Killerprotein gegen Milzbrand

Abwehr künftiger Biowaffenattacken

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Der Bacillus anthracis kann bisher nur durch aufwändige Kulturen nachgewiesen werden. Ein Killerprotein namens PlyG-Lysin könnte künftig sowohl zum schnellen Nachweis der Anthrax-Sporen als auch zur Behandlung dienen. Das hoffen jedenfalls US-Forscher, die erste Ergebnisse dazu jetzt im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichen.

Elektronenmikroskopaufnahme des Bacillus anthracis, Bild: Illinois Department of Public Health

In den Vereinigten Staaten geht die Angst vor Milzbrand weiter um, immer wieder geraten Menschen in Panik, wenn weißes Pulver aus Briefen oder Päckchen rieselt. Die jüngst veröffentlichten Videos aus dem angeblichen Archiv Ibn Ladins heizen auch die Furcht wieder ein, dass sein Netzwerk Versuche mit chemischen oder sogar biologischen Kampfstoffen angestellt hat. Bewiesen ist zwar überhaupt nichts, noch nicht mal die Herkunft der Bänder, aber das ist ja letztlich mit allem so, was mit Al-Quaida zu tun hat.

Bei den Milzbrand-Briefen glaubt allerdings inzwischen keiner mehr, dass sie von islamistischen Terroristen abgeschickt wurden oder aus irakischen Waffenlabors stammen. Insgesamt starben seit Oktober 2001 fünf Menschen an Anthrax, 13 wurden durch die per Post verschickten, mit Sporen präparierten Briefe infiziert. Schon lange ist klar, dass die versandten Milzbranderreger aus dem Bakterien-Stamm Ames Strain im "U.S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases" in Fort Detrick gezüchtet würden und auch das verwendete Trocknungsmittel spricht für die Produktion in einem US-Labor. Im Februar diesen Jahres sickerten Gerüchte über einen Hauptverdächtigen an die Presse durch, insgesamt durchsuchte das FBI zu diesem Zeitpunkt die Häuser, Arbeitsplätze und Fahrzeuge von mindestens einem Dutzend Wissenschaftler (Vgl. Angeblich tappt das FBI im Dunkeln 11944). Inzwischen wurde der Biowaffenspezialisten Steven Hatfill als Verdächtiger öffentlich benannt, er streitet aber ab, etwas damit zu tun zu haben (Vgl. CNN: Scientist under scrutiny denies anthrax link.

Die Sporen in den biologischen Briefbomben waren waffenfähiges Material, aber zum Glück nicht gegen die gängigen Antibiotika resistent. Mit Penicillin) oder Ciprofloxacin. Dass Bioterroristen die Erreger durch entsprechende Veränderungen gegen herkömmliche Medikamente unempfindlich machen könnten, ist eine der großen Befürchtungen der Experten. Vincent Fischetti, einer der Autoren der neuen Studie:

Wir wissen, dass Milzbrand eine reale Bedrohung darstellt. Aber eine noch viel größere Bedrohung sind die gegen multiple Medikamente resistenten Anthraxstämme, die natürlich vorkommen können oder von Terroristen mithilfe gängiger molekularer Techniken hergestellt werden könnten. Als Konsequenz daraus sind alternative Strategien zur Bekämpfung dieser gefährlichen Stämme heute nötiger denn je.

Gegen Tetrazykline oder Penicilline resistente Stämme hatten sowjetische Forscher in der Vergangenheit bereits entwickelt.

Ein großes Problem - und der Hauptgrund für die Milzbrandtoten des vergangenen Jahres - ist die Tatsache, dass die Infektion als solche schnell erkannt werden muss, damit die Antibiotika noch greifen können. Um aber sicher zu sein, dass es sich um Anthrax handelt, muss bisher eine Kultur im Labor angelegt werden, die Tage braucht, um sich zu entwickeln.

Die Wirkung von PlyG-Lysin: das Bakterium wird durch das Killerprotein angebohrt, d.h. es frisst ein Loch in die Zellwand und bringt es dazu, zu explodieren. Bild: Rockefeller-University

Raymond Schuch, Daniel Nelson und Vincent A. Fischetti von der Rockefeller University berichten jetzt in Nature über ihre Experimente mit dem Killerprotein PlyG-Lysin, das sie aus einer Bakteriophage extrahiert haben, einem Virus, der normalerweise natürlich die Anthrax-Bazillen infiziert. Das Enzym PlyG-Lysin greift die Zellwand des Milzbrand-Erregers an und reißt sie auf. Dabei werden energiereiche Moleküle frei gesetzt, die ATP (Adenosintriphosphat) genannt werden. Durch eine leuchtende Reagens wird innerhalb von Minuten deutlich, ob es sich um Milzbrand handelt, da das Killerprotein keine andere Bazillen angreift.

Die Spezialisierung der Bakteriophage machen sich die Forscher auch für den direkten Angriff auf den Erreger zunutze. PlyG-Lysin ist ein Killer mit genauer Zielvorrichtung, denn er attackiert Bacillus anthracis, aber ignoriert andere Bazillen. In ihren Versuchen konnten das die Forscher sogar anhand dem Milzbrand verwandter Spezies beweisen. Sie hoffen, dass sie mit diesem Enzym eine neue Keule in der Hand halten, um künftige Biowaffenattacken abzuwehren. Werden Milzbrandsporen angeregt, sich zu aktivieren, kann das Killerprotein auch schon direkt zuschlagen, bevor überhaupt ein Mensch infiziert wurde. Raymond Schuch ist zuversichtlich: “Dieses Enzym ist fast so effektiv, als würde man Chlor über diesen Organismen ausgießen. Es gibt kein anderes biologisches Mittel, das so schnell tötet."

Die Gruppe infizierte auch Mäuse mit einem nicht-infektiösen nahen Verwandten, dem Bacillus cereus. Normalerweise ein klares Todesurteil für die kleinen Nager. Wurde ihnen aber 15 Minuten nach diesen Bazillen eine Dosis PlyG-Lysin verpasst, überlebten 70 bis 80% von ihnen. Das ist noch keine Erfolgsmeldung, die wirklich Anlass zur Hoffnung auf eine wirksame Behandlung von Menschen gibt, aber allein die potenzielle Detektorenwirkung von PlyG-Lysin lohnt weitere intensive Forschung.

In ihrem begleitenden News&Views-Artikel in Nature kommen M.J. Rosovitz und Stephen H. Leppla vom National Institute of Health zu dem Schluss:

Schuch und Kollegen haben eine potenzielle Behandlungsmethode für Anthrax vorgestellt, die entweder allein oder in Kombination mit anderen Therapien nützlich sein könnte. Ähnliches gilt für das Mittel zum Aufspüren der Bacillus anthracis-Sporen, das sich als wertvolle Basis für einen einfach zu realisierenden Test erweisen könnte. Von diesen viel versprechenden Resultaten ausgehend, erwarten wir rasche Schritte, um den Nutzen von Bakterophagen-Lysinen zur Detektion und Behandlung anderer bakterieller Infektionen zu erproben.