"Keynesianismus für die Reichen"
Seite 2: "Man erwartet einfach nicht mehr, dass sich etwas zum Positiven verändert"
- "Keynesianismus für die Reichen"
- "Man erwartet einfach nicht mehr, dass sich etwas zum Positiven verändert"
- "Die Flutung der Finanzmärkte ist eine Art Keynesianismus, der fast ausschließlich den Reichen nützt"
- Auf einer Seite lesen
Man nimmt also den Arbeitslosen durch soziale Diskriminierung und öffentliche Stigmatisierung die Würde und hofft darauf, dass sie politisch resignieren?
Werner Seppmann: In den demagogischen Reden über die "motivationslosen Arbeitslosen" wird meist Wirkung und Ursache verwechselt. Die Menschen sind nicht arbeitslos, weil sie undiszipliniert und demotiviert sind, sondern fatalistisch, weil sie arbeitslos und dadurch perspektivlos sind. Denn als Folge längerer Erwerbslosigkeit verengen sich nicht nur die psychischen Reaktionsfähigkeiten der Krisenopfer, sondern es gewinnen auch Depression und Resignation einen zunehmenden Einfluss. Ein ehemals aneignendes Realitätsverhältnis wird von hinnehmenden Haltungen überlagert.
Nicht nur das alltägliche Tätigkeits- und Reaktionsspektrum verengt sich, sondern, einschlägige Studien belegen das, es bildet sich auch das politische Interesse zurück: Man erwartet einfach nicht mehr, dass sich etwas zum Positiven verändert. Die verbreitete Wahlenthaltung bei den Prekarisierten und Arbeitslosen ist Ausdruck dieser Verarbeitungsformen ihrer Randständigkeit.
Aus diesen vorherrschenden Reaktionsmustern auf die Krise, ihre tief in die Psyche der Betroffenen eindringenden Konsequenzen erklärt sich, weshalb Ausgrenzung und Marginalisierung der Lohnabhängigen (zumindest vorübergehend) machtstabilisierende Konsequenzen haben. Das braucht nicht so bleiben. Aber diese Dinge müssen zur Kenntnis genommen werden, wenn man nach den politischen Konsequenzen von Krisenprozessen fragt.
Ein neuer Herrschaftsmodus hat sich etabliert. Er wirkt hauptsächlich dadurch, dass durch ihre systematische Verunsicherung und soziale Rückstufung die Lohnabhängigen zur Hinnahme der Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen genötigt werden. Mit einem Wort: Kapitalistische Verwertungsinteressen werden mittels Prekarität und Abstiegsbedrohungen durchgesetzt.
Warum sind diese Entwicklungen mit solcher Intensität vorangetrieben worden?
Werner Seppmann: Da ist eine wichtige, vielleicht sogar die zentrale Frage, um die sozial-destruktiven Entwicklungstendenzen begreifen zu können. Um sie beantworten zu können, ist ein Blick auf die sozioökonomischen Rahmenbedingungen und die Thematisierung der spezifischen Machtvoraussetzungen notwendig, die der neoliberalen Umgestaltungsoffensive zugrunde lagen: Prinzipiell ging es um die Erhöhung des Profits und die Stabilisierung der Mehrwertmasse, nachdem zum Ende der prosperitätskapitalistischen Entwicklungsphase in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in wichtigen Sektoren die Kapitalverwertung unter Druck geraten war.
Das ist zum Teil aus Gründen geschehen, die in der kapitalistischen Reproduktionslogik selbst liegen, aber auch, weil sich im Nachkriegsboom die Lage der arbeitenden Klassen verbessert hatte und auch ihre gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten größer geworden waren. Die Lohnabhängigen partizipierten in einer historisch beispiellosen Weise an der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung. In der Endphase (seit den 70er Jahren) geschah das teilweise sogar auf Kosten des Profits.
Wie hat darauf die Wirtschaft reagiert?
Werner Seppmann: Es lässt sich leicht ausmalen, dass es nur einer günstigen Konstellation bedurfte, bis das Kapital versuchen würde, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die gesellschaftlichen Verteilungsrelationen zu seinen Gunsten wieder zu verändern. Durch einen Wachstumseinbruch in den 70er Jahre des 20. Jahrhunderts und den damit verbundenen Überproduktionstendenzen wurde es dem Kapital möglich, zum Gegenschlag auszuholen, weil die Beschäftigten zunehmend verunsichert wurden.
Verbessert wurden die Handlungs- und Gestaltungsbedingungen der kapitalistischen Akteure auch durch eine Verschärfung der internationalen Konkurrenz (die als Druckszenarium den eigenen Beschäftigten vor Auge geführt wurde) und eine Internationalisierung der Arbeitsmärkte (Stichwort "Globalisierung"), durch die die Lohnabhängigen hüben und drüben gegeneinander ausgespielt werden konnten.
Der angesprochene Wachstumseinbruch und die konjunkturellen Stagnationstendenzen hatten zunächst zur Folge, dass sich kontinuierlich die Arbeitslosenzahlen erhöhten: 1975 hatten sie in der Bundesrepublik wieder die Millionengrenze überschritten. Das passte exakt in das Konzept des Neoliberalismus, denn dadurch erhöhte sich der disziplinierende Druck auf die Arbeitenden.
Die konjunkturellen und konkurrenzbedingten Verunsicherungen der Lohnabhängigen bildeten den Möglichkeitsraum zur Umsetzung des neoliberalen Programms, also die Reorganisation eines in wesentlichen Teilen unregulierten Kapitalismus. Es entwickelten sich für das Kapital die Chancen, wieder normale Profitraten durchzusetzen.
Mit welchen Resultaten?
Werner Seppmann: Der neoliberale Umgestaltungs- und Umverteilungskurs ist aus Sicht der Besitzenden außerordentlich erfolgreich gewesen. Zehn Jahre stagnierten die Einkommen für 90 Prozent der BRD-Bevölkerung. In den unteren Einkommenssegmenten gingen sie sogar zurück. Nur die obersten 10 Prozent der Einkommensbezieher konnten sich über einen Wachstumssprung von fast 20 Prozent freuen. Alleine der Anteil der Kapitaleinkommen stieg von 29,2 Prozent im Jahre 1991 auf 33,8 Prozent 2010. 2007, also vor der Weltwirtschaftskrise, waren es sogar fast 37 Prozent. Gleichzeitig ging der Anteil der Lohneinkommen am Bruttosozialprodukt um fast 10 Prozent zurück.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.