersatzkraftstoffes dienen, wird Ethanol in den USA fast ausschließlich aus der Vergärung von Mais gewonnen. Durchschnittlich 3.520 Liter Ethanol pro Hektar lassen sich auf diese Art im Jahr erzielen. US-Präsident Bush hat im letzten Jahr eine Ausdehnung des Ethanol-Programms bis 2017 angekündigt. Dann soll die Pkw-Flotte zwischen Atlantik und Pazifik Jahr für Jahr 132,5 Milliarden Liter Ethanol verbrauchen, was in etwa dem Dreifachen der derzeitigen weltweiten Produktion entspricht.
Die Ärmsten trifft es zuerst
Die Kinder der unteren Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern gehören zu den ersten Opfern des Klimawandels, heißt es in einem Bericht des britischen UNICEF-Zweiges. Die UN-Millenniumsziele für 2015, mit denen Armut, Hunger und Analphabetismus bekämpft werden sollen (Für die Armen gibt es weniger Geld), seien in Gefahr, wenn nicht etwas gegen die Risiken und Folgen des Klimawandels unternommen werde.
Wachsende Armut als Folge des Klimawandels könne jährlich 40.000 bis 160.000 Kindern das Leben kosten. In einer wärmeren Welt seien je nach den Grad der Erwärmung bis zu 550 Millionen Menschlich zusätzlich von Hunger bedroht. Vor dem Ausbruch der jüngsten Ernährungskrise haben bereits 800 Millionen Menschen an Unterernährung gelitten, etwa 100 Millionen Hungernde sind in den letzten Monaten hinzugekommen.
Die UNICEF-Autoren warnen vor allem auch vor der Ausbreitung von Krankheiten, die die Kinder der Armen besonders gefährden. Malaria tötet schon bisher jedes Jahr 800.000 Kinder und breitet sich inzwischen auch in Gebiete aus, in denen sie vorher unbekannt war, wie zum Beispiel in den Hochländern Jamaikas und Kenias. Auch Durchfallerkrankungen, die für Kleinkinder besonders gefährlich sind, würden sich in den nächsten Jahrzehnten ausweiten. Die Zahl der vom Dengue-Fieber bedrohten Menschen könnte sich, so die Autoren, von derzeit 1,5 Milliarden Menschen auf 3,5 Milliarden im Jahr 2080 erhöhen.
UNICEF fordert daher, die besondere Bedrohung der Kinder in die Klimaverhandlungen einzubeziehen. Den armen Ländern müsse bei der Anpassung an den Klimawandel geholfen werden. Die britische Regierung wird von den Autoren aufgefordert, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 Prozent gegenüber dem 1990er Niveau zu reduzieren.
Aber auch in den reichen Ländern, werden die ärmeren Teile der Bevölkerung überdurchschnittlich unter dem Klimawandel zu leiden haben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von einer detaillierten Studie, die im Auftrag der australischen Regierung für Sydney erstellt wurde. Das Ergebnis: In den niedrig liegenden Stadtteilen unmittelbar an der Küste, die am meisten vom Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten bedroht sind, leben vor allem ärmere Menschen, darunter überdurchschnittlich viele Alte. Die könnten sich zudem oft keine Klimaanlagen leisten, mit denen sie sich gegen Hitzewellen schützen könnten.
Derzeit sterben in Sydney jährlich durchschnittlich 176 Menschen über 65 Jahre aufgrund von Hitze. In einem wärmeren Klima werden Wahrscheinlichkeit und Ausmaß von Hitzewellen zunehmen. Für Europa rechnen Klimawissenschaftler damit, dass Hitzewellen wie jene des Sommers 2003 erheblich häufiger auftreten werden. Seinerzeit starben in Westeuropa über 30.000 Menschen an der ungewöhnlichen Hitze.