Keine Gewalt ist auch keine Lösung

Seite 2: Hingehen, wo es weh tut

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Natürlich kann man am Film von Julia von Heinz ein bisschen herummäkeln - doch die Stärken des Films fallen weitaus mehr ins Gewicht: Sie liegen in dieser Geschichte und in einer Menge sprechender Details, sie liegen darin, mit der Stadt Mannheim einen facettenreichen, hochinteressanten Schauplatz gewählt zu haben, der vom deutschen Kino bislang fast komplett übersehen wurde.

Sie liegen auch in einer Schauspieler-Riege mit vielen unbekannten Gesichtern, die durchweg sehr gut spielen. Neben der Hauptdarstellerin Mala Emde als Luisa sind hier Noah Saavedra und Tonio Schneider hervorzuheben. Außerdem der Österreicher Andreas Lust, der einen desillusionierten Veteranen der Antifa spielt.

Defizite gibt es allerdings im Ästhetischen: Nicht so sehr in der Inszenierung des Einzelnen, als im grundsätzlichen Fehlen einer durchgängigen Filmsprache und einer erkennbaren Regie-Haltung. Immer wieder bleibt es beim Bebildern der Ereignisse, und es gibt eher wenige Momente, in denen alles über nackten Realismus hinausreicht.

In manchen Momenten hat dieser Film die Qualitäten der besseren Werke von Fatih Akin: In der unmittelbare Sinnlichkeit, der Bereitschaft, direkt in Emotionen hineinzugehen, Blut, Schweiß, Tränen und andere Körperflüssigkeiten nicht auszusparen, sondern zu zeigen. In der Fähigkeit, nicht zu glätten, sondern "gritty" zu sein.

Auf eine gewisse Weise ist dieser Film ein Kino, das man, wenn man es nicht besser wüsste, als "Macho" skizzieren würde - was nebenbei gesagt nur die Grenzen solcher Charakteristika aufzeigt. Zugleich läuft der Film manchmal auch in Gefahr, in ähnliche Fallen zu tun zu tappen. Dass nämlich die Emotion schon für die Sache selbst genommen wird, dass es in erster Linie um ein Ausstellen von Leidenschaft und Passion geht, es aber manchmal unklar werden kann, wofür ein Aktionismus agiert.

Ein Pathos der Tat ist nicht etwas, was man der Antifa vorwerfen muss - der Regisseuren könnte man es an einigen Stellen vorhalten. Zudem nehmen am Ende nicht nur die Widersprüche der Figuren und ihrer Situation zu, sondern auch die des Films. Man glaubt zu spüren, dass die Regisseurin so hin und hergerissen war, wie ihre Hauptfigur, man glaubt zu erkennen, dass ein anderes Ende möglich gewesen wäre: Vielleicht weniger unentschieden, vielleicht mit dem Mut, mit den moralischen Konventionen des deutschen Films und der ihn stützenden Fernseh-Redaktionen zu brechen.

Deutsche Filmförderer

Es ist diesem Film auch anzusehen, dass er von den deutschen Filmförderern nicht wirklich gewollt wurde. Und zwar nicht, weil die deutschen Förderer so hervorragend sind, und sich einen viel besseren Film vorstellen können. Sondern weil sie sich nur einen viel schlechteren vorstellen konnten, und alles darangesetzt haben, auch diesen Film schlechter zu machen: Sie haben viel zu wenig Geld gegeben, sodaß der Film am Ende in Deutschland nicht (komplett) finanziert werden konnte. Sondern nur mithilfe von französischem Geld. Insgesamt war das Budget auch am Ende zu niedrig - dass man in NRW nicht drehen konnte, wurde zum Glück für Mannheim, wo der Film stattdessen gedreht wurde.

Noch schwerer wiegt: Die unendlich lange Zeitdauer einer quälenden und quälend langsamen Produktionsgeschichte: Die erste Drehbuchfassung zu diesem Film lag dem WDR im Jahr 2002 vor - also arbeitet Julia von Heinz seit mindestens 18 Jahren an dem Stoff. Seitdem wurden die Drehbücher und Geschichten andauernd umgeschrieben, an allem Möglichen herumgemäkelt.

Weil dieser Film offensichtlich über den ästhetischen und dramaturgischen Horizont der Gremien hinausgeht und ihnen moralisch-politisch nicht in den Kram passt. Die Zähigkeit der Regisseurin, die hier auch ihre persönliche Biographie verarbeitet und auch darum trotz aller Hindernisse an ihrer Vision festhielt, bis einschließlich zu dem subtilen, sprechend offenen Ende ihren Film gemacht hat, ist hochrespektabel - und macht allein den Film schon sympathisch. Die Regisseurin geht inhaltlich, moralisch wie politisch dahin, wo es weh tut: Zu den Debatten um Gewalt und der Frage, wann diese gerechtfertigt sein könnte.

Zwar zeigt der Film eine Hauptfigur, die der Gewalt - so scheint es am Ende - abschwört. Aber eines macht dieser Film angesichts der alltäglichen Gewalt der Rechtsextremisten sehr klar: Keine Gewalt ist auch keine Lösung.