King Charles III.: Wenn ein Reality-Soapstar im Bundestag spricht
Verdient der Auftritt des britischen Königs im deutschen Parlament wirklich bluternste Kritik? Was dafür spricht – und was dagegen.
"Eure Majestät, es ist uns eine große Ehre, Sie im Deutschen Bundestag zu begrüßen" – unter anderem vor diesem Satz, den Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am heutigen Donnerstag zu Charles dem III. sagte, hatte es zum Beispiel Martin Schirdewan gegraust. Der Ko-Chef der Partei Die Linke fand es "nicht angemessen, dass sich das höchste demokratische Gremium vor einem Monarchen verneigt", hatte Schirdewan der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf den Besuch des britischen Königs gesagt.
"Ich finde es auch seltsam, dass sich der Bundestag in Zeiten von Inflation und rasant steigender Armut von jemandem ins Stammbuch schreiben lässt, der buchstäblich mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde", so Schirdewan.
Tatsächlich sind die Lebensmittelpreise in Großbritannien zuletzt um 17,5 Prozent gestiegen und somit auf einem neuen Rekordhoch, wie das Marktforschungsunternehmen Kantar am Dienstag mitteilte.
Millionen Briten sind mangelernährt
Der Trend ist allerdings nicht ganz neu: Bereits im Mai vergangenen Jahres schlugen Ökonomen und NGOs Alarm, weil im Vereinigten Königreich bereits rund zwei Millionen Menschen Mahlzeiten ausfallen ließen und dadurch eine Gesundheitskrise drohe.
Familien stünden wegen der Nahrungsmittelunsicherheit unter extremem psychischen Stress, warnte damals Anna Taylor von der Food Foundation laut einem Bericht des Guardian. Viele Menschen würden auf die billigsten Kalorien zurückgreifen, um zu überleben – das führe auf die Dauer zu Gesundheitsproblemen.
Das war noch vor dem Tod von Queen Elisabeth II., die am 8. September 2022 das Zeitliche segnete. Während der mehrtägigen Staatstrauer griff die Polizei hart gegen protestierende Kritiker der Monarchie durch.
Mehrere Demonstranten wurden festgenommen oder verwarnt, weil sie Parolen gegen die Monarchie als Institution gerufen oder Schilder hochgehalten hatten, ohne dabei das Andenken der Toten zu verunglimpfen.
Reale politische Gestaltungsmacht hat das Königshaus allerdings nicht – die Kritik richtet sich vielmehr gegen Pomp und unverdienten Luxus, der dem Adel bei der Geburt zufällt, während Arbeiterkinder kaum realistische Chancen haben, durch Bildung und Fleiß einen vergleichbaren Lebensstandard zu erreichen.
Die "Royals" als öffentliches Eigentum
Allerdings schienen viele Briten, solange sie nicht hungern mussten, das Ganze eher als Reality-Soap wahrzunehmen. Denn schließlich bezahlen die "Royals" für das Luxusleben mit ihrer Privatsphäre – gewissermaßen sind sie öffentliches Eigentum, Teil der Unterhaltungsindustrie und Futter für die Klatschpresse. Boulevardzeitungen erzielten in der Vergangenheit hohe Auflagen mit Enthüllungen über das Privatleben der "Royals".
Prinz Harry etwa landete 2012 nackt auf der Titelseite der Sun, obwohl das Königshaus darum gebeten hatte, seine Privatsphäre zu respektieren. Allerdings war das Hotelzimmer-Partyfoto aus Las Vegas da schon millionenfach im Internet angeklickt worden. Die Sun argumentierte damals mit "Pressefreiheit" – und mit dem Recht ihrer Leser, die nicht alle ihrer Leser einen Internetzugang hätten, den Adelsspross nackt auf Papier gedruckt zu sehen.
Prinz Harry, der nach seinem älteren Bruder Prinz William sowie dessen Kindern Prinz George, Prinzessin Charlotte und Prinz Louis an fünfter Stelle der britischen Thronfolge steht, nutzte aber seinerseits auch die Boulvard-Medien, um seinem Vater ins Stammbuch zu schreiben, dass er dessen zweite Ehefrau Camilla für eine "Schurkin" hält. Was sich ein König heutzutage von den eigenen Kindern und der Presse gefallen lassen muss, relativiert dann doch stark die machtvolle Aura der Monarchie.
Aus der Tagespolitik muss sich der König sowieso heraushalten. Seit mehr als 300 Jahren hat kein britischer Monarch mehr die Unterschrift unter ein Gesetz verweigert. Diese Möglichkeit besteht nur noch sehr theoretisch. "Nowadays this does not happen", erklärt das britische Parlament auf seiner Website. Der "Royal Assent" gilt als Formalie.
So ist bleibt es Sache der lohnabhängigen Klasse Großbritanniens, wie lange sie sich diese Luxus-Soapstars noch leisten will. Die Stimmung im Vereinigten Königreich, das bisher auf Brot und Spiele gesetzt hat, könnte kippen, wenn schon das Brot für immer mehr Menschen dauerhaft zum Luxusgut wird.
Wenigstens keine neoliberalen Vorbilder
Vielleicht fanden viele die "Royals" aber bisher gerade deshalb erträglicher als stromlinienförmige Aufsteiger, weil ihnen der Adel mit seinem offensichtlich unverdienten Luxus wenigstens nicht als leuchtendes Beispiel dafür präsentiert wurde, dass es angeblich jeder schaffen kann, vom Paketboten zum Millionär zu werden – wenn er nur nebenbei auf die Abendschule geht, studiert, gesund bleibt und nicht zu viele Amphetamine nimmt, um das durchzuhalten.
Am Glamour der "Royals" als Publikum teilzuhaben, war immer möglich, ohne sich im Sinne der neoliberalen Propaganda schuldig zu fühlen, weil man es nicht schaffte, sich in deren Welt hochzuarbeiten. Das war ja ganz offiziell nicht vorgesehen – und dass ihnen dort die Privatsphäre fehlt, vermochte den Neid auch wieder ein bisschen zu dämpfen. All das gilt vermutlich nicht mehr, wenn sich der Klassenunterschied durch Hunger bemerkbar macht.
Aber natürlich sagt einer, der sich nie anstrengen, aber auch nie unmittelbar rücksichtslos oder böse sein musste, um reich zu werden, im Bundestag weltfremde Sätze wie: "Wir können Mut schöpfen aus unserer Einigkeit." Er kennt ja aus eigener Erfahrung nicht das Rattenrennen, an dem sich andere Menschen beteiligen müssen, um im Kapitalismus erfolgreich zu sein.
"Einigkeit" gibt es aus seiner Sicht vor allem darüber, wie äußere Feinde zu bekämpfen sind: "Der Entschluss Deutschlands, der Ukraine so große militärische Unterstützung zukommen zu lassen, ist überaus mutig, wichtig und willkommen" – nur darauf bezog sich seine Wohlfühl-Aussage. Bedrohungen "unserer Werte" erfordern aus seiner Sicht Wachsamkeit und ein entschlossenes Entgegentreten. Phrasen über Phrasen. Mit "Werten" kann er jedenfalls nicht die britischen Lebensmittelpreise gemeint haben.
Dem Deutschen Bundestag kann wohl eher eine Schmierenkomödie vorgeworfen werden als ein Kotau vor einer machtvollen Monarchie. Charles‘ Auftritt dort war jedenfalls weniger folgenreich für die Demokratie hierzulande als die jüngste Wahlrechtsreform, nach der gewonnene Direktmandate ohne "Zweitstimmendeckung" nicht mehr ins Parlament führen. Die Menschen im eigenen Wahlkreis zu überzeugen und für sie ansprechbar zu sein, zahlt sich somit weniger aus, als eine Kampfabstimmung um einen guten Listenplatz innerhalb der eigenen Partei zu gewinnen.