Klagekampagne der Musikindustrie vorerst gestoppt
Verizon gewinnt vor Gericht gegen die RIAA
Am Freitag hat sich ein Bundesgericht in Washington D.C. auf die Seite des Internetanbieters Verizon gestellt und der US-Musikindustrie damit eine empfindliche Niederlage erteilt. Zwar kündigt die Recording Industry Association of America (RIAA) bereits an, auch in Zukunft weiter Nutzer zu verklagen. Doch dazu muss sie sich auf eine andere Taktik einlassen - und empfindlich höhere Kosten einkalkulieren.
Das Gericht entschied am Freitag, dass Verizon nicht dazu verpflichtet ist, der RIAA die Daten seiner Tauschbörsen nutzenden Kunden zu geben. Die Musikindustrie hatte für ihre bisherigen Klagen auf einen Passus des 1998 verabschiedeten Digital Millennium Copyright Acts gesetzt, der Provider zu solchen Datenübermittlungen verpflichtet. Das Gericht entschied jetzt jedoch, dass dieses Gesetz nur Anwendung findet, wenn die unberechtigt zum Download angebotenen Werke auf einem Server des Providers liegen - etwa auf der persönlichen Webseite eines Kunden. In einem solchen Fall verpflichtet der DMCA Internetanbieter dazu, die Materialien zu entfernen und die Kundendaten des Copyright-Sünders herauszugeben. P2P-Nutzung sei damit nicht gemeint. Wörtlich heißt es dazu im Urteil:
Verizon kann den Zugriff auf unheberrechtsverletzende Materialien auf dem Computer eines Nutzers nicht unterbinden, da Verizon nicht die Inhalte auf den Computern seiner Kunden kontrolliert.
Der Gesetzgeber habe die Entwicklung von P2P-Technologie nicht vorhersehen können und das Gesetz daher nicht weit genug gefasst. Jede andere Lesart des Gesetzes sei nahezu albern.
Dabei erklärte Richter Douglas Ginsburg in seiner Urteilsbegründung, durchaus Verständnis für die Probleme der Musikindustrie aufzubringen. Es sei jedoch nicht die Aufgabe des Gerichts, den DMCA umzuschreiben. Verizon handelte sich mit der jetzigen Entscheidung einen Sieg in einem seit Mitte 2002 dauernden Gerichtsverfahren ein (siehe auch: Die RIAA gegen Verizon).
Nächster Schritt: Klagen gegen Unbekannt?
Die Entscheidung stellt die Klagestrategie der Musikindustrie komplett in Frage und gibt auch den bereits verklagten P2P-Nutzern neue Hoffnungen. Die RIAA hat bisher Klagen gegen insgesamt 382 Tauschbörsen-Nutzer eingereicht. Die Identität all dieser Personen erschloss sich der Verband über jene jetzt für illegal befundenen Datenabfragen. Seit dem Sommer diesen Jahres hat der Verband sich die Daten von mehr als 900 Personen über derartige Anfragen besorgt. Am Freitag kündigte die RIAA an, auch ohne dieses Mittel weiter juristisch gegen Tauschbörsen-Nutzer vorgehen zu wollen. Dies dürfte jedoch weitaus zeitaufwändiger und vor allen Dingen teurer werden als die bisherige Kampagne.
Die auf den DMCA gestützten Datenabfragen ließen sich mit wenig Aufwand massenhaft generieren. Die so erlangten Daten nutzte die Industrie zudem seit Oktober dazu, Hunderten von P2P-Nutzern in einem ersten Schritt einen Drohbrief zuzuschicken, der eine Klage in Aussicht stellt, wenn man sich nicht außergerichtlich einige. Eine derartige Einigung ließ sich die RIAA im Durchschnitt mit 3.500 US-Dollar vergolden. Auch im Fall der eingereichten Klagen kam es oftmals schnell zu außergerichtlichen Einigungen, bei denen sich die einzelnen Nutzer zu saftigen Schadensersatzzahlungen verpflichteten.
Weniger Klagen, mehr Lobbyismus
Zwar gingen diese im wesentlichen für die Vergütung der beauftragten Anwälte drauf. Doch immerhin dürfte die Kampagne für den Lobbyverband bisher weitestgehend kostendeckend gewesen sein. Dies wird sich mit dem jetzt gefällten Urteil ändern. An Stelle der massenhaften Datenabfragen muss nun in jedem Einzelfall ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet werden, um den jeweiligen Provider gerichtlich zur Herausgabe der Daten zu verpflichten. Dies lässt die Verfahren teurer und langatmiger werden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass von nun an deutlich weniger Klagen eingereicht werden als zuvor.
Gleichzeitig dürfte die Musikindustrie mehrgleisig gegen die Entscheidung des Gerichts vorgehen. Einmal ist ein Einspruch möglich, um eine Neuverhandlung "en banc" zu erreichen, bei dem dann alle 12 Richter des zuständigen Gerichts noch einmal gemeinsam über den Fall zu entscheiden hätten. Andererseits deutete die Urteilsbegründung bereits an, dass der einfachste Weg für die Industrie möglicherweise eine Ergänzung des DMCA sein könnte. Es ist deshalb zu erwarten, dass die RIAA ihren Lobby-Apparat in Bewegung bringen wird, um eine sich genehme Gesetzesänderung zu erreichen. Ob sie damit allerdings Erfolg haben wird, ist fraglich: Schließlich ist in den USA im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlkampf - und wer will schon auf die Stimmen von 54 Millionen P2P-nutzenden Wählern verzichten?