Kein Platz für Afrikas Dörfer im Global Village
In Sachen Internet bleibt der schwarze Kontinent trotz mancher Fortschritte weltweit Schlußlicht
Afrikas Politiker jubelten. Für die Menschen in jedem Staat des Kontinents, außer in Somalia, existiert seit 1999 ein Internetzugang. Schon träumen die Optimisten von Afrikas Aufstieg im Informationszeitalter. Doch Experten warnen: die afrikanischen Kommunikationsstrukturen sind so schlecht, daß der Siegeszug des Internets den Kontinent international eher noch weiter zurückwerfen wird.
John Perry Barlow hat eine große Vision. Der ehemalige Songschreiber der legendären Band "Grateful Dead" glaubt, daß das Internet dem Kontinent Afrika die Möglichkeit eröffne, seinen Rückstand gegenüber den Industrienationen aufzuholen. Im vergangenen Jahr reiste der Computerexperte kreuz und quer über den schwarzen Kontinent, besuchte Internetprovider in Ghana, beobachtete mit dem Notebook auf den Knien Berggorillas im Kongo oder versuchte, mit einem Voltmeter in Uganda eine Telefonlinie zu erwischen, um eine E-Mail zu verschicken.
Nach der Rückkehr von seinem afrikanischen Abenteuer erscheint Barlow auf einmal alles glasklar und einfach: Afrika solle doch schlicht das Industriezeitalter überspringen, sich auf Computer und Kommunikation konzentrieren, um so gleich den Sprung in die Ära der Informationsgesellschaft zu schaffen. Schließlich sei es Afrikas Stärke, in einem Nebeneinander von hunderten Mikrokulturen zu existieren. Die soziale Struktur des Kontinents entspreche also genau der Beschaffenheit des Internet. Das erhöhe das Verständnis.
So weit die Theorie. In der Praxis teilen die Kenner der panafrikanischen Informationsgesellschaft den Enthusiasmus des Cyber-Hippies Barlow nicht im geringsten. Im Gegenteil: "Es besteht die Gefahr, daß das Internet die Kluft zwischen den Industrienationen und Afrika eher noch vergrößert", warnt Jörn Staby, Online-Experte der namibischen Tageszeitung The Namibian und ehemaliger Manager des Internetproviders Iafrica.
Experten wie Staby befürchten, daß neue Statistiken über die Verbreitung von Internet, E-Mail und anderen Online-Diensten in Afrika zuviel Optimismus verbreiten. Einiges hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich verbessert. Nach Studien des nichtkommerziellen südafrikanischen Internetdienstes Sangonet und der Wirtschaftsgemeinschaft der Staaten des Südlichen Afrikas SADC verfügt inzwischen jeder afrikanische Staat außer Somalia über mindestens einen Provider. In elf Staaten, darunter der Senegal, Tunesien und Simbabwe, gibt es flächendeckend lokale Einwahlknoten, in weiteren zwölf Staaten wie Namibia, Kenia oder Ägypten können sich die Nutzer zumindest in größeren Städten zum Ortstarif einwählen. Was Kundenzahlen und Technik angeht, ist die Region des südlichen Afrikas Online-König, speziell Südafrika selbst. In der Kaprepublik sind nach den Studien 850.000 bis 900.000 Internetnutzer zu finden, was 85 bis 90 Prozent der 1 Million Nutzer auf dem gesamten Kontinent ausmacht. Im restlichen Afrika wird jedoch nach einer Untersuchung der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) jeder Web-Anschluß von mindestens drei Menschen benutzt. Also dürften tatsächlich im restlichen Afrika doch um eine halbe Million Internet-Surfer existieren.
Doch Anlaß zur Freude besteht deswegen noch nicht. Angesichts von bis zu 130 Millionen geschätzter Internetnutzer weltweit sind diese Zahlen immer noch eher dürftig. Bei der Herkunft der im Internet zur Verfügung gestellten Informationen hat Afrika im Vergleich zum Rest der Welt sogar weiter verloren: Während 1997 gerade einmal 0,025 Prozent aller Seiten im "World Wide Web" ihren Host auf dem schwarzen Kontinent hatten, waren es 1998 sogar nur noch 0,022 Prozent.
Es sind die typischen Dritte-Welt-Probleme des Kontinents, die auch in Sachen Internet verhindern, daß Afrika richtig auf Draht ist: ein mangelhaftes Bildungssystem, schlechte Infrastrukturen, die Kluft zwischen Städten und dem Land sowie wenig kompetente, teilweise sogar korrupte Regierungen. "Es existiert einfach nicht genug Fachwissen", klagt Jörn Staby und nennt damit das wohl größte Hindernis. Web-Sites müssen programmiert werden, Einwahlknoten technisch betreut sein. Als Staby noch bei "Iafrica Namibia" arbeitete, fehlte schlicht das Personal: "Inzwischen gibt es Leute, die einfache HTML-Seiten programmieren können. Aber bei komplizierteren Projekten wie Datenbanken oder E-Commerce herrscht absoluter Personalmangel." Es ist wie so oft: Das Internet entwickelt sich mit Innovationen wie E-Commerce technisch weiter - und Afrika kann nicht Schritt halten.
"Das größte Problem ist aber folgendes: In manchen Ländern wie auch Namibia ist der Staat sich nicht sicher, ob und wie er sich in die Entwicklung des Internet einschalten soll", sagt Jörn Staby. Laut der Sangonet-Studie haben immerhin 31 staatliche Telefongesellschaften in Afrika erkannt, daß das Internet von öffentlichen Interesse ist und damit nicht dem Privatsektor überlassen werden sollte. In Staaten wie Uganda, Ghana, Kongo oder Liberia träumen die staatlichen Fernmelder aber weiter.
Auch in Namibia wurde die technische Infrastruktur für das Internet ausschließlich von Privatanbietern geschaffen. "Für die muß bei den Projekten aber ein Gewinn drin sein", so Jörn Staby. Die Folge: Privatanbieter wie "Iafrica" in Namibia erwägen frühestens bei 50 Kunden in einem kleinen Ort eine Anbindung. Im dünnbesiedelten Namibia bleiben Dörfer somit weiter offline. In Staaten wie Uganda oder Ghana, wo der Staat oder die staatliche Telefongesellschaft ebenfalls wenig Interesse am Internet zeigen, sieht es ähnlich aus. So bleibt dort die Internet-Branche für Private weiter wenig reizvoll, da diese gezwungen sind, erst einmal die kompletten technischen Voraussetzungen zu schaffen. "Bei landesweit 10.000 Kunden sind da keine großen Profite drin", erklärt Staby.
Jedoch sieht die staatliche Telekom in vielen Ländern ihre gesellschaftliche Aufgabe schon als beendet an, sobald sie einen Internetzugang geschaffen hat. Die technische Qualität ist oft miserabel, die Kosten für die Nutzung unerschwinglich. In Kamerun kostet ein Jahr Internet rund 1000 US-Dollar, in Kenia sogar 1700. Angesichts der geringen Einkommen in diesen Staaten bleiben auch hier die Normalbürger offline.
Besondere Ironie an der müden Politik mancher staatlicher Telefongesellschaften: Gerade strukturschwache Gegenden auf dem Land könnten besonders vom Internet profitieren. "Es wäre so viel möglich: eine landesweite Bibliotheken-Vernetzung, Internet-Terminals in Poststellen, Fernstudium auf dem Land und Anbindung der Dorfschullehrer an das nationale Bildungssystem", schwärmt Jörn Staby, und in diesem Moment klingt er fast wie John Perry Barlow. Doch die Realität hat ihn schnell wieder. Denn die Idee vom Globalen Dorf bleibt in Afrika vorerst nicht mehr als eine Reißbrettzeichnung. In Namibia wird der Plan vom Internet-Engagement der staatlichen Telekom plan- und lustlos im Parlament diskutiert. Bei dem staatlichen Internet-Projekt sollen sogar Gelder verschwunden sein, argwöhnt die Opposition.
In den meisten Staaten Afrikas werden auch keine oder zu wenige Akzente zur Computerausbildung gesetzt. Die Folge: Es gibt kein Personal, um die Technik in Stand zu halten und weiter zu entwickeln. Weder jetzt noch in der Zukunft. "Denn die Jugendlichen interessieren sich einfach kaum für das Internet", beobachtet Staby. Woher sollte das Interesse auch kommen?
Es ist kein Zufall, daß die Republik Südafrika aus diesem panafrikanischen Dilemma ausschert. Besonders was die technischen Voraussetzungen angeht, hat die ANC-Regierung vom Apartheid-Südafrika eine fortschrittliche, für Weiße vorbehaltene Technologie übernommen und versucht nun, sie allen Menschen zugänglich zu machen. In den großen Städten erreicht das Telefonnetz schon jetzt einen Erste-Welt-Standard. Zum Vergleich: In Mosambik, wo bis 1992 ein Bürgerkrieg wütete, gibt es außerhalb der Hauptstadt Maputo fast gar keine Telefonverbindungen. Im gesamten südlichen Afrika haben nur 3,5 Prozent der Menschen Zugang zu einem Telefon und nur ein Prozent Zugang zu einem Computer.
Aber die Regierung Mandela hat es am Kap auch verstanden, eine gesellschaftliche Verpflichtung zur Entwicklung des Internet zu übernehmen. Nach einem Parlamentsbeschluß gründete das Kommunikationsministerium die "Universal Service Agency" (USA), die per Gesetz dazu verpflichtet ist, allen Südafrikanern einen "universellen Zugang zu allen Kommunikationssystemen zu ermöglichen" - also zu Telefon, Fax, E-Mail, Internet und anderem. Die Definition von "universellem Zugang" ist dabei so festgelegt, daß die nächste öffentliche Zugangsstelle zu diesen Diensten nicht weiter als ein 30minütiger Fußmarsch von jedem Ort in Südafrika entfernt sein darf. Um das Ziel zu erreichen, gibt die südafrikanische Regierung jährlich ein bis zwei Milliarden US-Dollar aus.
Dank dieser guten technischen und politischen Voraussetzungen boomt das Internet in Südafrika. Rund 150 Provider kämpfen um Marktanteile. Als zu Jahresbeginn der Kommunikationsriese Vodacom in den Internetmarkt einstieg, da kündigte dessen Chef Alan Knott-Craig an, bis Jahresende 250.000 Kunden gewonnen haben zu wollen. Seine Prophezeiung stützt sich dabei darauf, daß es langfristig in Südafrika ein Potential von fünf Millionen Internetnutzern gibt. Das entspräche dem Bevölkerungsteil mit einem Einkommen von über 1000 Rand im Monat (knapp 300 DM). "Das Internet wird die Lücke zwischen Erster und Dritter Welt weiter verdeutlichen", prophezeit Jörn Staby - das gilt für den Vergleich zwischen Afrika und den Industrienationen, und es gilt für die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten in Afrika selbst.