Klamme Krankenversicherungen: Versicherte sollen leere Kassen wieder füllen

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Nach Plänen des Gesundheitsministers Karl Lauterbach sollen die Zusatzbeiträge der Versicherten steigen. Warum das keine nachhaltige Lösung ist.

In den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung klafft ein riesiges Loch: Es fehlen rund 17 Milliarden Euro. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will es schließen und dafür den Versicherten tiefer in die Tasche greifen.

Steigende Beiträge sollen Teil eines Maßnahmenbündels sein, mit dem das Defizit gedeckt werden soll und man erhofft sich dadurch Mehreinnahmen von fünf Milliarden Euro. Dafür soll den Versicherten der Zusatzbeitrag um 0,3 Prozent erhöht werden. Sie würden dann 1,6 Prozent ihres Bruttolohns als Zusatzbeitrag abführen, neben dem allgemeinen Satz von 14,6 Prozent.

Deutliche Kritik an den Plänen übten am Mittwoch die Vorsitzenden des Verwaltungsrates des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Uwe Klemens und Susanne Wagenmann. Sie erklärten, das Loch in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen sei "das Ergebnis konkreter politischer Entscheidungen in der Vergangenheit".

Einerseits wurden Gesetze beschlossen, die zu strukturell höheren Ausgaben führten, andererseits gab es keine nachhaltige Gegenfinanzierung. Vielmehr wurden die höheren Ausgaben durch das Auflösen von Rücklagen und adhoc-Steuerzuschüsse kurzfristig gegenfinanziert. Dabei wurde von der Bundesregierung der Weg der soliden und nachhaltigen Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung für die 73 Millionen gesetzlich Versicherten verlassen.

Uwe Klemens und Susanne Wagenmann

Kritik von Abgeordneten der Linken an der Reform

Bereits Ende Juni hatten Abgeordnete der Linken-Fraktion im Bundestag die geplante Beitragserhöhung kritisiert. "Hier setzt der Bundesgesundheitsminister ein falsches Signal", hatte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Susanne Ferschl, erklärt. Die Bundesregierung müsse das Defizit der Krankenkassen ausgleichen. Angesichts der hohen Inflation und zunehmender Sorgen über eine Rezession dürften die Beschäftigten nicht noch zusätzlich belastet werden.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, sprach von einem Zwei-Klassen-System, bei dem "hohe Einkommen prozentual weniger zur Finanzierung beitragen". Eine "solidarische Gesundheitsversicherung", bei der alle Einkommen einbezogen würden, könnten "die Kosten der Gesundheitsversorgung locker tragen".

Damit spielte Vogler auf die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung an. Aktuell liegt sie bei einem Jahreseinkommen von 58.050 Euro, was einem Monatsverdienst von 4.837,50 Euro entspricht. Bis zu dieser Grenze sind die Einkommen beitragspflichtig – alles darüber bleibt beitragsfrei. Damit ist die relative Belastung für niedrige Einkommen höher als für hohe Einkommen.

Doch besonders unverständlich blieb für Vogler, dass Lauterbach nicht dafür sorgt, "dass der Staat die Versicherten mit gerechten Beiträgen für ALG-II-Beziehende entlastet". Das sei eine Arbeitsverweigerung, die nicht akzeptabel sei, erklärte sie.

In ähnlichen Worten wiederholten nun Klemens und Wagenmann diesen Kritikpunkt. Der Staat komme hier einer seiner sozialen Kernaufgaben auch weiterhin nicht nach, sagten sie. Stattdessen müssten die gesetzlichen Krankenkassen den Staatshaushalt Jahr für Jahr mit rund zehn Milliarden Euro subventionieren.

Im Auftrag des Staats organisieren und bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen die gesundheitliche Versorgung der ALG-II-Empfangenden, erhalten dafür aber vom Staat pro Jahr zehn Milliarden Euro weniger aus Steuermitteln, als sie für diese Versorgung ausgeben müssen. Wenn der Staat hier seiner Verpflichtung voll nachkäme, wäre das ein entscheidender Beitrag zur Stabilisierung der GKV.

Uwe Klemens und Susanne Wagenmann

Beiträge könnten stärker steigen als bislang gedacht

Experten gehen indessen davon aus, dass den Krankenkassen im nächsten Jahr mehr Geld fehlen könnte als bislang gedacht. Das geht aus einem Gutachten des IGES-Instituts hervor, das im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit erstellt und am Dienstag vorgestellt wurde.

Das Defizit könnte sich auf 19 Milliarden Euro belaufen statt der 17 Milliarden Euro, mit denen bislang gerechnet wird. Sollte es aber zu einem Stopp der Gasimporte aus Russland kommen – und damit auch zu einem wirtschaftlichen Einbruch –, dann könnte der Finanzbedarf um fünf Milliarden Euro ansteigen.

Aber auch ohne Worst-Case-Szenario macht sich der Krieg in der Ukraine längst bei den Krankenkassen bemerkbar. Die Inflation macht sich zum Beispiel bei den Kosten im Gesundheitssektor bemerkbar; aber auch die Versicherung der ukrainischen Flüchtlinge sorgt für steigende Kosten.

Dem Gutachten zufolge könnte das Finanzminus der Krankenkassen bis 2025 sogar auf 30 Milliarden Euro ansteigen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Wohlgemerkt: Ohne dass es zu einem Stopp der Gaslieferungen kommt.

Müssten die Versicherten an dieser Stelle wieder einspringen, dann käme es sie teuer zu stehen. Laut Handelsblatt müssten die Beiträge dann schon im kommenden Jahr um ein Prozent angehoben werden.

Deshalb fordern die Krankenkassen von der Bundesregierung, dass sie die Beiträge für die Hartz-IV-Empfänger kostendeckend finanziert, so wie es die drei Regierungsparteien im Koalitionsvertrag zugesagt haben. Ferner fordern sie, dass die Mehrwertsteuer auf Medikamente verringert wird, wie es zum Beispiel bei der Tiermedizin seit Jahren üblich ist. Das würde die Krankenkassen um geschätzte fünf Milliarden Euro entlasten.