Keine Beweise gegen den Irak

Auch nach der Rede von George W. Bush vor den Vereinten Nationen bleiben die USA Beweise für ihre Anschuldigungen gegen den Irak schuldig und halten an der Taktik des Präventivkrieges fest

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Noch unter dem Eindruck des Gedenkens an die Terroranschläge am 11. September 2001 trat der US-Präsident am Donnerstag vor die Vereinten Nationen, um das weitere Vorgehen gegen den Irak darzulegen . Allein der emotionale Bonus kam Bush dabei zugute, Beweise für seine neuerlichen Vorwürfe legte er indes nicht vor. Derweil wird der Ton auf allen Seiten schärfer. Nicht nur gegen den Irak setzte Bush in seiner Rede ein Ultimatum. Auch gegen die Vereinten Nationen erhöhte der US-Präsident den Druck. Die US-Regierung habe sich entschieden, der wachsenden Gefahr (durch den Irak) nicht länger zuzusehen, und würde daher auch präventiv einem Einsatz biologischer Waffen durch Bagdad zuvorkommen. Die Mitglieder der UN hätten nun die Möglichkeit, sich der US-Linie anzuschließen.

"Wir dürfen nicht vergessen", so Bush, "dass die Vereinten Nationen gegründet worden sind, weil der Friede der Welt niemals wieder von der Bösartigkeit eines Mannes zerstört werden sollte. ... Ein Regime, das seine Legitimität verloren hat, wird auch seine Macht verlieren." In Diplomatenkreisen wurde die Rede als Bestätigung für bevorstehende Angriffe angesehen, zumal Bush eine UN-Resolution gegen den Irak "innerhalb von Tagen oder Wochen" forderte. Auch das Abgeordnetenhaus suchte Bush einen Tag später unter Zugzwang zu setzen: "I can't imagine an elected member of the United States Senate or House of Representatives saying, 'I think I'm going to wait for the United Nations to make a decision. It seems like to me that if you're representing the United States, you ought to be making a decision on what's best for the United States."

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, setzte in seiner Stellungnahme hingegen deutliche Akzente gegen die Position des US-Präsidenten. Ein Angriff auf den Irak ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat lehnte Annan entschieden ab. In gewohnt moderatem Ton erklärte er: "Eine Macht, die im Einklang mit der internationalen Gemeinschaft vorgeht, wird effektiver sein, weil sie beweist, dass sie die gemeinsamen Werte teilt." Ein unilaterales Vorgehen habe das Gegenteil zur Folge. Annans Rede könne als "freundliche Warnung an die USA verstanden werden", werden Diplomaten in Spiegel-Online zitiert.

Einladung nach Bagdad

Parallel zu der rapide zunehmenden Kriegsgefahr wurden in Bagdad eine diplomatische Gegenoffensive begonnen. So lud der irakische Nationalkongress US-Kongressabgeordnete ein, um sich von der Lage vor Ort zu informieren. Bereits am 5. August hatte der Sprecher der Nationalversammlung Sa'dun Hammadi die US-Politiker eingeladen, in Begleitung von Experten in den Irak zu kommen, um zu überprüfen, ob das Land tatsächlich über ein Programm zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen verfügt. Hammadi hat nun die Einladung an diejenigen Senatoren erneuert, die sich in den letzten Wochen kritisch zu einem US-Krieg gegen den Irak geäußert haben. Die irakische Regierung werde dafür sorgen, dass eine entsprechende Delegation aus Washington ihre Untersuchungen effektiv durchführen könne, so Hammadi. Am Wochenende brach der Demokratische Abgeordnete Nick Rahall nach Bagdad auf, um "ein Zeichen zu setzen, dass nicht alle nach Krieg schreien" und "die Vernunft siegen muss".

Bestätigt wurde inzwischen von Scott Ritter, dem ehemaligen Chef der UN-Waffeninspekteure, dass seine Mitarbeiter Anfang der neunziger Jahre Informationen aus dem Irak an die USA und Großbritannien weitergegeben haben. Damit ist der Hauptvorwurf aus Bagdad bestätigt, dass die UN-Mitarbeiter sich der Spionage schuldig gemacht haben. Noch vor wenigen Tagen hatte der irakische Außenminister Tariq Aziz wiederholt erklärt, einige der Inspekteure hätten damals Ziele ausgemacht, die während der folgenden Angriffe tatsächlich ins Visier genommen wurden. Nach der Erkenntnis habe man die Inspekteure damals ausgewiesen, obgleich sie nach internationalem Recht hätten festgenommen werden können. Ritter entschuldigte sich für das Fehlverhalten seiner Mitarbeiter in einer Rede vor der irakischen Nationalversammlung. Gleichzeitig forderte er den Irak auf, die UN-Waffeninspekteure ohne Vorbedingungen wieder ins Land zu lassen. "Es gibt hier keine Massenvernichtungswaffen mehr," sagte Ritter, nach dessen Angaben der Irak bis 1998 zu 95 Prozent abgerüstet wurde.

Nur Vermutungen über biologische Waffen im Irak

Unbeeindruckt gab sich der UN-Botschafter des Iraks auf Bushs Ankündigungen. Im Falle eines Angriffes werde sich sein Land "entschieden zur Wehr setzen", sagte Mohammed Aldouri nach der Stellungnahme des US-Präsidenten. Deutliche Warnungen gingen auch an Israel. Sollte sich Tel Aviv an einem Krieg gegen den Irak beteiligen, werde es mit Angriffen rechnen müssen. Das israelische Gesundheitsministerium hatte bereits im August begonnen, etwa 1.500 Beschäftigte im Gesundheitswesen gegen Pocken zu impfen. Diese vorläufige Maßnahme betrifft vor allem diejenigen, die bei einer Ausweitung dafür zuständig wären, andere Einsatzkräfte zu impfen. Das könnte dann bis zu 150.000 Soldaten, Polizisten und medizinische Kräfte betreffen.

Dabei gibt es nicht nur nach irakischen Angaben keine Beweise für das Bestehen biologischer Waffendepots. Alle entsprechenden Behauptungen - vor allem aus Washington und London - beziehen sich auf ehemalige Lager, die heute nachweislich aber nicht mehr bestehen. Hans Blix, der Leiter der neuen Mission von UN-Waffeninspekteuren, bezeichnete die Kriegsdrohungen gegen den Irak vor diesem Hintergrund als kontraproduktiv.:"Wenn die Irakis die Situation so einschätzen, dass eine Invasion unausweichlich bevorsteht, dann könnten sie zu dem Schluss kommen, dass es auch keinen Sinn macht, Inspektionen zuzulassen", sagte der UNMOVIC-Chef Mitte August im Interview mit der BBC.

Eine von Bush vorgegebene Eile ist weder notwendig noch sinnvoll. "Sicherlich sollten nicht weiter Monate und Jahre unnütz verstreichen, aber es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt in Hektik zu verfallen. Der Golfkrieg 1991 hat gezeigt, dass die irakische Regierung Biowaffen nicht beliebig einsetzt und sehr wohl um die politischen (und militärischen) Konsequenzen weiß", heißt es in einer Einschätzung der Rüstungsexperten des Sunshine Projekt.

Die Chemiewaffenangriffe des Iraks in den achtziger Jahren fanden seinerzeit nach Angaben der New York Times mit Wissen der damaligen US-Regierung statt. Damals konnte die irakische Führung also sicher sein, wegen des Einsatzes von Chemiewaffen nicht international gemaßregelt zu werden. Die Situation ist jetzt eine völlig andere, es muss mit einem vernichtenden Schlag gegen Bagdad - möglicherweise sogar unter Einbeziehung von Nuklearwaffen - gerechnet werden, falls biologische Waffen vom Irak eingesetzt werden. "Deshalb gibt es keinen Grund für die Annahme, dass Saddam Hussein in nächster Zeit Gebrauch von Massenvernichtungswaffen machen wird, so er sie denn überhaupt zur Verfügung hat", urteilen die in Hamburg ansässigen Experten.

Es müsse die nötige Zeit genommen werden, "intelligente Wege zu entwickeln, die UN-Waffeninspektoren wieder zurück in den Irak zu bekommen". Eine intelligente scheint derzeit aber zumindest in den USA einer militärischen Lösung zu unterliegen. Eine Gruppe internationaler Politikexperten hat laut Washington Post einen "Alternativplan" entworfen. Danach sollen unter einem UN-Mandat 50.000 Soldaten die UN-Inspektionsteams in den Irak begleiten und einen ungehinderten Zugang überall im Irak garantieren. In diesem Fall wäre der Krieg vorprogrammiert.