Kims Bluff und die Folgen
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Über die Stärke des nordkoreanischen Atombombentest gehen die Schätzungen weit auseinander, unklar ist aber vor allem, wie das Land an so große Mengen atomares Material kommt
Mit seiner Behauptung, eine Wasserstoffbombe gezündet zu haben und Raketen jeder Reichweite mit Atomsprengköpfen ausrüsten zu können, hat Nordkorea erreicht, dass die internationale Öffentlichkeit gebannt auf dieses Thema starrte. War es eine nukleare oder thermonukleare Explosion, ein Mega- oder ein Ultraknall, der am 3.9.2017 in Punggye-ri im Nordosten des Landes ausgelöst wurde und ein weltweit registriertes Erdbeben erzeugte?
Über die Stärke des Tests gehen die Schätzungen weit auseinander. Die englischsprachige Wikipedia gibt die Sprengkraft mit 50 bis 250 Kt (Kilotonnen) an, eine beachtliche Unsicherheit. Südkoreas Verteidigungsminister Song Young-moo nannte 50 Kt, die japanische Regierung sprach zunächst von 70 Kt, dann von 120 Kt und schließlich von 160 Kt. Beide Länder gaben die Amplitude der bei ihnen registrierten seismischen Wellen niedriger an als amerikanische oder europäische Institute. Demnach scheint es sich um ein Beben gehandelt zu haben, das sich mit wachsendem Abstand zu seinem Epizentrum verstärkt hat - ein neuartiges Phänomen, das unsere Vorstellungen von der Erdkruste über den Haufen wirft. Verschärfend kommt hinzu, dass die Auswertungen der Messungen mit wachsendem zeitlichem Abstand von dem Ereignis immer drastischer ausfallen.
Das norwegische geowissenschaftliche Institut NORSAR, das häufig als Referenz benutzt wird, sprach in einer ersten Analyse von 120 Kt, um sich eine Woche später auf 250 Kt zu korrigieren. Immerhin räumt NORSAR "sehr große Unsicherheit" bei den eigenen Berechnungen ein. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung steigerte die Sprengkraft unter Berufung auf "kalifornische Seismologen" auf 300 Kt. Wie nicht anders zu erwarten, kursieren in den sozialen Netzwerken Behauptungen von 750 Kt bis 1000 Kt, womit wir dann im Megatonnen-Bereich angekommen sind, der allgemein Wasserstoffbomben zugerechnet wird.
Es sieht so aus, als ob bei der Analyse von Atomtests weniger Sorgfalt vonnöten wäre als bei der Aufarbeitung von Verkehrsunfällen. Wie sonst kann es zu derart differierenden Expertenmeinungen kommen? Ihre Messinstrumente sollten weitgehend das Gleiche aufgezeichnet haben und einigermaßen kompatibel sein.
Die Erklärung liegt in unterschiedlichen Annahmen über die Höhe, in welcher der Test stattgefunden haben soll. So handelte es sich zwar um ein unterirdisches Ereignis, jedoch im Inneren eines 1800 m hohen Berges, also über dem Meeresspiegel. Ob die Explosion in 0 m, 100 m oder 300 m Höhe stattgefunden hat, lässt sich den in weiter Entfernung gemessenen Erschütterungen nicht sicher entnehmen. Die Annahmen darüber haben aber gravierenden Einfluss auf die Schätzungen der Sprengkraft.
Die unbefriedigende Situation lösen die Medien meist mit dem Hinweis auf, man werde bald sicherere Informationen besitzen, wenn der radioaktive Fallout gemessen und analysiert worden sei. Länder wie Südkorea, Japan und natürlich die USA haben also ihre Spezialflugzeuge gestartet, um die untrüglichen Spuren des Ereignisses in der Atmosphäre aufzufangen. Auf die Resultate können wir lange warten: Sie werden nämlich nie veröffentlicht, wie ein Autor auf der Webseite der Atomic Scientists feststellte. Das war schon bei den Nukleartests von Indien und Pakistan 1998 so und hat sich seitdem nicht geändert.
Beim Fehlen jeglicher Hinweise auf die Bestandteile des Sprengkörpers ist es müßig darüber zu spekulieren, ob es sich um eine H-Bombe, eine geboostete Bombe oder um eine herkömmliche Atombombe gehandelt hat. Das hält den Oberbefehlshaber der US-Nuklearstreitmacht, Gen. John E. Hyten, nicht davon ab, nach elf Tagen reiflicher Überlegung zu bestätigen: Ja, Nordkoreas Erklärung sei zutreffend, und es habe sich tatsächlich um eine Wasserstoffbombe gehandelt. Die Übereinstimmung ist bedenklich. Es handelt sich um die Einigkeit unter Kriegstreibern.