Déjà-vu in Österreich
Die Regierungsverhandlungen geraten zur Farce und letztlich könnte Wahlverlierer ÖVP mit einem rechtskonservativen Bündnis erneut an die Macht kommen
Vor rund sieben Wochen wurden in Österreich Nationalratswahlen abgehalten, woraus die Sozialdemokraten (SPÖ) überraschend als stimmenstärkste Partei hervorgingen (Schwarze Katerstimmung). Eine stabile Mehrheit ließe sich aber nur mit der konservativen ÖVP erreichen. Doch verhandelt wird seit 45 Tagen ohne Ergebnis. Jetzt gilt eine große Koalition - nach deutschem Muster - als gescheitert und der Wahlverlierer ÖVP denkt bereits laut über eine Dreierkoalition mit der rechtspopulistischen FPÖ und dem davon abgespaltenen Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) - der neuen „Haider-Partei“ – nach. Viele Österreicher erinnert die Situation an die Wahlen 1999. Damals ging die drittplatzierte ÖVP, geführt von Wolfgang Schüssel, ein Bündnis mit der FPÖ ein, was in wochenlangen Protesten großer Teile der Bevölkerung und letztlich sogar in EU-Sanktionen mündete.
Am 1. Oktober war die Freude bei den österreichischen Sozialdemokraten überschäumend. Entgegen der Prognosen gewannen die „Roten“ mit einem kleinen Vorsprung vor der regierenden ÖVP. Die Konservativen – allen voran Bundeskanzler Wolfgang Schüssel – hatten offensichtlich Mühe, das Ergebnis zu verdauen. Ein Vizekanzler-Posten für Schüssel gilt in der Partei als undenkbar. Dennoch leitet er das Verhandlungsteam.
Passiert ist bislang wenig. Tatsächlich hat man „sieben Wochen gebraucht, um sich klar zu werden, ob man überhaupt miteinander sprechen soll“, wie es der Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, ausdrückte. Offiziell stößt sich die ÖVP an der Einrichtung zweier Untersuchungsausschüsse zur Finanzmarktaufsicht (Bawag/Refco - Bilanzfälschung auf Gegenseitigkeit) und zum geheimnisumwitterten Ankauf von Abfangjägern. Aufklärung über den Eurofighterkauf, der bei den meisten Österreichern auf Kritik stößt, versprach die SPÖ bereits im Wahlkampf. Dass in diesem Fall etwas passieren wird, musste der ÖVP nach der Wahl klar sein.
Die Mehrheit der Österreicher hat das bisherige Verhandlungsdesaster jedenfalls satt und gibt Umfragen zufolge tendenziell der ÖVP die Schuld daran, da sie sich nicht von der Macht trennen wolle. Die Karikaturisten verbildlichen die Situation auf ihre Weise. Der potenzielle Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Schüssel (ÖVP) werden derzeit gerne im Sandkasten dargestellt – etwa mit Schaufeln in der Hand vor zerstörten Sandburgen. „I mag di net – I di a net!”
Da mit Infantilität aber schlecht Staat zu machen ist, werden inzwischen andere Regierungsvarianten kolportiert. Die Bombe platzte, als sich ein gewichtiger ÖVP-Grande vergangenen Montag in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen ORF massiv gegen eine Minderheitsregierung der SPÖ aussprach. Eine solche könnte eventuell parteiunabhängige, aber allgemein anerkannte Experten als Minister berufen und müsste sich dann jeweils zu Sachthemen parlamentarische Mehrheiten suchen. Noch konkreter wurde der Obmann des konservativen Gewerkschaftsflügels ÖAAB, Werner Amon. Er meinte, dass Bundespräsident Heinz Fischer ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel mit der Regierungsbildung beauftragen sollte. Gegenüber der auflagenstarken Tageszeitung Kurier sagte er: „Es ist logisch, dass der Obmann der zweitstärksten Partei beauftragt wird, wenn der Stärkste nichts zusammenbringt.“ Und für eine Dreierkoalition nannte er die rechtsnationale FPÖ und das BZÖ als mögliche Partner. Rein rechnerisch wäre das möglich. Was nämlich viele Schüssel-Gegner in der ersten Euphorie über seine Abwahl beiseite geschoben hatten, ist die wenig erfreuliche Tatsache, dass die „Rechten“ erhebliche Stimmenzuwächse zu verzeichnen hatten.
Rechtspopulisten im Aufwind?
Da wäre zunächst einmal das BZÖ mit der Parteifarbe Orange, das Jörg Haider nach internen Zerwürfnissen 2005 neu gegründet hatte. Dem BZÖ gehören vor allem Regierungsmitglieder an, die früher ihre politische Heimat ebenfalls in der Haider-Partei hatten. Jörg Haider selbst hat sich offiziell auf seine Amtsgeschäfte als Kärntner Landeshauptmann zurückgezogen und gilt als politisch entzaubert. Das BZÖ schaffte denn auch den Einzug in den Nationalrat nur ganz knapp, mit etwas über vier Prozentpunkten.
Im Wahlkampf buhlte man in alter Manier mit ausländerfeindlichen Ansagen um die Gunst der Wähler. Der österreichischen Justizministerin, die für das BZÖ angetreten war, ging das schließlich zu weit. Sie warf kurz vor der Wahl das Handtuch. Wenig verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass der BZÖ-Vorsitzende Peter Westenthaler die Losung ausgab, 300.000 Ausländer ausweisen zu wollen. Jetzt will er von diesen Äußerungen nichts mehr wissen und liebäugelt sogar mit den Grünen bei allfälligen Regierungskoalitionen. Denn gemäß der politischen Farbenlehre könnten auch Rot-Grün-Orange (SPÖ-Grüne-BZÖ) oder Schwarz-Grün-Orange (ÖVP-Grüne-BZÖ) jeweils mit knapper Mehrheit regieren.
Die Mehrheit der Protestwähler und Ausländerfeinde konnte in diesem Wahlkampf aber eindeutig die FPÖ holen (Als am Gipfel statt eines Kreuzes plötzlich ein Halbmond stand). Der neue Front-Mann Hans Christian Strache punktete mit einem erschreckend ausländerfeindlichen Wahlkampf und holte - für die meisten Meinungsforscher völlig unerwartet - immerhin elf Prozent. Die FPÖ lag damit zunächst noch vor den Grünen. Nach dem amtlichen Endergebnis hatten die Grünen mit 11,05% die FPÖ mit 11,04% aber noch knapp überholt.
Ganz Wien war zugeklebt mit untergriffigen Slogans wie „Daham statt Islam“ (deutsche Übersetzung: Zu Hause statt Islam). Das ging offensichtlich ins Ohr, wobei nicht verschwiegen werden sollte, dass gar nicht so wenige so genannte „Ausländer“ die FPÖ wählten. Oft handelt es sich dabei um eingebürgerte ehemalige „Gastarbeiter“, die, schlecht ausgebildet und bezahlt, um den in der Fremde erworbenen bescheidenen Wohlstand bangen, sollten „noch mehr Ausländer kommen“. Aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte. Hans Christian Strache jedenfalls, der Mann mit den stahlblauen Augen und makellos blendend weißen Zähnen, der immer wie frisch aus dem Solarium entsprungen wirkt, gilt Beobachtern heute bereits als „der bessere Haider“. Er wirkt weniger sprunghaft und extrem zielstrebig, was die Durchsetzung seiner ideologischen Positionen betrifft.
Die FPÖ und das BZÖ, diese beiden Parteien könnte man sich in der ÖVP doch tatsächlich als Partner vorstellen. Schlimm? Nun ja, nach dem ersten Experiment 1999 massierten sich nicht die Nazi-Rabauken in Österreich, wie es etliche internationale Medienberichte hätten vermuten lassen. Viele Kommentatoren vertreten auch bis heute die Auffassung, dass Wolfgang Schüssel den dämonisierten Jörg Haider entzaubert und seinen unaufhaltsam scheinenden Aufstieg abgewürgt hat. Ob der Fall Jörg Haider aber tatsächlich primär auf das Konto Schüssels geht oder doch eher mit der spezifischen Persönlichkeitsstruktur Haiders zu tun hat, sei einmal dahingestellt.
Die wichtigste Frage ist jedoch, wie es mit Österreich weiter geht. Es gab sicher einige Reformen – etwa Tierschutzgesetz oder Abfertigungsansprüche ab dem ersten regulären Arbeitstag -, denen selbst die (ehemaligen?) Oppositionsparteien SPÖ und ÖVP etwas Gutes abgewinnen können. Und das Land konnte auch unter ÖVP-FPÖ (später ÖVP-BZÖ) recht passable Konjunkturdaten aufweisen. Die österreichische Wirtschaft ist aber seit vielen Jahren stark. Der Export floriert, viele Unternehmen konnten ihre Gewinne in den letzten Jahren erheblich steigern. Die Löhne wuchsen nicht im gleichen Maße. Es gibt statistisch ein Plus an Arbeitsplätzen, doch handelt es sich dabei oft um Teilzeit- oder Mini-Jobs, die kaum die Lebenshaltungskosten abdecken. Besonders häufig von dem Working-poor-Phänomen betroffen sind Frauen, die in Österreich generell wesentlich schlechter verdienen als Männer.
Die Arbeitslosenzahl ist mit durchschnittlich 280.000 nach wie vor hoch, wenngleich im Vergleich zu Deutschland niedriger. Doch nahezu eine Million Menschen (Gesamtbevölkerung ca. 8,26 Millionen) leben in einem der reichsten Länder der Welt an der Armutsgrenze oder gelten zumindest als armutsgefährdet. In solchen Verhältnissen ist ein Sündenbock schnell ausgemacht, sagen Soziologen. Und jetzt sind es halt wieder einmal „die Ausländer“. Um die Integrationsfrage und die sicher sehr dringlichen Probleme, wie unterschiedliche Kulturen zusammenleben können und wie Integrationswille zu definieren und praktisch zu unterstützen ist, hat man sich in der Schüssel-Regierung jahrelang kaum gekümmert. Nur die Asylpolitik wurde verschärft.
Was würde die FPÖ ändern, sollte sie in die Regierung kommen?
In der „Ausländerfrage“ würde der Wind wohl noch schärfer wehen. Das Österreichisch-Deutsch-Tümelnde würde vielleicht wieder salonfähig. Und die wirklichen Probleme, der sich zusehends vergrößernde Abstand zwischen Arm und Reich? Wer könnte hier konstruktive Lösungen bringen? Wer es nicht gerade traditionell-muffig mag, wird einer rechtskonservativen Koalition keine echte Lösungskompetenz zutrauen.
Eines ist allerdings bereits jetzt durch Meinungsumfragen verbürgt. Die Bürgerinnen und Bürger sind vom „Kasperltheater“ Regierungsverhandlungen genervt. Am liebsten wäre der Mehrheit eine große Koalition. Eine Minderheitsregierung der SPÖ können sich immerhin 41 Prozent vorstellen, stellte das Meinungsforschungsinstitut OGM fest. Die Grünen plädieren für eine große Koalition und, wenn dass nicht geht, überhaupt für Neuwahlen, da eine Minderheitsregierung ohnehin nur ein Hinauszögern von diesen bedeuten würde, so Grünen-Chef Van der Bellen. Sie wollen auf jeden Fall aufgrund ihrer Migrationspolitik weder mit FPÖ noch mit dem BZÖ. Die FPÖ ziert sich auch noch. Doch will ÖAAB-Chef Amon bereits Gesprächsbereitschaft erkannt haben.
Jetzt heißt es einmal abwarten, was die nächste Sitzung des ÖVP-Vorstands hervorbringt. Dann liegt der Ball beim österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Er könnte Alfred Gusenbauer mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragen. Ob diese dann aber lange hält oder schon nach einem Monat wieder Geschichte ist, steht derzeit in den Sternen. Und die Option einer rechtskonservativen Dreierkoalition ist nach wie vor intakt.