Keine Wallpaper, ein wüstes Durcheinander von Icons und ein chaotisches Startmenü
Was der Desktop über die Psyche verrät
Wenn er frisch aus der Verpackung kommt, hat er was von einem Neugeborenen. Abschlecken, würde die Kuh mit rauer Zunge empfehlen. Aber auch so nimmt der Computer einiges von uns an. Brösel, Haare, Hautstückchen, Körperflüssigkeit - Geruch? Fast zwei Gramm Dreck und Abfall im Monat sammeln sich dank Benutzer unter den Tasten an, ergab eine Untersuchung (vgl.Die Geheimnisse der Tastatur). Laut BBC haben Psychologen nun herausgefunden, dass Computer auch unsere inneren Werte aufnehmen und widerspiegeln.
Desktops sagen angeblich mehr über einen Menschen als reale Schreibtische. Dabei sind die Einsichten der Psychologen wieder einmal so originell, dass wir sie nicht verschweigen dürfen:
"Schau mich an, ich kann's mir leisten, ich hab den teuersten, den größten, den längsten, den härtesten, den schärfsten", erklärt Psychologe Williams BBC News: "Dieses Macho-Zeug eben". Uuuh. Aufs Ätzendste entlarvt sind damit die download everything to show off-Typen mit den tausend Icons. Erbärmlich, wir haben es ja immer schon gewusst.
Meister Williams Schlüsse sind ebenso hintergründig wie unbestechlich: "Möglicherweise ist jemand, der einen eher leeren, nüchternen Desktop hat, naiv, was Technologie angeht." Und: "Jemand mit einer Menge whizz bang stuff auf dem Desktop ist ein echter Technikfreak." Das ist noch nicht alles: "Wer lustige Bilder oder Spielzeuge auf/in seinem Computer hat, verbringt viel Zeit mit seinem Computer und will sagen: Dies ist mein Territorium, schau nur, wie aufregend und dramatisch es ist."
An der Anordnung der Icons erkennt der gewitzte Psychologe, ob es sich um einen aktiven oder einen reaktiven Menschen handelt. Wie er das genau austüftelt, verrät er jedoch nicht. Aber wir erfahren, dass der Arbeitsplatz zweifelsfrei über Prioritäten und Vorlieben aufklärt. Und vergessen Sie nie: "Maus-Pads sagen viel, nicht nur über Ihre Interessen, sondern auch über Ihr Wertesystem"
Weil Ben Williams ein teurer Psychologe mit vielen aufregenden und dramatischen Aufträgen ist, musste er auf eine Desktop-Analyse der BBC-Leser verzichten. Schade, haben sie doch im Forum so getreulich Hinweise auf die Beschaffenheit ihrer Psyche gegeben. Dafür wird Telepolis einspringen. Die Hobby-Psychologen-Faustregel Nummer eins, nämlich dass man am Tipp-Ex auf dem Bildschirm erkennt, dass eine Blondine am Werk war, müsste jeder kennen. Aber was hält man von folgendem:
Mein Desktop zeigt ein Bild von meinem Auto - ein 1980er umgebauter Mini in "pageant blue". Mein Screensaver ist eine Diashow von meinem Auto, auf meinem Maus-Pad ist ein Bild von meinem Auto und die Walls zeigen lauter Minis, Subaru Impretza, Dodge Viper und Aprilia 125 Futura.
Das war leicht: Ein wirklich intelligenter Mensch, der noch dazu witzig, unkompliziert, aufgeschlossen, vielseitig interessiert, neugierig, oberflächlich, flatterhaft und untreu ist. Ganz anders als dieser sehr loyale Kandidat:
Auf meinem Desktop - Bryan Ferry - noch Fragen?
Menschen, die ihre Wallpaper ständig wechseln, weil sie alle zwei Tage einen neuen Lieblingsschauspieler haben, sind möglicherweise auch im Privatleben weniger beständig. Wie sieht es denn nun mit den Icons aus?
Als IT-Experte hab ich immer einen sauberen und aufgeräumten Desktop. Ich hab ein paar Shortcuts zu meinem Code und meinen Test-areas und ein paar zu Anwendungen, die ich häufig brauche wie Visual Basic und Microsoft Access. Bin ich deshalb naiv, was Technologie angeht? Vielleicht nicht. Effizient würde ich das nennen.
Volle Zustimmung. Wer im Computer einfach ein Werkzeug sieht, würde eher eine rote Schleife um einen Hammer binden, als seinen Desktop zu verzieren. Windows XP, aber im Win2000/ME Stil gehalten - weniger grell und vollgestopft. Menschen, die unverwüstlich den schönen Dingen des Lebens zugetan sind, treffen freilich eine andere Auswahl:
Ich habe viele schöne Fotos von Sophie Marceau und als Alternative welche von meinen Papageien als Wallpaper. Sie wechseln, je nachdem wie ich gelaunt bin. Die Icons hab ich optisch verändert. Stress Toys umlagern meinen PC
Hat man eine Weile geforscht, stellt man fest, es gibt nachgerade Desktop-Typen. Da wäre..
Der Verschwörungstheoretiker:
Viele Firmen verbieten, dass man seinen Desktop gestaltet oder sie kontrollieren es, so dass Veränderungen nicht gespeichert werden. Also reflektiert der Desktop eher die Paranoia der Firma als die Persönlichkeit des Einzelnen
Der Genussmensch:
Sehr einfacher Desktop, sieben Icons, Wallpaper ist eine Großaufnahme von einer Halben Bier
Die Nervensäge:
Mein Desktop ist eine gehackte Version von Windows XP mit einer transparenten Taskleiste. Im Hintergrund ist ein Foto von meiner Liebsten und mir, das den gesamten Bildschirm ausfüllt, da die Taskleiste ja unsichtbar ist. Die Computer-Icons sind links oben, Job-Icons links unten, Icons, die sich auf Film beziehen, sind rechts oben und Musik ist rechts unten. Auf dem Maus-Pad ist ein Foto von uns (meiner Liebsten und mir) und mein "Wireless Keyboard" bietet Tasten, die mit Funktionen zum Surfen im Internet belegt sind. Der Computer beschreibt, wie ich bin: Erste Priorität hat die Frau, die ich liebe, dann kommt die Arbeit und dann das Entertainment.
Der Kiffer:
Meine Icons sind kreisförmig auf einem Himmelshintergrund arrangiert
Der Agent Provocateur:
Ich arbeite in einem Büro mit lauter Frauen. Mein neuer Computer ist pechschwarz, mit schwarzem Monitor, schwarzer Tastatur und schwarzer Maus. Handgelenkstütze, Maus-Pad und Lampe sind giftgrün. Als eine Kollegin sagte, dass es alle hassen würden, weil es "furchtbar männlich" aussehe, wurde mir klar, dass ich das Richtige gewählt hatte.
...und der Zyniker:
Wenn man wie ich vor 15 Jahren angefangen hat, seinen Desktop zu personalisieren, wird man es nach sieben Jahren müde.
Werfen wir einen Blick auf den Arbeitsplatz eines Telepolis-Autors:
Auf dem Tisch ein großer Sony-Monitor und eine Cherry-Tastatur mit Klick, eine Lampe von Artemide, ein Kasten mit Empfangsteilen der schnurlosen Maus, ein Klebeband, ein Sonnenbrillenetui von Ray Ban, eine Digitalwaage für ebay Verkäufe, ein Buch "Städteverwaltung im römischen Kaiserreich", ein Stapel Pressemitteilungen, darauf ein Schraubenzieher, Notizen zum Sonnensystem, die er sich als Kind gemacht hat, darauf eine leere Kaffeetasse mit Löffel, das Programm Ghost 2001, ein Stapel Kopien für die Dissertation, darauf eine Soul-CD, ein Taschentuch (Heuschnupfen).
Neben dem Tisch drei PCs, zwei Notebooks, zwei Drucker, Server, Videorekorder, Fax, Scanner, Visitenkartenscanner. Die Hintergrundfarbe des Desktop ist azurblau, die Windows Me Originalfarbe, die 60-80 Icons sind ungeordnet eher links auf dem 24 Zöller platziert, den sie zu etwa einem Drittel ausfüllen. Unnötige Icons werden sofort gekillt. Hier findet sich alles Mögliche von Powerstrip, einem Übertaktungstool für Grafikkarten ("Weil ich ein Freak bin, benutze ich es natürlich zum untertakten"), über das Mailprogramm The Bat bis zu zahlreichen Exoten wie der Postpaketeausfüllhilfe 2.11, der CD-Bremse, und HAC4, einem Kilometerzähler-Geschwindigkeitsmesser-Pulsmesser-Höhenmesser-Uhr-Thermometer mit Aufzeichnungsfunktion und Computerauswertung Fahrrad - Zubehör ... Auf die Performance von Bildschirmschoner und Wallpaper wird mit Todesverachtung verzichtet.
Wer jetzt glaubt, dass unser Autor Krawattennadeln aus Kühlrippen trägt und bei der Arbeit Unmengen leckerer BIOS Chips verdrückt, hat vielleicht recht und darf im Freibad weiterrätseln...