"Kicken Sie noch, oder wetten Sie schon?"

Der Wettskandal erreicht die 1. Bundesliga

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Wenn kleine Kinder darüber wetten, ob als nächstes ein Mann oder eine Frau um die Ecke kommt, zeigen sie damit, dass sie das Prinzip des Wettens verstanden haben: Es geht um die Dramatisierung dessen, was ohnehin geschieht. Aus diesem Grund bildete ich mit ein paar Kollegen vor einigen Jahren auch eine kleine Wettgemeinschaft, mit der wir den ganz normalen Alltag der Fußball-Bundesliga noch etwas spannender machen wollten - durch eine "BuLiWe" genannte Langzeitwette, bei der der Verlauf der gesamten Saison getippt werden musste.

Da das ausgeklügelte und über die Jahre mit spieltheoretischen Feinjustierungen optimierte System unserer verschworenen Wettgemeinschaft mittlerweile verraten worden ist - ein Mitwetter hatte es im Januar 2004 in einem Enthüllungsartikel in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht - und weil die Erstellung unseres "BUX" genannten BuLiWe-Index immer mehr Zeit und Datenmengen erforderte, wurde die Wette für diese Saison ausgesetzt.

Und ob wir sie noch einmal aufnehmen ist nach dem aktuellen Schiedsrichterskandal eher unwahrscheinlich, macht der doch deutlich, dass das eh schon komplexe System noch um einen weiteren wichtigen Parameter erweitert werden müsste, den Manipulations- oder Schiebungsfaktor. Genauer betrachtet, bringt dieser Faktor noch eine ganz neue Ebene oder Dimension ins Spiel, weil das, was "auf dem Platz" geschieht, nicht mehr die unhinterfragbare Wahrheit ist, sondern verschwörungstheoretisch unter Vorbehalt und Verdacht steht.

"Wenn der Schnee geschmolzen ist, siehst du, wo die Kacke liegt" - so Schalke-Manager Rudi Assauer. Nachdem der Skandal nun auch die 1. Bundeslige erreicht hat und der Trainer Klaus Toppmöller androht, den DFB zu verklagen, beginnt "die Kacke" jetzt richtig zu dampfen - mit bundesweiten Hausdurchsuchungen bei verdächtigten Schiedsrichtern. Unterdessen hat der für seine Dickfelligkeit ("Regelverstöße müssen zu Sanktionen führen. Das ist überall so, von den primitiven Buschnegern bis hin zu den wilden Tieren") berüchtigte Berliner Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge die Ermittlungen übernommen. Wie rückhaltlos oder "brutalstmöglich" aber nun wirklich aufgeklärt wird, bleibt abzuwarten.

Mit der "kroatischen Wettmafia", einer Art al-Qaida des Wettbetrugs, die aus einem halbseidenen Berliner Lokal ausschwärmten, um die hehren Institutionen des deutschen Fußballs zu korrumpieren, scheint ein geeigneter Sündenbock gefunden, mit dem der Fall eingegrenzt und schnell abgearbeitet werden kann. Denn die Spiele müssen natürlich weitergehen und die "Glaubwürdigkeit" schnell wiederhergestellt werden - nicht nur für die Vereine und Profi-Spieler, sondern für die gesamte Fußballindustrie einschließlich der Medien steht zuviel auf dem Spiel. Der Schweizer Schiedsrichterverband hat bereits mir einer prophylaktischen Maßnahme reagiert: Profis, die nach etwaigen Fehlentscheidungen die Unparteiischen in der Rückrunde der eidgenössischen Super League als "Hoyzer" titulieren, sehen Rote Karte.