Khamenei: vom leader zum Imam
Imam zu werden ist eine Heiligsprechung, der bislang oberste Führer oder Ayatollah macht sich damit zum Nachfolger Khomeini, dem Staatsgründer der Islamischen Republik
Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei, auch geistlicher Führer, oberster Führer, Revolutionsführer oder einfach leader genannt, hat sich erstmals als Imam bezeichnet. In einem Eintrag auf seiner englisch-sprachigen Webseite vom 12.5.2018 heißt es: "To answer questions of youth everywhere, scientific mouvement of Islamic World must progress: Imam Khamenei". Alle älteren Texte enthielten am 14.5.18, Stand 10 Uhr morgens, noch den Titel Ayatollah, etwa "Biography of Ayatollah Khamenei the Leader of the Islamic Revolution" (leader hier großgeschrieben). Wenn Khamenei jetzt Imam ist, sind eine Menge Suche/Tausche-Vorgänge erforderlich.
Sie waren bis zum Abend des 14.5., Stand 20 Uhr, bereits emsig getätigt. Unter der Webadresse english.khamenei.ir erschien nun eine "Beta Version" der Seiten, auf denen ein buntes Durcheinander von Imam und Ayatollah herrscht. Dem Betrachter ist nicht ersichtlich, warum "3 fundamental issues of today’s Muslim World, explained by Ayatollah Khamenei" ein paar Stunden später von Imam Khamenei nochmal erklärt werden.
Eher kann man sich denken, warum die Biographie immer noch jene eines Ayatollahs ist. Hier könnte Khameneis Webmaster Kopf und Kragen riskieren, wenn er das Thema rein technisch abarbeitet. Religiös gesehen kann als Imam nur anerkannt werden, wer seinen Stammbaum irgendwie auf Mohammed zurückführen kann. Das erfordert einige sehr heikle Präzisierungen, zu denen das IT-Personal definitiv nicht in der Lage ist. So oder so verdanken wir es dem Web, den laufenden Transmutationsprozess live erleben zu dürfen.
Es ist zweifellos die wichtigste Nachricht vom Kongress der islamischen Wissenschaften, dem Khamenei die Ehre seiner Anwesenheit gab. Die Verleihung des neuen Ranges durch ihn selbst ist kühn. Eigentlich kennt die schiitische Religion der Zwölfer-Shia nur zwölf Imame. Sie sind die legitimen Nachfolger des Propheten. Doch schon Khomeini, Staatsgründer der Islamischen Republik, wurde und wird in quasi religiöser Verehrung als Imam bezeichnet, eine nie mit theologischen Argumenten begründete Titulierung, die sich auf dem Feld populistischer Politik irgendwie durchgesetzt hat.
Sein Nachfolger Khamenei allerdings erfüllte nicht einmal die Voraussetzungen eines Ayatollahs, da ihm die erforderliche Qualifikation in islamischer Rechtsprechung fehlt. Deswegen lehnte er seine Wahl zum Staatsoberhaupt am 4.6.1989 durch den Expertenrat zunächst ab, um sich alsbald überreden zu lassen. Das war ein geschickter Schachzug. Wer ihn trotzdem wählte, sollte später nicht an seinem Rang herummäkeln. Es bedurfte eines Verfassungsreferendums, um die Ermächtigung nachträglich zu legitimieren.
Imam zu werden ist eine Heiligsprechung. Für Khamenei ist das ungleich bedeutender als der profane, von Hitler kopierte Führerkult. Es ist ein Quantensprung in der Hierarchie, den der Revolutionsführer in Ausübung seiner Macht höchstpersönlich springt. So einfach geht das mit der islamischen Wissenschaft, wenn sie sich in der Hand eines diktatorischen Regimes befindet.
Anymore questions of youth everywhere? Ja: Welche politische Bedeutung hat die schöpferische Selbstbeweihräucherung? Khamenei beansprucht ab sofort eine noch höhere, unantastbare Autorität. Es ist seine typischerweise religiös formulierte Antwort auf das Scheitern des Wiener Atomabkommens, eine Kampfansage an dessen Befürworter und an die vorsichtige Machtbalance zwischen Hardlinern, Gemäßigten und Reformern im Iran.
Das politische Fußvolk - Rohani (Präsident), Zarif (Außenminister), Laridschani (Parlamentspräsident), Salehi (Atom-Präsident), Sulejmani (Al Quds-Präsident), Ahmadinedschad (Ex-Präsident) - und die Geistlichen von Qom sollen vor ihm niederknien und dankbar seine Befehle im heiligen Krieg entgegennehmen. Wer ihm zuerst als Imam huldigt, wird sein Nachfolger.
Man darf gespannt darauf sein, wie lange die EU braucht, um die neue Terminologie zu übernehmen. Wer wird den Anfang machen, Jürgen Todenhöfer? Claudia Roth? Federica Mogherini? Oder Norbert Röttgen?