Kennzeichen Deutschland 2014: die Ablehnung der Anderen?
Islamfeindschaft, Abwertung von Asylbewerbern und Antiziganismus - die aktuelle Mitte-Studie der Universität Leipzig zur rechtsextremen Einstellung rührt am feindseligen Angst-und Misstrauens-Muff der Gegenwart
Wirtschaftlich geht es der deutschen Mitte gegenwärtig nicht schlecht. So spiegeln die politischen Einstellungen, welche die aktuelle Mitte-Studie der Universität Leipzig für das Jahr 2014 ermittelt hat, im Großen eine Gesellschaft wieder, die zu gut 90 Prozent Demokratie befürwortet und in der Mehrheit keine auf Neid, Hass und Ressentiments gegründeten Einstellungen hegt. Die Zustimmung zu extremistischen Einstellungen hat in einigen Kategorien im Verlauf der Jahre sogar abgenommen, konstatieren die Verfasser, die ihrer aktuelle Studie den Titel "Die stabilisierte Mitte" gegeben haben. Alles gut? Nein, da gibt es schon grauslige Dämpfe unter dem Sonntagsstaatshemd.
Interessant ist die Studie, weil sie Vergleiche über einen längeren Zeitraum zuläßt. Die erste Erhebung stammt aus dem Jahr 2002. Die Auswahl der Befragten geschieht nach Zufallstichproben und ist dem Anspruch und der Methodik nach repräsentativ. Für die Erhebung Anfang letzten Jahres wurden 4.386 Haushalte ausgewählt, 2.432 ausgefüllte Fragebögen bildeten schließlich die Grundgesamtheit. Insgesamt wurden seit 2002 etwa 19.000 Personen befragt. Das ist schon eine empirische Grundlage.
Die theoretische Grundlage zur Ermittlung antidemokratischer, rechtsextremer Einstellungen bilden Autoritarismusmodelle. Genaueres über Forschungshintergründe zum "Extremismus der Mitte" und über die Wechselwirkungen von Gewalt in unterschiedlichen Erscheinungsformen mit autoritären Dispositionen oder Reaktionsweisen ist in den ersten beiden Kapiteln gut lesbar dargestellt. Einige grundlegende Ansätze dürften den Lesern prinzipiell bekannt sein (vgl. Autoritärer Charakter). Ein zitiertes Forschungsergebnis fällt auf:
Die Deutschen identifizieren sich (…) seit Jahren viel stärker als andere Nationen mit ihrer Wirtschaft.
An der Stärke der Wirtschaft machen die Verfasser, Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brähler, einen "sekundären Autoritarismus" fest. Grobkörnig zusammengefasst sieht der damit verknüpfte psychopolitische Mechanismus so aus: Anstelle eines autoritären politischen Führers setzt die Wirtschaft die Vorgaben für das Handeln der Individuen. Und zwar mit einiger Gewalt, die im Markt spürbar ausgeübt wird: "Auf dem Markt muss sich der Einzelne behaupten oder er wird verworfen."
"Nicht restlos für die Unterwerfung entschädigt"
Da nun die Identifizierung mit der Wirtschaft "nicht restlos für die Unterwerfung entschädigt", entstehe Agression, die, getrieben von einer "autoritären Dynamik", sich nicht an die wirtschaftlichen Vorgaben adressiert, da die Autorität der Wirtschaft zu mächtig ist, sondern gegen Schwache richtet, die sie nicht erfüllen. Oder solche, die diese Erfüllung gar nicht anstreben, "weil sie sich der Autorität entzogen haben" - zumindest in der Phantasie der Aufgebrachten. Der Zorn richtet sich gegen Marginalisierte.
Dass dies nicht bloß am Theorie-Schreibtisch Gültigkeit hat, lässt sich in der Praxis überall dort studieren, wo freimütig über "faule Griechen, überhaupt faule Italiener, durch ihre Mentalität schon faule Südländer, faule Hartz-IV-Empfänger und schmarotzende Zuwanderer und Flüchtlinge" gesprochen wird. In sprachlichen Variationen verschafft sich die Mischung aus Aggression und Pauschal-Abwertung gegenüber suboptimalen Performern auch bei Leistungsträgern und bei gut bürgerlichen Elterngesprächen über schlechte Schüler Luft.
Möglicherweise kann man die Schablone des "sekundären Autoritarismus" auch zum Verständnis der Phänome anlegen, die bei der aktuellen Studie später auffallen. Sie notiert zunächst, wie oben angedeutet, seit 2002 zunehmende Ablehnungen bei den Kernkategorien extremistischer Haltungen. So zeigte sich (S.44 ff), dass die Zustimmung bei der "Dimension "Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur" seit 2002 deutlich zurückgegangen ist, ebenso die Dimension "Chauvinismus" (die aber immerhin für gesamtdeutschland bei 13,6 Prozent liegt), wie auch die Dimension "Ausländerfeindlichkeit (Gesamt aber bei beachtlichen 18 Prozent, in Ostdeutschland bei 22,4 Prozent).
Sehr deutlich ist der Rückgang in der "Dimension Antisemitismus" (S.46), der im Westen von 13,8 Prozent im Jahr 2002 auf 5,2 Prozent 2014 zurückging. Im Osten von 4,8 auf 4,5 mit einem Spitzenausschlag 2012 von 10,4 Prozent. Und insgesamt von 9,3 % auf 5,1 %. Bei den Kategorien "Sozialdarwinismus" und "Verharmlosung des Nationalsozialismus" zeigen sich Schwankungen allerdings mit Werten im einstelligen, niedrigen Prozentbereich.
Beim Zeitverlauf "manifest rechtsextremer Einstellungen" zeigen sich Spitzenwerte von 15,8 im Osten im Jahr 2012, aber abfallende Tendenz im letzten Jahr. Der Wert für den Osten ist auf 7,4 Prozent gesunken, was sich auch in der Gesamtkurve widerspiegelt. Deren Wert lag 2012 bei 9 Prozent und zuletzt bei 5,6. Im Westen des Landes liegt er bei 5,2 (zum Vergleich 7,3 bei der letzten Studie).
Islamfeindschaft, Abwertung von Asylbewerbern und Antiziganismus
Der beunruhigendere Teil folgt diesen Trends auf dem Fuß. Man habe neue Items dazu genommen, heißt es in der Studie, nämlich "zwei zur Islamfeindschaft und zur Abwertung von Asylbewerbern sowie drei für den Antiziganismus, Einstellungen gegen Sinti und Roma. Hier stellen die Verfasser fest, "dass die Islamfeindschaft das neue Gewand für den Rassismus ist" und der Antiziganismus zwischen 2011 und 2014 deutlich gestiegen ist (als zeitliche Vergleichsreferenz wurde hier eine Bielefelder-Studie von Heitmeyer herangezogen).
Nach Ergebnissen der aktuellen Leipziger Studie sprechen sich 36,6 Prozent dafür aus, "dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte". 43 (!) Prozent stimmen zu ("eher" und "voll und ganz" addiert), dass "sie sich durch die vielen Muslime hier wie ein Fremder im eigenen Land fühlen".
Weit mehr als die Hälfte, nämlich 55,1 Prozent der Befragten, stimmten der Aussage zu, dass "sie Problem damit hätten, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten". 47,1 Prozent sind dafür, Sinti und Roma aus den Innenstädten zu verbannen. 55,9 Prozent stimmen zu, dass "Sinti und Roma zur Kriminalität neigen".
76 Prozent lehnten die Aussage ab, wonach "der Staat bei der Prüfung von Asylanträgen großzügiger sein sollte". Und 55,3 Prozent stimmten der Aussage zu, dass "die meisten Asylbewerber nicht wirklich befürchten, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden.
Das ist ein bitteres Bild, das von Angst und Misstrauen zeugt. Vom Marktwettbewerb forcierte Dehumanisierungstendenzen liefern dazu passende Unterströmungen. Auch hier werden wirtschaftlich Marginalsierte zum Objekt feindseliger Stimmungen. Es drängt sich aber auf, die Aussagen, die mehrheitlich Stimmungen oder Stereotype wiedergeben - wie dies von den Fragen nahegelegt wird -, vorderhand mit einer Feindbildproduktion zu erklären, die nach dem Prinzip des "Mehr, Mehr von allem, was funktioniert" seit geraumer Zeit Hochkonjunktur in öffentlichen Äußerungen hat.
Dem Gefühlskitsch, der betrieben wird, um Wähler, Anhänger und Leserschaft zu locken, kommt entgegen, dass jeder fundamental Überzeugte in der täglich neuen Schrift der Nachrichten genug Stellen findet, die seine übelsten Annahmen bekräftigen.
Sonderfall Bayern
Wie die Süddeutsche Zeitung aus einer detaillierteren Darstellung der Leiziger Studie berichtet, fällt das Vorzeigeland Bayern bei manchen Einstellungen als Abweichler auf, negativ.
Jeder Dritte (33,1 Prozent) hier teilt ausländerfeindliche Einstellungen, jeder Achte (12,6 Prozent) stimmt antisemitischen Aussagen zu.
Damit seien ausländerfeindliche und antisemitische Einstellungen in Bayern so weit verbreitet wie in fast keinem anderen Bundesland, so die SZ. Nur in Sachsen-Anhalt fällt nach der ihr vorliegenden Gesamtstudie die Zustimmung zu den ausländerfeindlichen Aussagen mit 42,2 Prozent noch höher aus als im Herrschaftsgebiet der CSU. Der gesamtdeutsche Durchschnitt liegt bei 20 Prozent. In Bayern taugt die "Kontakthypothese" , wonach ausländerfeindliche Einstellungen mit einem höheren Anteil von Ausländern an der Bevölkerung sinken, nicht zur Erklärung angesichts des vergleichsweise hohen Anteils von Ausländern in Bayern.
Möglicherweise passt hier der "sekundäre Autoritarismus", die Identifikation mit einem bayerischen Patriotismus, dessen Vertreter gerne und überall die wirtschaftliche Stärke betonen, was sich insbesondere bei Diskussionen über den Länderfinanzausgleich zeigt, sehr gut. Schon Vierjährige lernen in der Lengrieser Schischule: "Mia san mia". Was die anderen, die "Nicht-Mia" betrifft, so kann man in den Dörfern lernen, dass einer, der seine religiöse Zugehörigkeit nicht in der ortskonfessionsüblichen Tracht zeigt, am Stammtisch unter "Taliban" firmiert. Gerhard Polt und andere Satiriker können in Bayern seit vielen Jahren aus dem Stoff schöpfen, den die Ausländerfeindlichkeit dort bereitstellt.
Und die CSU hat regelmäßig Erfolg mit Kampagnen, die sich zum Freund solcher Einstellungen machen. Mehr noch: Sie betreibt eine aktive einwanderungs- und ausländerablehnende Politik, womit sie Stimmen fängt und gleichzeitig diese Stimmung akzeptabel macht.
Dazu passt, dass sich Bayern auch in der Kategorie "Chauvinismus" hervortat. Mit 26,4 Prozent gab es die höchste Zustimmung in Deutschland. Anzumerken ist aber, dass die Leipziger Untersuchung, anscheinend auch nicht im Studienbericht, welcher der SZ vorliegt, innerhalb der Länder differenziert zwischen Städten und ländlichem Gebiet. In Bayern gibt es viel ländlichen Raum. Dort sind fremdenfeindliche Einstellungen wahrscheinlich eher zuhause, wie auch in anderen Bundesländern und in den Nachbarländern. Der französische Front National macht seine Gewinne nicht in den Metropolen.
Auch bei der Zustimmung zu antisemitischen Aussagen übertrumpfte der Freistaat übrigens mit 12,6 Prozent den Rest Deutschlands.