Keine Irrtümer, sondern Ideologie
Der deutsche Muster-Amerikaner Roland Emmerich versucht sich an nationaler Mythenstiftung
Drei Bilder bleiben im Gedächtnis: eine brennende Kirche voller Menschen ohne Fluchtweg, der düstere Blick eines zynischen Briten-Offiziers, der gleich weitere Unschuldige töten wird, und Mel Gibson, mit einem Tomahawk wie ein Metzger herumfuchtelnd, blutbesudelt im Tötungsrausch, wie er in Slow-Motion ein Dutzend Engländer massakriert.
Ein Held zu werden war noch nie ganz einfach, nicht mal in Hollywood. "Friendly Persuasion" hieß ein Film von William Wyler aus dem Jahr 1956, aus jener Zeit, als im US-Kino das Wünschen noch geholfen hat. Wyler, der aus Deutschland nach Amerika geflohene Jude, erzählt von einer religiösen Minderheit, einer Quäker-Familie. Pazifist aus Überzeugung verbietet der von Gary Cooper gespielte Familienvater zunächst das patriotische Engagement seiner Kinder im US-Bürgerkrieg. Doch als böse Südstaatentruppen seine Farm überfallen, muss auch er kämpfen und hohe Opfer bringen.
Kämpfen lernen und sterben lernen - das sind zwei der wichtigsten Dinge, die Hollywood-Helden leisten müssen. Auch Roland Emmerichs "The Patriot" beginnt wie ein Film aus den 50er Jahren: Man sieht friedliches Landleben, Felder, golden wie aus der Mais-Reklame, und fröhlich singende, schwarze Sklaven - den Auftakt bildet die Suggestion von Frieden und Rassenverständnis, eine falsche Idylle, wie man sie so im Kino der 90er lange nicht gesehen hat.
Jeder Zuschauer weiß, was ihm jetzt bevorsteht: Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg wird ausbrechen, und Mel Gibson alias Benjamin Martin wird ihn gegen die britischen Kolonialherren gewinnen. Ein neuer Sommer-Blockbuster eben, ein Hollywood-Heldenepos, das ganz von seinem Star und dessen heroischen Taten lebt. Wie aber der deutsche Regisseur Roland Emmerich diese an sich banale und inhaltlich eher unergiebige Geschichte inszenieren würde, mit welchen Tricks und Einfällen er der Kassenkonkurrenz, allen voran Wolfgang Petersens "Perfect Storm" Paroli bieten würde, das war die Frage.
Mit simplifizierender Schwarz-weiß-Malerei mit Schablonenhaftem, mit simplifizierendem US-Patriotismus musste man rechnen: So begegnet man lauter edlen Kolonisten, die nichts anderes im Kopf haben, als die Freiheit ihres Landes. Doch schnell gibt es die erste Lektion: Mit revolutionären Idealen, aufklärerischer Mündigkeit, überhaupt mit dem ganzen intellektuellen Krimskrams hat es Martin nicht so: "Ich bin ein Vater, ich kann mir Prinzipien nicht leisten" weist er die Theorie in die Schranken und verweigert den Dienst an Waffe und Vaterland. Er weiß, wovon er spricht, die Spuren seiner vergangenen Sünden ruhen wohlverwahrt zu Haus in einer Truhe. Doch wie einst für Gary Cooper, folgt auch hier die Strafe für solche Weichei-Moral prompt. Nur fünf Filmminuten später wird seine Farm von britischen Dragonern heimgesucht und eines von sieben Kindern gemordet. So hat nun Martin die Gerechtigkeit des Krieges am eigenen Leib erfahren und wir Zuschauer sind endlich über die wahre Keimzelle allen Patriotismus informiert: Rache und persönliche Betroffenheit - die Geburt der Vaterlandsliebe aus dem Geist der Vaterliebe.
Als Martin seinen Ältesten befreien muss, der von den Briten gefangen wurde kommt es zu der anfangs beschriebenen Szene: "Herr, führe meine Hand in diesem Krieg" betet er, wirft sich wie entfesselt auf seine Feinde, und befreit den Sohn. Die Engländer nennen ihn jetzt nur noch "Geist".
Wie Emmerich die Kämpfe inszeniert, ist bemerkenswert. Nicht weil die Schlachtszenen besonders aufregend wären. Nie erreichen sie das choreographische Format, mit dem Stanley Kubricks "Barry Lyndon" dem siebenjährigen Krieg Gestalt gab. Sondern weil Emmerich das genrebedingte Gut-Böse-Schema zu seltener Dreistigkeit zuspitzt: Gibson selbst tritt fortan nur noch mit einem Kragen auf, in dem er aussieht, wie ein Priester. Unverwundbar und mit schelmischem Augenzwinkern wandert er zwischen den Schlachtreihen. Und die US-Fahne flattert ihm voran. Mal wird sie von einem idealistisch guckenden Jungen gerettet, mal ist sie zerschlissen und wird geflickt, immer erklingt dazu schwelgerische Musik. Im Prinzip funktioniert dieser Held als Ein-Mann-Kampfmaschine, ein Rambo des 18.Jahrhunderts. Passenderweise ist ihm die Frau vor Filmbeginn weggestorben, und nur einmal darf er für kurze zwei Minuten flirten - eine Alibi-Szene, um jedem Verdacht auf Homoerotik vorzubeugen. Helden ohne Familie, ohne ernsthafte erotische Versuchungen trifft man neuerdings öfters im US-Kino. Ist das der neue Puritanismus der Baby-Boomer, oder soll der Held als Projektionsfläche rein gehalten werden? Schon in "Barveheart" war Gibson war so einer, und derzeit fightet gerade der "Gladiator" als einsamer Wolf durchs Kino, auch so eine von Rache beseelte Kampfmaschine.
Wie in "Gladiator" gilt auch hier das Führerprinzip: Alles steht unter dem Kommando des Helden, blinde Gefolgschaft wird als Kameradschaft verkauft. Dass Martin keine uniformierte Truppe, sondern eine Miliz kommandiert, ist kein Zufall. Sein patriotischer Volkssturm, der keine Ränge kennt, nur einen Boss und für Proletarier wie Schwarze gleichermaßen Plätze freihält, nimmt jene Klassen- und Rassenintegration vorweg, die sich rechtlich erst 100 Jahre später vollzog, und in der Praxis bis heute auf sich warten läßt. So erzählt Emmerich seine Variante des US-Gründungsmythos als Mischung aus Guerillakampf und Nation-Building. Und "Der Patriot" pervertiert die an sich gar nicht verwerfliche Idee des - integrativen - Patriotismus, der sich auf ein Vaterland der Ideen bezieht, zum - ausschließenden – Nationalismus, für den jeder Brite per se Feind ist. Oder noch mehr: Denn die Bildsprache, in der jener Feind gezeichnet wird, erinnert unzweideutig an die Untaten der Nazis. Nicht allein durch die mit keinem rationalen Kalkül gerechtfertigte Gnadenlosigkeit, sondern durch bestimmte Motive: Vor allem die voll besetzt in Brand gesteckte Kirche, in der viele Frauen und Kinder sterben, zitiert die Ikonographie des Holocaust: Engländer als Waffen-SS, Amerikaner als deren jüdische Opfer - das ist geschmacklos, nicht nur, weil es ein deutscher Regisseur verantwortet.
Eine zweite Lesart: Wenn die Briten hier - historisch völlig falsch - jeden Zivilisten als potentiellen Partisanen töten, und im Hinterland der eigenen Front "verbrannte Erde" hinterlassen, tun sie genau das, was die US-Truppen einst mit Vietnam machten - ergo sind die US-Patrioten die Vietnamesen von einst.
Wie historisch falsch das ist, wie sehr die Briten kein Außen, sondern ein Innen waren, muss nicht betont werden. Nur sind dies keine Irrtümer, sondern Ideologie. Denn wo die Briten nicht als Neo-Nazis gezeichnet werden, erlebt man sie als Decadents, als verweichlichte "letzte Menschen" (Nietzsche) der Zivilisation und Gegenstück zu allen kernigen US-Rebellen. Die britische Kolonialmacht steht hier - wie schon in "Braveheart", wie das "Rom" des "Gladiator", mit dessen existentieller Düsternis "The Patriot" viel verbindet – für "Zivilisation" und "absoluten Staat" (Staat heißt hier so etwas wie politischer Willensakt) im Sinne Hegels. Die Amerikaner sind demgegenüber auch deswegen Miliz, also keine reguläre Armee, weil sie eben nicht als Teil eines bloß anderen Staates geschildert werden sollen, sondern als Ausdruck einer neuen politischen Idee - die allerdings nicht dem 18.Jahrhundert, sondern unserer Gegenwart entstammt. Sie stehen für den schlichten Anarchismus einer reinen "negativen Freiheit von", für die abfallende Linie eines allzu "amerikanischen" Naturzustands-Individualismus von Thoreau bis hin zu denOklahoma-Attentätern - als ein nicht mehr neoliberales, sondern rechts-libertäres Zurück in die Wälder verstanden, zurück zur Farm an der "frontier", in der ein Mann mit Waffe Haus und Familie vor allem Außen schützt.
Roland Emmerich hat keinen harmlosen Unterhaltungsfilm gedreht. Vielmehr versuchte er sich gemeinsam mit Drehbuchautor Robert Rodat (zuletzt der ebenfalls politisch und ästhetisch nicht gerade zimperliche "Saving Private Ryan") an nationaler Mythenstiftung. Das Holzschnittartige, das schlecht erzählte, absolut vorhersagbare und über drei Stunden nur noch Behäbige des Films verstellt das eigentlich Problematische. Die Naivität dieses Heldengesangs ist nicht das Problem. Vielmehr seine Ideologielastigkeit, denn die hat nichts mit dem "war of independence" und alles mit unserer Gegenwart zu tun: In seinem sinn- und orientierungslosen Suhlen in Gewalt, noch mehr in all seiner - ästhetischen, politischen und historischen - Schamlosigkeit ist "The Patriot" nahe am kulturellen Unbewussten der Neuen Rechten, diesseits wie jenseits des Atlantik. Die Tatsache, dass Roland Emmerich selbst wahrscheinlich vor allem gedankenlos ist, macht das alles nicht besser.