Kein Vertreter der Linken wird am "maybrit illner spezial" teilnehmen
Die Absage ist nachvollziehbar, zumal sich die Sendung AfD-gemäß als Angstmache inszeniert
Maybrit Illner wird heute Abend ohne einen Vertreter der Linken bei der Talksendung über Angst im öffentlichen Raum auskommen müssen. Es handelt sich am üblichen Tag um ein "maybrit illner spezial", bei dem man sich beim ersten Blick auch fragen könnte, ob die AfD die Inspirationsquelle für die Angstmache durch die Formulierung des Themas war: "Notruf im Wahljahr - wie sicher ist Deutschland?" Vermutlich wird es heißen, man wird ja wohl mal fragen dürfen.
Obgleich die Polizeistatistik das nicht hergibt, wird im ZDF AfD-mäßig auf Sensation getrimmt: "Einbrüche, Diebstähle, Gewalt und sexuelle Übergriffe haben in den letzten Jahren rapide zugenommen - die Zahl der 'nicht deutschen Täter' wächst deutlich. Die organisierten Diebesbanden kommen dabei meist aus Osteuropa - bei Gewaltkriminalität fallen junge Zuwanderer negativ auf. Kein Wunder also: Das Thema innere Sicherheit wird nicht nur für die kommende Wahl in Nordrhein-Westfalen ein bestimmendes. "
Ob eine Zunahme um 0,7 Prozent im letzten Jahr ein "rapides" Wachstum ist, wenn 2015/2016 eine Million Menschen zusätzlich nach Deutschland gekommen sind, mag man schon bezweifeln, zumal man sogar einen Rückgang von 0,7 Prozent konstatieren kann, wenn man ausländerrechtliche Verstöße wie illegale Einreise abzieht. Und würde man noch die Zunahme der Bevölkerung berücksichtigen, würde die Kriminalitätsrate noch weiter sinken. Zwar ist die Gewaltkriminalität um 6,7 Prozent gestiegen, die darin enthaltene sexuelle Gewalt ist sogar um 12,8 Prozent, aber bei Einbrüchen und Diebstählen handelt sich die Darstellung um Fake News: Die Diebstahlskriminalität ist um 4,4 Prozent gefallen, die Straßenkriminalität um 0,9 Prozent und die Zahl der Wohnungseinbrüche gar um 9,5 Prozent. Man kann sich fragen, warum man das wohl bewusst überzeichnet?
2014 und 2013 wurden 156.396 bzw. 110.555 ausländerrechtliche Verstöße bei 6.082.064 bzw. 5.961.662 Straftaten insgesamt gezählt. 2016 erfasste die Polizei 6.372.526 Straftaten, zieht man die ausländerrechtlichen Verstöße ab, kommt man auf 5.884.815. Aus dieser Perspektive gibt es keine allgemeine rapide Zunahme, die sich vornehmlich auf die Gewaltkriminalität beschränkt. Blickt man jedoch weiter zurück, so relativiert sich auch dies. So wurden 2012 und 2011 an Gewaltkriminalität 195.143 bzw. 197.030 Fälle gezählt, während es 2016 bzw. 2015 mit 193.542 bzw. 181.386 Fällen sogar weniger waren.
Aber nicht aufgrund dieser öffentlich-rechtlichen Panikmache sagte die Linke ab, einen Vertreter zu schicken. Geplant war bzw. ist nämlich, dass die Vertreter der CDU (Julia Klöckner), der SPD (Thomas Oppermann), der FDP (Vizechef Wolfgang Kubicki) und der Grünen (Claudia Roth) als Platzhirsche am großen Tisch sitzen dürfen, während Sevim Dagdelen als Vertreterin der Linken zusammen mit Beatrix von Storch von der AfD am Katzentisch parlieren sollten. Die AfD wird den Sprung in den NRW-Landtag schaffen, die Linken könnten vielleicht wieder einziehen, es wird aber knapp werden. Warum also will das ZDF die Parteienvertreter so separieren, warum spielen die Vertreter der anderen Parteien bei dieser Inszenierung mit, die sich nicht anders als Diskriminierung verstehen lässt? Man will beim ZDF die "Schmuddelkinder" wohl nicht ganz ausschließen, aber als solche für die Zuschauer deutlich stigmatisieren.
Dass die Linke hier nicht mitspielen will, ist verständlich. Warum sie allerdings erst einmal eine Teilnahme unter dieser Konstellation zugesagt hat, wie ein Vertreter des ZDF sagte, um dann kurz vorher erst einen Rückzieher zu machen, ist tatsächlich auch nicht verständlich. Der Pressesprecher der Linksfraktion, Michael Schlick, ließ jedenfalls wissen:
Es ist völlig unangemessen, wenn die stärkste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, die im Übrigen auch im Landtag von NRW mit einem Abgeordneten vertreten ist, bei einer Vorwahlsendung zu bundespolitischen Themen nicht in großer Runde mitdiskutieren soll, während die FDP als außerparlamentarische Opposition selbstverständlich in der Runde sitzt. Das hat mit Gleichbehandlung nichts zu tun. DIE LINKE hat unter diesen Bedingungen ihre Teilnahme an der heutigen Illner-Sendung abgesagt.
Ob die Große Koalition vor der wichtigen Landtagswahl in NRW inzwischen so nervös ist, dass sie nur mit ihr genehmen Oppositionsparteien diskutieren möchte, oder ob das ZDF die Entscheidung eigenmächtig getroffen hat, wissen wir nicht. Auf jeden Fall ist ein solcher Umgang nicht akzeptabel, und wir hoffen sehr, dass diese Ausgrenzung der LINKEN im Wahljahr ein einmaliger Vorgang bleibt.
Michael Schlick
Gut wäre wohl aber auch gewesen, nicht nur beleidigt zu reagieren, sondern auch die Art zu kritisieren, wie in einem öffentlich-rechtlichen Sender das Thema so präsentiert wird, dass die Argumentation der AfD auch unter teilweise falschen Sachbehauptungen bestärkt wird. Und vielleicht wäre es auch klug gewesen zu erklären, warum solche Versuche der Ausgrenzung, wen es auch immer trifft, ein falscher Ansatz in einer Demokratie sind.
Aus Fraktionskreisen der Linken war es keine plötzliche Absage, sondern die Redaktion habe das Konzept nach und nach verändert. Zunächst sei eine allgemeine Anfrage gekommen, Thema sollte die NRW-Wahl sein. Dann sei die Information gekommen, dass ein Streitgespräch mit einem AfD-Vertreter aus NRW geplant sei, weil am Tisch nur Vertreter der Parteien sitzen würden, die im Landtag vertreten sind. Die Linke hat einen Abgeordneten. Anfang der Woche sei dann Beatrix von Storch (AfD Berlin) als Gesprächspartnerin genannt worden, woraufhin man gebeten habe, das Konzept zu ändern. Als schließlich der Trailer am DIenstag online ging, sei erst klar geworden, dass es um Bundesthemen und auch um die Bundestagswahl ging. Dann noch beiseite zu sitzen, habe man als inakzeptabel befunden.