Kinder zweiter Klasse

Während die Koalitionsverhandlungen in Österreich weiter nur schleppend vorangehen, bekommen legal im Land lebende Ausländer die unter der alten Regierung verschärften Fremdengesetze mit voller Härte zu spüren

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In Österreich legal lebende Ausländer haben nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn sie eine Aufenthaltskarte für das Kind vorweisen können. Dafür muss aber im Herkunftsland ein Pass für das Kind beantragt werden, was Monate dauern kann. Geld für die Babys gibt es in dieser Zeit keines – auch nicht nachträglich. Schuld an dieser Misere trägt Ursula Haubner, noch amtierende Sozialministerin vom BZÖ. Sie hatte wenige Wochen vor den Nationalratswahlen einen entsprechenden Erlass gebilligt. Der Noch-Koalitionspartner ÖVP versucht jetzt angesichts zahlreicher Proteste, die Sache wieder auszubügeln. Eventuell ist das auch eine Geste an den zukünftigen Regierungspartner, die Sozialdemokraten (SPÖ). Die Regierungsbildung lässt allerdings auf sich warten.

Fuada M. ist bosnische Staatsbürgerin, lebt seit 1993 in Österreich und arbeitete seither als Verkäuferin, Kellnerin und in einer Reinigungsfirma. Arbeitslos war sie nie. Jahrelang zahlte sie Sozialversicherungsbeiträge in Österreich. Vor einigen Monaten bekam sie ein Kind. Doch um in Österreich Kinderbetreuungsgeld beziehen zu können, musste sie zunächst – ohne Kind - nach Bosnien reisen, um dort einen Pass für Sohn Elham zu beantragen.

Das ganze Prozedere dauerte gut vier Monate. Als sie Anfang August schließlich mit der Aufenthaltskarte beim zuständigen österreichischen Amt vorstellig wurde, erhielt sie ernüchternde Auskünfte. Entgegen früheren Zusagen hatte sie plötzlich keinen Anspruch auf rückwirkende Auszahlung von Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld. Am meisten schockierte Fuada aber, dass weder sie noch ihr Sohn die ersten Monate krankenversichert waren. „Ein Wahnsinn, wenn in dieser Zeit etwas passiert wäre“, empörte sich Fuada M. gegenüber der österreichischen Tageszeitung Kurier, die diesen Fall aufdeckte.

Fuada M. hatte dabei noch „Glück“, denn ihr Lebensgefährte – ein Eisenbieger mit nicht gerade üppigem Gehalt – unterstützte sie während der ersten Monate. Andere Frauen hätten bereits mit dem sozialen Abstieg und Delogierungen zu kämpfen, beklagt die kirchliche Hilfsorganisation Caritas Österreich. Bei der Caritas-Sozialberatung würden sich die Fälle häufen, in denen junge Mütter kein Kinderbetreuungsgeld, keine Familienbeihilfe und auch keinen Krankenversicherungsschutz für ihr Baby erhalten. Besonders problematisch ist, dass die Säuglinge nicht krankenversichert sind. Die Wiener Ärztekammer appellierte deshalb an die Ärzteschaft, die Kinder vorerst kostenlos zu versorgen.

Der unmittelbare Auslöser für diese Situation war ein Erlass aus dem österreichischen Sozialministerium, das derzeit noch von Ursula Haubner vom Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) geführt wird. Das BZÖ hatte sich von der rechtspopulistischen FPÖ abgespalten. Federführend war dabei Jörg Haider. Ursula Haubner ist seine (etwas zurückhaltendere) Schwester. Im Nationalratswahlkampf diesen Herbst fiel das BZÖ ebenso wie die FPÖ durch besonders ausländerfeindliche Töne auf. Der derzeitige BZÖ-Frontmann, Peter Westenthaler, wollte beispielsweise 300.000 Ausländer ausweisen (Déjà-vu in Österreich).

Das BZÖ schaffte allerdings gerade mal die 4-Prozent Hürde, die für den Einzug ins Parlament notwendig ist. Die FPÖ hingegen brachte es immerhin auf rund 11 Prozent und landete mit nur wenigen Stimmen Abstand hinter den Grünen auf Platz vier. In der derzeitigen Regierung, die interimistisch die Amtsgeschäfte noch weiterführt, sitzen aber noch Minister, die früher der FPÖ und jetzt dem BZÖ angehören. Darunter eben auch Ursula Haubner.

Der umstrittene Erlass kam im August, also wenige Wochen vor den Nationalratswahlen. Danach werden Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld erst dann ausgezahlt, wenn sich das Kind „legal“ im Land aufhält. Dafür braucht es aber einen Pass, den Ausländer im Herkunftsland beantragen müssen, was leicht bis zu einem halben Jahr dauern kann. In dieser Zeit erhalten die jungen Mütter keine Sozialleistungen. Auch eine rückwirkende Auszahlung gibt es derzeit nicht. Hilfsorganisationen schätzen, dass etwa 7.000 bis 9.000 Frauen von dem „Haubner-Erlass“ betroffen sind.

Kritik am verschärften Fremdenrecht

Als die ersten Fälle bekannt wurden, war jedenfalls die Empörung bei SPÖ und Grünen groß. Für die Grünen ist die Sache aber nicht allein Ministerin Haubners Schuld. Vielmehr seien die Betroffenen „Opfer des Fremdenrechtspaketes, das im Sommer 2005 gemeinsam von SPÖ, ÖVP, FPÖ/BZÖ beschlossen wurde und seit 1.1.2006 in Kraft ist“, kritisieren sie.

Tatsächlich hat das Fremdenrechtspaket eine Reihe von Verschlechterungen für in Österreich lebende Ausländer und Asylwerber gebracht. Die Migrationssprecherin der Grünen, Terezija Stoisits, warf der Regierung bereits zu Jahresbeginn Familienfeindlichkeit und Rechtswidrigkeit in Bezug auf das neue Fremdenrecht vor. „Enge Angehörige sind von der Abschiebung bedroht und müssen dann in der Heimat monatelang auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten. Das bringt junge Familien in Existenzprobleme. Vielfach sind Kinder vorhanden und könnte der/die ausländische Ehegatte(in) bei Erteilung der Genehmigung im Inland bereits die Familie erhalten. Der Gesetzgeber sieht auch noch weitere Restriktionen für Angehörige von ÖsterreicherInnen vor (z.B. wird Angehörigen von ÖsterreicherInnen nur eine Aufenthaltsdauer von zwölf Monaten gewährt. Angehörigen von anderen EU-BürgerInnen kommt ein zehnjähriges Aufenthaltsrecht zu)“, skizzierten die Grünen die Auswirkungen des Gesetzes in der Praxis.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht verschiedener Hilfsorganisationen kommt zu einem ähnlich vernichtendem Urteil: „Unmenschliche Härtefälle vor allem bei Folteropfern, eine Verfünffachung der Schubhäftlingszahlen, eine bedenkliche Verpolizeilichung des Asylbereichs und gravierende Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit.“ Josef Weidenholzer, Präsident der Volkshilfe Österreich, schilderte die Praxis: „Schubhaft wird sofort bei Verdacht verhängt, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrages nicht zuständig sein wird. Aber auch, wenn das Asylverfahren in Österreich zugelassen wird, bleibt die Schubhaft oft bestehen.“

Die Noch-Regierung verteidigte das Paket immer wieder damit, dass man „Asylshopping“ verhindern wolle. Auch würden durch scharfe Fremdengesetze Menschen abgeschreckt, die es nur auf die Sozialleistungen in Österreich abgesehen hätten und sich den „Asyltitel erschwindeln“ würden. Die Anträge sind seit Inkrafttreten des Gesetzes tatsächlich zurückgegangen. Innenministerin Liese Prokop (ÖVP) zog erst kürzlich Bilanz:

Von Jänner bis November 2006 wurden um 39,76% weniger Asylanträge gestellt. In Zahlen bedeutet das um 8.006 weniger Anträge als im Vergleichszeitraum des Jahres 2005 (20.136 zu 12.130). Mit der Einführung des Fremdenrechtspaketes wurde das Personal in der 1. und 2. Instanz um insgesamt 136 Mitarbeiter aufgestockt. Den daraus entstanden Mehrausgaben von 7,4 Mio. Euro stehen Einsparungen im Bereich der Grundversorgung von 21,2 Mio. Euro sowie 1,2 Mio. Euro im Verfahrensbereich gegenüber. Das bedeutet eine Kostenreduktion von rund 15 Mio. Euro in den ersten drei Quartalen dieses Jahres.

Prokop kommentierte die Entwicklung ausgesprochen positiv: "Es zeigt sich also klar und deutlich, dass das Fremdenrechtspaket die erhofften und sehr hoch gesteckten Ziele klar erfüllt und auch weiterhin zukunftsweisend für eine Fremdenpolitik im Sinne Österreichs ist.“ Die Hilfsorganisationen, die tagtäglich mit den konkreten Einzelschicksalen zu tun haben, sehen das anders. Darüber hinaus äußern auch Verfassungsrechtler Bedenken gegenüber dem Gesetz. Die Praxis zeigt, dass damit zahlreiche Menschen getroffen werden, denen man sicher nicht unlautere Absichten oder „Asylshopping“ vorwerfen kann. So gab es etwa den Fall einer minderjährigen Schülerin, die nach sechs Jahren Aufenthalt in Österreich aufgrund der gesetzlichen Verschärfungen plötzlich abgeschoben werden sollte. Universitätsprofessoren wiederum kritisierten, dass auch Studenten unverhältnismäßig getroffen werden und der internationale Austausch im Wissenschaftsbereich behindert werde.

Im Fall der Nichtauszahlung von Kinderbetreuungsgeld zeichnet sich aber eine Lösung ab. Dienstagmittag berichtete die Nachrichtenagentur apa, dass die ÖVP nun eilig einen Gesetzesvorschlag erarbeitet hat, wonach für Kinder von legal in Österreich lebenden Ausländern Familienbeihilfe und Kindergeld ab Geburt gewährt werden soll. Liese Prokop hatte unter Protest der FPÖ vorgeschlagen, auch die Geburtsurkunde zulassen zu wollen. Dem ÖVP-Entwurf zufolge sollen Gelder auch rückwirkend an Betroffene ausgezahlt werden. Die notwendige Zustimmung der SPÖ gilt als reine Formsache.

Ob sich der Kurs in „Ausländerfragen“ allgemein ändern wird, steht allerdings in den Sternen. Grundsätzlich erwarten viele Österreicher, denen die Fremdenpolitik der ÖVP-FPÖ/BZÖ zu unmenschlich war, Korrekturen durch den Wahlsieger SPÖ. Dazu müsste aber erst einmal eine Regierung gebildet werden. Die Koalitionsverhandlungen verlaufen aber schleppend. Zuletzt hatte sich der Ton zwischen den beiden Großparteien wieder verschärft. Kaum jemand glaubt daran, dass noch vor Weihnachten eine Regierung zustande kommen wird. Am wahrscheinlichsten gelten derzeit zwei Varianten: Entweder doch noch eine große Koalition zwischen Sozialdemokraten und Konservativen oder eine Minderheitsregierung unter der Führung der SPÖ während einer Übergangszeit zu Neuwahlen. Fazit: Die Karten sind seit Oktober neu gemischt, das Spiel ist aber völlig offen...