"Kleiner Kreis entscheidet über die Zukunft der Landwirtschaft in Europa"
Das Europäische Patentamt muss eine Grundsatzentscheidung über die Patentierbarkeit von Pflanzen treffen
Jeden Monat hat Patentrechtsspezialist Franck Coutand vom Saatguthersteller Limagrain wieder eine neue Patentanmeldung von einer Biotech-Firma auf dem Tisch, die eine Pflanze patentiert haben will. Jedes Mal muss er überlegen, wie Limagrains Züchtungsprojekte für neue Gemüse- oder Getreidesorten verändert werden müssen, falls das Patent erteilt wird. "Mit jedem neuen Patent dieser Art wird der Spielraum kleiner", sagte Coutand im Anschluss an die Verhandlung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts über die Patentierbarkeit von Verfahren zur Herstellung von Brokkoli, der Schrumpeltomate und über die so "erzeugten" Pflanzen (Patent auf traditionell gezüchteten Brokkoli).
Während drinnen die Anwälten juristische Spitzfindigkeiten austauschten, protestierte vor der Tür des Patentamtes eine von 300 verschiedenen landwirtschaftlichen Verbänden, Umweltschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen unterstützte Allianz unter dem Motto: Keine Patente auf Saatgut. 100.000 Menschen haben mittlerweile die verschiedenen Eingaben ans EPA unterzeichnet.
Von 1.300 einschlägigen Patenten, die das Europäische Patentamt zwischen 1990 und 2007 erteilt hat, notierte das Amt nach eigenen Angaben nur 79 für nicht gentechnisch veränderte Pflanzen. Doch diese Zahl ist alt. Längst geht der Trend beim Patentieren von Pflanzen und deren Herstellungsverfahren weg von der Gentechnik und hin zu klassischen, wenn auch durch die Biotechnologie unterstützten Züchtungsverfahren. Die Organisation Greenpeace, ebenfalls Partner der Allianz "keine Patente auf Saatgut", spricht von aktuell rund hundert erteilten und 1.000 beantragten Patenten auf Lebensmittel. Christoph Then, Patent-Berater von Greenpeace, befürchtet den endgültigen Dammbruch, wenn die gestern verhandelten Patente auf Brokkoli und Schrumpeltomate Bestand haben.
So denkt auch die Saatgutkooperative Limagrain, immerhin einer der größten konventionellen Saatguthersteller weltweit und darum hat es gegen das 2002 an die britische Biotech-Firma Plant Bioscience erteilte Patent für ein "Verfahren zur selektiven Erhöhung des antikarzinogenen Glukosinolate bei Brassica-Sorten" im April 2005 Beschwerde eingelegt (Wie der Brokkoli die Welt verändert). Unterliegt man jetzt beim Brokkoli, so befürchtet Coutand, muss er die Entwicklungsabteilung künftig noch öfter anweisen, bestimmte Züchtungsprojekte zu stoppen.
Limagrains pfiffige Anwältin Carol Almond-Martin argumentierte vor der großen Beschwerdekammer streng formal, dass das von Plant Bioscience angemeldete Verfahren, bei dem Pflanzen mit hohen Glukosinolat-Wert selektiert und dann gezielt mit anderen Sorten gekreuzt werden, letztlich längst Stand klassischer Züchtungstechnik ist. Damit müsste es laut einer Formulierung in der Biotechnik-Richtlinie der Europäischen Union von einer Patentierung ausgeschlossen sein. Im Paragraph 53 b gibt es da nämlich ein Verbot der Patentierung von "im wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren".
Weil diese biologischen Verfahren allerdings in der Richtlinie definiert sind als Verfahren, die "vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruhen", spricht man auch beim EPA von mangelnder Klarheit. Reicht ein kleiner technischer Kniff aus, um ein Züchtungsverfahren von klassischen Züchtungsverfahren und natürlichen Evolutionsprozessen abzusetzen? Die Entscheidung der großen Beschwerdekammer über das Brokkoli-Patent und das vergleichbare Patent von Israels Landwirtschaftsministerium auf für die Ketchup-Produktion geeignete Schrumpeltomate wird daher vom Amt als Grundsatzentscheidung und Wegweiser für die künftige Beurteilung betrachtet.
In der knapp achtstündigen Verhandlung betrieben die Anwälte von Plant Bioscience, Winfried Tillmann, ehemaliger Patentberater des deutschen Justizministeriums, auf der einen und der für den Nahrungsmittelkonzern Unilever gegen die Schrumpeltomate auftretende Tjon Hon Kong Guno auf der anderen Seite selbst archäologische Studien zum Gesetzgebungsprozess. Das Europäische Parlament habe sich klar dagegen ausgesprochen, das Verbot von Pflanzenpatenten eng zu fassen, sagte Tjon. Im Licht der entsprechenden Änderungsanträge aus der damaligen Zeit dürften die Verbote nun nicht zu eng gefasst werden. Tillmann hielt dagegen, dem Parlament hätte doch auffallen müssen, dass durch eine unmittelbar vor Ende des Verfahrens vom Rat eingebrachte Formulierung die Spielregeln für die Patentverbote substanziell verändert worden wären. Pech fürs Parlament oder eher – nicht gut aufgepasst – sozusagen.
Das ganze Verfahren vor der großen Beschwerdekammer könne letztlich nicht herausfinden, was "richtig" sei, sagte Experte Then angesichts des Geplänkels. Vielmehr treffe die Beschwerdekammer eine Entscheidung über die künftige Patentierungspraxis. "Da drinnen entscheidet ein kleiner Kreis von Leuten, die nicht einmal besonders demokratisch gewählt sind, über die Zukunft der Landwirtschaft in Europa", kritisierte Ruth Tippe, die gemeinsam mit Then vor vielen Jahren die Allianz "Kein Patent auf Leben" ins Leben gerufen hat.
Generelles Verbot der Patentierung von Pflanzen und Tieren im nationalen Patentrecht gefordert
"Eine Provokation für die Bauern" nannte Georg Janßen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Verhandlung am Patentamt rundweg, "eine Provokation, weil es eine Enteignung ist." Schließlich züchten Landwirte seit Jahrhunderten Saatgut und aus diesem bedienen sich letztlich auch die Biotech-Firmen. Das Ziel von Konzernen wie Monsanto sei letztlich die Kontrolle vom Acker über die Lebensmittel bis zum Teller der Konsumenten, wetterte Janßen. "Modernes Raubrittertum", nannte die grüne Bundestagsabgeordnete Ulrike Höfken das.
Aus der Sicht der Gipfel der Unverschämtheit: Per Fragebogen sollen die Bauern detailliert Auskunft über die von ihnen angebauten Sorten geben. Gegen diese Ausforschung hat der Verband schon siebenmal vor dem Bundesgerichtshof und fünfmal vor dem Europäischen Gerichthof gewonnen, sagte Janßen bei der Kundgebung. "Ist das denn Demokratie, wenn man gegen Geld Patente verteilt?", fragte ein Landwirt, der aus Rheinland-Pfalz zu der Kundgebung angereist war.
Eine andere Finanzierung der Patentämter sei ganz offensichtlich notwendig, sagte einer der angereisten Politiker bei der Kundgebung. Matthias Miersch, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Autor eines aktuellen Antrags, der die Bundesregierung auffordert, sich auf europäischer Ebene für ein Verbot der Patentierung von Pflanzen un Tieren einzusetzen. Allerdings dürfe der Gang nach Brüssel, den das Landwirtschaftsministerium mit einem für den 28. September in der europäischen Hauptstadt geplanten Symposium zum Thema vorsichtig schon einmal vorsichtig beschreiten will, nicht dazu führen, gesetzliche Änderungen auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben.
Mit einem generellen Verbot der Patentierung von Pflanzen und Tieren im nationalen Patentrecht und mit einem System der Prozesskostenhilfe für Einspruch erhebende Kläger könne die Bundesregierung ein erstes Zeichen setzen, sagte Miersch. "Wir werden uns in der ersten Woche nach der Sommerpause zusammensetzen", sagte Höfken. Da Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner sich bereits mehrfach für ein Patentierungsverbot ausgesprochen hatte, hoffen die Politiker, aber auch kritische Experten wie Then auf einen gemeinsamen Vorstoß aller Fraktionen.
Then sieht eine echte Chance, das Patentrecht zu ändern, auch weil es in anderen Ländern, etwa den Niederlanden, ebenso gärt. Dort hat sich das Parlament kürzlich für die Aufnahme einer Schrankenregelung zugunsten der Landwirte und Züchter ausgesprochen. Über eine Initiative für eine gesetzliche Änderung in Europa soll in zwei Monaten noch einmal beraten werden, sie fiel trotz einer überaus kritischen Studie über das "Geschäft mit dem Züchten" von der Universität Wagingen im ersten Anlauf noch durch.
Auch anderswo wird gegen Biopatente gekämpft
Unterstützung für den Backlash gegen die ewige Ausweitung von Patentrechten in Europa gab es in München auch aus Frankreich, Indien, Bhutan, Ghana, Costa Rica, Philippinen und Argentinien. "Ihr könnt Euch vermutlich vorstellen, wie schwer Biopatente den Bauern in Costa Rica das Leben machen", sagte ein eigens zur Kundgebung angereister Vertreter. Aus Indien berichtete ein Landwirt über den Erfolg der dortigen Bauern im Kampf gegen die gentechnisch veränderte Aubergine. Für die gebe es jetzt erst einmal ein Moratorium.
"Da ist eindeutig etwas in Bewegung gekommen", sagte Carlos Correa von der Universität Buenos Aires. Auch in den USA gebe es Anzeichen für eine Abkehr vom Expansionskurs im Patentwesen nach dem Motto: "Alles unter der Sonne, was der Mensch gemacht hat, ist patentierbar." Im Streit um die Patentierung des "Brustkrebs-Gens" gab es im Frühjahr eine erste Gerichtsentscheidung, die besagt, dass die reine Isolierung eines Gens einfach nicht ausreicht, um es zu patentieren. Correa sieht darin einen beginnenden Heilungsprozess.
Der Argentinier, der die Verhandlung am EPA den ganzen Tag verfolgte, rief am Montag bei einer Konferenz der kritischen Nichtregierungsorganisationen – neben Kein Patent auf Saatgut Greenpeace, die Entwicklungshilfeorganisationen Misereor, Swissaid, Erklärung von Bern und die norwegische Organisation "The Development Fund" - dazu auf, die Botschaft über diesen "Heilungsprozess" auch den Entwicklungs- und Schwellenländern zu übermitteln. Diese würden häufig nur mit der Erwartung konfrontiert, dass sie sich dem importierten Patentsystem anzupassen hätten. Übrigens würden die Möglichkeiten, bestimmte Dinge generell nicht zu patentieren, zu wenig genutzt, obwohl sie doch vom Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums zum Wohl öffentlicher Interessen klar gedeckt seien.
Einer der Anwälte von Plant Bioscience wies konsterniert einen Hinweis Almond-Martins zurück, dass bei der Ausarbeitung der Biotechnologie-Richtlinie Änderungen im Sinne des öffentlichen Interesses vorgenommen worden seien. Das Argument vom "öffentlichen Interesse" höre er in diesem Zusammenhang zum ersten Mal.