Kertsch-Krise: Kreml warnt vor Eskalation
Estland will Sanktionen, Österreich erst eine Klärung des Sachverhalts
Nachdem russische Grenzschützer am Sonntag an der Meerenge von Kertsch zwei ukrainische Militärboote und einen ukrainischen Schlepper gewaltsam stoppten, genehmigte das ukrainische Parlament, die Rada, am Montag die vom ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko verlangte Verhängung des Kriegsrechts, das ab heute vorerst 30 Tage lang in mehreren Grenzregionen der Ukraine gelten soll (vgl. Ukraine: Parlament billigt unter Einschränkungen die Verhängung des Kriegsrechts).
Russische Meldungen, dass sich unter den insgesamt 24 vorläufig festgehaltenen Besatzungsmitgliedern der ukrainischen Boote auch ukrainische Geheimdienstoffiziere befanden, wurden inzwischen von ukrainischer Seite bestätigt. Diese Offiziere, so der ukrainische Geheimdienst SBU in seiner gestrigen Stellungnahme dazu, seien an Bord gewesen, weil sie die Marine "nachrichtendienstlich unterstützt" hätten. Einer davon soll durch eine aus der Luft abgefeuerte Rakete verletzt worden sein.
Vorerst zwölf Verfahren und drei Anordnungen von Untersuchungshaft
Dem ukrainischen Außenminister Pawel Klimkin zufolge verhandelt man nun unter Vermittlung des Roten Kreuzes über eine Freilassung der Festgehaltenen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow meinte dazu, die Entscheidung, wer wegen des Verdachts auf illegalen Grenzübertritt und andere Straftaten in Untersuchungshaft genommen wird, und wer nicht, liege bei der Judikative und nicht bei der Exekutive. Die entschied gestern, in zwölf Fällen Verfahren einzuleiten und drei der Festgehaltenen in Untersuchungshaft zu nehmen.
Außerdem äußerte sich Pskow besorgt darüber, dass die Verhängung des Kriegsrechts in mehreren Regionen der Ukraine "zu einer Eskalation der Spannungen in der Konfliktregion im Südosten führen" könnte. Dort haben russischsprachige Separatisten nach dem 2014 erfolgten Machtwechsel in Kiew die zwei Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen, deren Selbständigkeit sie bisher militärisch behaupten können.
Putin telefoniert mit Merkel, Lawrow lehnt Maas-Vorstoß ab
Der russische Staatspräsident Wladimir Putin forderte währenddessen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonisch dazu auf, Einfluss auf die ukrainische Regierung zu nehmen, damit nach der Verhängung des Kriegsrechts diese "keine weiteren unüberlegten Schritte" unternimmt. Merkel ließ nach dem Telefonat mitteilen, sie habe mit Putin "die Option einer Analyse des Vorfalls unter Beteiligung russischer und ukrainischer Grenzschutzexperten" besprochen und wolle "hierzu in engem Kontakt [mit ihm] bleiben".
Den vom deutschen Außenminister Heiko Maas gemachten Vorschlag, die Kertsch-Krise im so genannten "Normandie-Format" zwischen Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich zu besprechen, wies der russische Außenminister Sergej Lawrow nach einem Treffen mit Emmanuel Macrons Außenminister Jean-Yves Le Drian in Paris jedoch zurück. "Sollte es irgendwelche technischen Fragen geben", so Lawrow, "die der ukrainischen Seite nicht ganz klar sind, könnten sie auf der Ebene der örtlichen Grenzbehörden beider Länder erörtert werden".
Die österreichische Außenministerin Karin Kneissl, deren Land derzeit den EU-Vorsitz innehat, wollte nach einem Gespräch mit ihrem deutschen Amtskollegen Heiko Maas mögliche neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht ausschließen, verlangt aber, dass vorher geklärt wird, was am Sonntag überhaupt geschah und wer welche Verantwortung dafür trägt. Aktuell stehe da nämlich "Aussage gegen Aussage". Allerdings mehren sich die Aussagen, was das Bild teilweise klarer erscheinen lässt. Potenziell aufschlussreich erscheint unter anderem Klimkins Schilderung, die Russen hätten die noch im September durchgelassenen ukrainischen Boote trotz vorheriger Anmeldung sieben Stunden lang warten lassen. Unter solchen an Behördengänge und Provider-Hotlines erinnernden Bedingungen scheint es nicht ausgeschlossen, dass bei Entscheidern "Sicherungen durchbrannten".
Für den estnischen Verteidigungsminister Jüri Luik sind neue Sanktionen "der kraftvollste Weg, um Russland zu zeigen, dass wir es ernst meinen". Er fordert darüber hinaus auch Konsequenzen für die im Bau befindliche Nord-Stream-2-Pipeline, die russisches Gas nach Deutschland liefern soll, ohne dass die Ukraine dafür Transitgebühren bekommt. In diesem Zusammenhang wiederholte er, dass er die an estnischen Hoheitsgewässern vorbeilaufende Leitung für "ein rein politisches Projekt" hält, für das es seiner Meinung nach "keine wirtschaftliche Begründung" gibt.
Trump "nicht glücklich" über das, "was gerade passiert"
Den "konstruktiven Dialog", den Kneissl außerdem anmahnte, fordert auch der italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi, der derzeit auch Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist. Weniger diplomatisch äußerte sich die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley nach einer von Russland anberaumten außerplanmäßigen Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Sie sprach von "gesetzlosen Handlungen" Russlands, die verhinderten, dass man zu diesem Land eine "normale Beziehung" aufbaut. Ihr Chef Donald Trump gab sich etwas zurückhaltender und meinte, er sei "nicht glücklich" über das, "was gerade passiert".
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