Keine Kinderkrankheit: Was bei ADHS im Gehirn passiert

Grafik: "Gläserner" Frauenkopf mit sichtbaren Hirnwindungen

Keine Laune, sondern neurobiologische Ursachen: Menschen mit ADHS sind leicht ablenkbar. Symbolbild: Pixabay Licence

Schwere Konzentrationsprobleme: Als Ursache gilt eine Störung der Neurotransmitter-Chemie. Doch es gibt Möglichkeiten, sie zu überlisten.

Konzentrationsstörungen, leichte Ablenkbarkeit, kurze Aufmerksamkeitsspanne: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) führt bei Kindern und Jugendlichen oft zu schlechten schulischen Leistungen, ohne dass eine Intelligenzminderung vorliegt.

Sie wirken im Unterricht oft desinteressiert – und wahlweise übermüdet oder "zappelig". Bei hyperaktiver Ausprägung ist umgangssprachlich vom "Zappelphilipp-Syndrom" die Rede; ohne diese Ausprägung überwiegt als Kernsymptom Unaufmerksamkeit.

ADHS und Hyperfokus: Hohe Konzentration und ihr Preis

Wenn sie sich für etwas begeistern, ist ihre Auffassungsgabe schnell, aber in Tests fällt ihnen oft die strukturierte Verarbeitung schwerer. Es sei denn, es gelingt, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration im Hyperfokus auf ein bestimmtes, in ihren Augen wichtiges und spannendes Thema zu lenken. Allerdings sind sie dann für Stunden oder Tage kaum ansprechbar und vergessen alles um sich herum.

Diese Fähigkeit haben zunächst nicht alle ADHS-Betroffenen – wo sie vorhanden ist oder durch Training entwickelt wird, kann sie zu Höchstleistungen, aber langfristig auch zu Burnout-Symptomen führen. Denn oft wird im Hyperfokus bei ADHS zu spät bemerkt, wann das Gehirn eine Pause braucht.

Im Hyperfokus wird die Störung zwar "ausgetrickst", um die spannende Aufgabe zu lösen; sie macht sich dann aber zum Beispiel dadurch bemerkbar, dass die Betroffenen vergessen zu essen oder zu trinken.

Wie bei ADHS die Reizfilterschwäche entsteht

Grundsätzlich gilt aber: ADHS ist keine Laune, sondern es gibt neurobiologische Auffälligkeiten im Gehirn der Betroffenen. Als Ursache wurde ein gestörtes Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe festgestellt: Dopamin und Noradrenalin spielen hier eine entscheidende Rolle.

Diese Neurotransmitter sind für die Informationsübertragung in den Nervenzellen wichtig. Ein Dopamin-Mangel im "synaptischen Spalt" behindert die Informationsweiterleitung zwischen den Nervenzellen.

Dadurch entsteht eine Reizfilterschwäche: Äußere Reize können dann schlecht gefiltert werden, was zu einer ständigen Reizüberflutung und leichteren Ablenkbarkeit führt. So entstehen typische ADHS-Symptome wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.

Teile des Gehirns entwickeln sich bei ADHS leicht verzögert

Als "Kinderkrankheit" gilt ADHS inzwischen nicht mehr. Obwohl Erwachsene zum Teil erfolgreiche Strategien gefunden haben, damit umzugehen – und obwohl bildgebende Verfahren zeigen, dass Hirnareale, die bei betroffenen Kindern statistisch minimal kleiner sind als bei Gleichaltrigen, in der Regel bis zum Erwachsenenalter nachreifen.

Leicht in ihrer Entwicklung verzögert seien Regionen im Stirnhirn, solche im Scheitel- und Schläfenlappen sowie im Kleinhirn und in den Basalganglien, so die Psychiaterin Alexandra Philipsen.

"Man muss dazu sagen, dass es sich zum Teil nur um Bruchteile von Millimetern handelt. Bis zum Erwachsenenalter gleichen sich die Unterschiede in der Regel wieder aus", betonte Philipsen 2023 in einem Interview mit der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft. Vollständig verschwinden die Symptome aber im Erwachsenenalter nur bei 20 Prozent der Menschen, die in der Kindheit eine ADHS-Diagnose erhalten.

Psychiaterin: Tausende Risikogene für ADHS

ADHS ist laut Philipsen "stark genetisch beeinflusst, wobei nicht ein Gen, sondern Tausende Risikogene zusammenspielen". Die Forschung sei noch weit davon entfernt, zu verstehen, welche Varianten für welche Effekte verantwortlich sind, sagte Philipsen in diesem Jahr der Pharmazeutischen Zeitung. "Ein Teil der Varianten ist aber mit der frühen Hirnentwicklung assoziiert."

Sie spricht von großen Überschneidungen mit anderen psychischen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen, vor allem Depressionen, Autismus-Spektrum- oder Schlafstörungen, aber auch kardiovaskulären und andere körperliche Erkrankungen.

Komorbiditäten, also Begleiterkrankungen, seien bei ADHS nicht selten. Bevor Medikamente verabreicht werden, sollte dies bedacht und auf mögliche Neben- und Wechselwirkungen geachtet werden. Zunächst sollte nach einer ADHS-Diagnose eine ausführliche Aufklärung und Beratung zur Erkrankung selbst und zum therapeutischen Vorgehen erfolgen.