Kein harmloses Vergnügen

Der Leiter der amerikanischen Gesundheitsbehörde hat einen umfassenden Bericht über die Gefahren des Passivrauchens vorgelegt - und die Bundesregierung zog heute schnell einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der lange hinausgezögerten Tabakwerbeverbots hervor

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„Die Gesundheitsfolgen des Passivrauchens sind weitaus gravierender, als wir früher dachten.“ Das gab Amerikas oberster Gesundheitsschützer Richard H. Carmona gestern auf einer Pressekonferenz in Washington bekannt. Die wissenschaftliche Beweislage sei eindeutig, so der Surgeon General: „Selbst wenn Sie nur wenig Tabakrauch einatmen, können Sie damit Ihrer Gesundheit schaden.“

Der Bericht des US Department of Health and Human Services zeichnet sich durch imponierende Akribie aus. Auf über 700 Seiten werden die giftigen und krebserregenden Inhaltstoffe des Zigarettenqualms, deren Wirkungsweise im Organismus, das Ausmaß der Tabakrauchexposition in der nicht rauchenden Bevölkerung sowie geeignete Maßnahmen zum Gesundheitsschutz abgehandelt. Die Kapitel sind von 22 Gesundheitsexperten verfasst und von insgesamt 70 unabhängigen Gutachtern gegengelesen worden.

Die wichtigsten Ergebnisse der Übersichtsstudie lauten:

  1. Für Passivraucher erhöht sich das Risiko, an einer Herzkrankheit oder an Lungenkrebs zu erkranken, um bis zu 30%.
  2. Besonders gefährdet sind Kinder. Wenn Eltern während der Schwangerschaft rauchen, verlangsamt sich beim Kind das Lungenwachstum. Später treten häufiger Atemwegserkrankungen, Mittelohrentzündungen und Asthmaanfälle auf.
  3. Besonders betroffen von den Gefahren des Passivrauchens sind die Angestellten in der Gastronomie.
  4. Ventilatoren und Luftfilter sind nicht dazu geeignet, kleinere Rauchpartikel sowie giftige Gase aus der Raumluft zu beseitigen. Die einzig wirksame Maßnahme zum Schutz vor den Gefahren des „Secondhand Smoke“ ist ein Rauchverbot in Innenräumen.
  5. In den USA ist die Tabakrauchbelastung der Bevölkerung dank der Schaffung rauchfreier Zonen in öffentlichen Einrichtungen und Gaststätten in den vergangenen 20 Jahren deutlich zurückgegangen.

Vor zwei Jahrzehnten hatte der damalige Surgeon General C. Everett Koop die erste Dokumentation über „die gesundheitlichen Folgen des unfreiwilligen Rauchens“ herausgegeben. Seitdem sind Hunderte neuer toxikologischer und epidemiologischer Studien hinzugekommen, die nun in dem Carmona-Bericht zusammengefasst werden. Demzufolge gilt heute als empirische Gewissheit, was früher nur vermutet werden konnte: Zigaretten sind nicht nur für Raucher eine tödliche Gefahr. Allein in den USA wird die Zahl der passivrauchbedingten Todesfälle beim Lungenkrebs auf 3.400 Personen pro Jahr und bei der koronaren Herzkrankheit auf 46.000 geschätzt. Hinzu kommen rund 430 Fälle von plötzlichem Kindstod.

Im Dezember letzten Jahres veröffentlichte das Heidelberger Krebsforschungszentrum (DKFZ) gemeinsam mit dem Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster vergleichbare Zahlen. Demnach sterben hierzulande jedes Jahr rund 3.300 Nichtraucher an den Folgen des Passivrauchens. Das Medienecho auf die Studie des DKFZ war enorm, doch schon bald wurde Kritik an ihrer Methodik laut. In der ‚Zeit’ vom 17.12.2005 mokierte sich Kathrin Zinkant darüber, dass knapp zwei Drittel der geschätzten 3.300 Passivrauchtoten 75 Jahre alt oder älter sein sollen. Wie viele Angehörige ihres eigenen Jahrgangs an den Folgen des Passivrauchens sterben müssen, um von einem ernst zu nehmenden Gesundheitsproblem sprechen zu können, verriet die Journalistin nicht.

Er kenne niemanden, der die Heidelberger Studie einmal „gegengecheckt“ habe, sagte Wolfgang Hainer, der Geschäftsführer des Verbands der Cigarettenindustrie (VdC), kürzlich in einer Fernsehdiskussion. Diese Aufgabe hat nun der Technikphilosoph Günther Ropohl übernommen. In der Ausgabe der Deutschen Tabak-Zeitung vom 16. Juni bezeichnet Ropohl die Schätzmethoden der Epidemiologen als „rabulistische Zahlenmagie“. Der Frankfurter Professor, der bislang noch nicht als Gesundheitsexperte in Erscheinung getreten ist, schreibt dazu im Branchenblatt der Tabakindustrie: „Da sterben ein paar Nichtraucher an Lungenkrebs, die irgendwann in ihrem Leben einmal Rauchpartikel eingeatmet haben, und schon behaupten Mediziner, dieses ‚Passivrauchen’ wäre schuld am Lungenkrebs. Dabei müsste die Medizin, wenn sie ehrlich wäre, zugeben, dass eine eindeutige Wirkursache für krankhaftes Zellwachstum bis heute nicht bekannt ist.“ Für Ropohl sind die Raucher die wahren Opfer. Seit der Veröffentlichung des DKFZ seien sie „pogromähnlichen Anfeindungen“ ausgesetzt.

Höhepunkt der angeblichen Hetzkampagne ist aus Sicht der Zigarettenindustrie die Titelgeschichte des ‚Spiegel’ vom 12. Juni. Darin wird nicht nur über die Gesundheitsgefahren des Rauchens für Nichtraucher berichtet, sondern auch über die jahrzehntelangen Bemühungen der Tabaklobby, diese Gesundheitsgefahren durch bestellte Gutachten in Zweifel zu ziehen. Den Spiegel-Bericht hat Richard Gretler, der Vorstandssprecher von Reemtsma zum Anlass genommen, um einen Brief an sämtliche Abgeordneten des Bundestages zu schreiben. O-Ton Gretler: „Untersuchungen, welche zu dem Ergebnis kommen, dass Tabakrauch in der Umgebungsluft ein Gesundheitsrisiko darstellt, unterliegen methodischen Schwächen und belegen, wenn überhaupt, nur ein äußerst geringes Risiko, das z.B. unter dem Krebsrisiko von Mobilfunktelefonieren liegt.“

Wenn man den neuesten Bericht des Surgeon General zugrunde legt, dann kann man solchen Verlautbarungen der Tabaklobby ebenso viel Glauben schenken wie den Proklamationen der Flat Earth Society. Trotzdem zeigt die Methodenkritik der Lobbyisten bei vielen Abgeordneten Wirkung. Detlef Parr, der drogenpolitische Sprecher der FDP, hat sich skeptisch über die Aussagekraft der DKFZ-Studie geäußert. Gemeinsam mit seinem Parteikollegen Rainer Brüderle setzt er sich vehement gegen ein gesetzliches Rauchverbot zur Wehr. „Man sollte die Leute nicht gängeln“, meint auch Laurenz Mayer, der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU. Derselben Ansicht sind die SPD-Politiker Peter Struck, Hans-Ulrich Kose und Klaus Uwe Benneter. Und die Sozialdemokratin Nina Hauer gab Nichtrauchern, die sich durch den Tabakqualm in vielen Kneipen gestört würden, neulich den Rat, doch einfach „zu Hause zu bleiben.“

Wie eng die Beziehungen zwischen der politischen Klasse und der Tabaklobby hierzulande immer noch sind, kann man heute auf dem Sommerfest des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff beobachten. Für das leibliche Wohl der über 2.000 geladenen Gäste sorgen so genannte „Sachsponsoren“. Zu ihnen gehört auch der Verband der Cigarettenindustrie, der die Besucher der Berliner Landesvertretung gratis mit Rauchwaren versorgt.

Die EU-Kommission hat heute eine Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht, um die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Verbot von Tabakwerbung in Medien und auf Großveranstaltungen aus dem Jahr 2003 in Deutschland durchzusetzen. Sowohl die rot-grüne als auch die schwarz-rote Regierung hatte die Umsetzung bislang hinausgezögert und gegen die Richtlinie Klage eingereicht. Schon vor einigen Tagen war deutlich geworden, dass die Bundesregierung die Klage verlieren dürfte. Jetzt reagierte die Bundesregierung schnell und legte einen eigenen Gesetzentwurf zum Werbeverbot vor. Wodurch die Klage vermutlich nicht wird.

Beim Rauchverbot ist man allerdings noch zögerlicher. Das Gesundheitsministerium will hierzu keinen Gesetzentwurf zum Schutz der Nichtraucher in der Öffentlichkeit vorlegen, sondern die Entscheidung des Bundestags abwarten.