Kennedy-Akten bleiben gesperrt
US-Präsident Biden setzt JFK Records Act außer Kraft. Dabei hatte er 1992 als Senator noch für die Regelung gestimmt. Was steckt dahinter?
US-Präsident Joe Biden hat pünktlich zum Fristende am Freitagabend verkündet, dass die Kennedy-Akten nun doch nicht vollständig freigegeben werden. Noch 1992 hatte Biden als Senator den JFK Records Act mitbeschlossen, nach dem sämtliche Behördendokumente über die Untersuchung zum Kennedy-Attentat eigentlich schon 2017 hätten in der President John F. Kennedy Assassination Records Collection veröffentlicht werden müssen.
In den letzten Jahren wurde nach und nach zwar rund 99 Prozent des Materials – zum Teil mit Schwärzungen – freigegeben, die lang erwartete Freigabe sämtlicher Dokumente aber wurde immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten aufgeschoben. Im Rahmen eines "Transparenzplans" soll nun künftig das National Declassification Center über weitere Dokumente im Einzelfall entscheiden.
Die vollständige Offenlegung sei angeblich mit erkennbaren Schäden für die militärische Verteidigung, Geheimdienstoperationen, die Strafverfolgung und die Führung von Außenbeziehungen verbunden, die so schwerwiegend wären, dass sie das öffentliche Interesse an der Offenlegung überwiegen.
Der einstige Ausschussvorsitzende Richter John R. Tunheim, der zwischen 1994 und 1998 Zugriff auf alle Akten hatte, hält dies für Unsinn und hatte Biden im Dezember vehement zur Freigabe aufgefordert. Bereits beim freigegebenen Material ist nur schwer begründbar, warum es überhaupt jemals gesperrt gewesen war.
Die zur Dokumentation des Kennedy-Attentats gegründete Mary Farrell Foundation, die auf Freigabe bestimmter Dokumente klagt, hat nun eine einstweilige Verfügung gegen Bidens Entscheidung beantragt, über die am 13. Juli vor Gericht verhandelt werden soll. Außerdem forderte die Stiftung das Nationalarchiv zur Suche nach weiteren Dokumenten zum Attentat auf, die noch nicht Bestandteil der Untersuchung wurden.
Zum derzeit noch gesperrten Material gehört unter anderem:
- Kennedys Plan, die von einem Nachrichtendienst heimlich zu einer Terrororganisation mutierte CIA neu zu organisieren.
- Teile des Planes zur Operation Northwoods, mit der das (mit den Kennedys verfeindete) Pentagon ein Kriegsgrund gegen Kuba vorgetäuscht werden sollte.
- ein Programm zur psychologischen Kriegsführung, das ausgerechnet Lee Harvey Oswald integrierte.
- die Steuerunterlagen des vorgeblichen "Kommunisten" Lee Harvey Oswald, die den endgültigen Beweis für eine verdeckte nachrichtendienstliche Verwendung Oswalds erbringen könnten.
- Reisedokumente des rechtsextremen CIA-Manns William King Harvey, der das für Kommandoaktionen zuständige Secret Team geleitet hatte und insbesondere eigene Morde als solche kommunistischer Gruppierungen erscheinen ließ.
Anders als vor 30 Jahren kann man heute jedoch nicht mehr von einem Puzzle sprechen oder sich gar naiv an die vielfach widerlegte Erzählung vom kommunistischen Alleintäter halten. Freigegebene Dokumente und Zeitzeugen, die ihr Gewissen erleichterten, systematische Forschung zeichnen durchaus ein schlüssiges Bild von dem, was sich vor rund 60 Jahren in Dallas zugetragen hatte und warum.
Speziell die von der CIA mit bemerkenswert hohem Aufwand betriebenen Schmutzkampagnen gegen den Aktivisten Mark Lane und den Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison lassen gewisse Rückschlüsse zu.
Die wahren Gründe für die Aktensperrung dürfte weniger der Wahrung von Sicherheitsinteressen dienen als vielmehr der Gesichtswahrung beider großer Parteien, des Pentagons und der Ermittlungsbehörden.
So möchten die Demokraten kaum an die Umstände erinnert werden, unter denen sie einst mit Lyndon B. Johnson einen für Korruption verschrienen, rechtsgerichteten und rassistischen Alkoholiker ins Weiße Haus geschickt hatten, wo dieser als Lobbyist für die texanische Öl- und Rüstungsindustrie den sinnlosen Vietnamkrieg ausweitete.
Kürzlich wurde ein unrühmliches Detail des ursprünglich demokratischen Gouverneurs John Connally bekannt, der ebenfalls beim Attentat getroffen wurde, sich aber als guter Texaner weitgehend an die Omertá hielt.
US-Justiz und FBI müssten im Fall der Freigabe aller Akten gegebenenfalls doch noch einräumen, dass sie einen nur dürftig bemänteltem Staatsstreich abdeckten.
Das Militär müsste sich seiner unrühmlichen Geschichte des in den 1960ern mit ultrarechten Generälen besetzten Vereinigten Generalstabs stellen, die einen präventiven Nuklearkrieg gegen die Sowjetunion und China führen wollten.
Auch die Rolle der US-Medien, die sich bereitwillig über das Mockingbird-Programm der CIA zur Propaganda instrumentalisieren ließen, wird kaum zur Stärkung der Moral beitragen.
Biden wird nicht zuletzt aus eigenem Kalkül gehandelt haben. Politischen Profit aus dem Thema könnte etwa Bidens Parteirivale Robert F. Kennedy Jr. schlagen, der die Morde an seiner Familie bei seiner Bewerbung um eine Präsidentschaftskandidatur einsetzen wird.
Von einer Schwäche einer mit ihrer Schattengeschichte konfrontierten Demokraten könnte auch Republikaner Trump profitieren, der derzeit erneut publikumswirksam die Freigabe fordert – die er in seiner eigenen Amtszeit ebenfalls nicht vollzogen hatte.
Der Jahrhundertmord jährt sich diesen November zum 60. Mal.
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