Klima und Rassismus
Das rassistische europäische Selbstverständnis verwüstet seit 500 Jahren Menschen und Natur. In Alltag, Politik und Wissenschaft wird es so perfekt verdrängt, dass ihm kein Regenwurm, keine Mangrove und letztlich kein Mensch entkommen wird (Teil 1)
Klimaforschung, Future-Bewegungen, Umweltschützer:innen weltweit versuchen seit vielen Jahren zu verhindern, dass die klimatischen Systeme weiter aus dem Lot geraten und das Leben auf der Erde bedrohen. Der weitaus größte Teil dieser Klima- und Lebensrettungsdynamik ist in den Ländern oder Staaten angesiedelt, die zur Umweltverschmutzung, zur Vernichtung der Lebensbedingungen für Menschen, Tiere und Pflanzen, am meisten beitragen, also überwiegend im globalen Norden.
Dieses Zusammentreffen jener, die fahrlässig und vorsätzlich alles Lebendige schädigen, und denen, die Protest laut werden lassen – manchmal sogar Widerstand -, könnte Hoffnung machen. Die Hoffnung aber trügt. Beide "Lager" übersehen die für das globale Weiterleben vielleicht tödlichste Gefahr, die Klima-Zerstörungs-Konstante (KZK).
Für die einen war sie schon immer die selbstverständliche und deshalb nicht-bewusste Grundlage ihres Daseins, ihres Handelns und ihrer Vorstellungswelt, die anderen dringen mit ihren Anklagen gegen Profit, Wachstum und Konsumterror nicht wirklich zu ihr vor.
Die hier vertretene These lautet: Rückt die Klima-Zerstörungs-Konstante nicht in den Fokus des Kampfes gegen den klimatischen Zusammenbruch, wird er nicht aufzuhalten sein.
Kolumbus und der europäische Humanitätsbruch
Mit dem Donner der Kanonen zum Abschied von Columbus aus Europa war auch so etwas wie der Startschuss für die Klimazerstörung gefallen. Sie beginnt mit den erbarmungslosen Übergriffen der Europäer und später der Nordamerikaner auf die Teile der globalen Weiten, die nahezu alles bargen, was das Leben angenehm, luxuriös und übersättigt macht.
In den zwei bis drei Jahrhunderten nach Columbus, Vasco da Gama oder Magellan wurde Europa überflutet mit den natürlichen Reichtümern der okkupierten, teilweise zerstörten Völker und Kulturen jenseits der Ozeane.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Reiche und Staaten auf der Nordhalbkugel aus den Kontinenten Afrika, Asien und Mittel- und Südamerika unermessliche Mengen an Über- und Unterbodenschätzen – und Millionen Menschen als Sklaven – in den eigenen Besitz überführt. Mithilfe ihrer zerstörerischen Gewalt kolonisierten die Invasoren weite Teile der irdischen Welt.
Der formale Verzicht auf die Kolonien – überwiegend zu Anfang des letzten Jahrhunderts – erwies sich als raffinierte Rochade: Die Strategien der nordwestlichen Machtzentren, die ökonomisch und politisch hegemonial waren und sind, beinhalteten Zugeständnisse an Selbständigkeit, Freiheit, staatlicher Autonomie und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, gekoppelt an die bruchlose Fortsetzung von Ausraubung, Unterdrückung und Ausbeutung. Von westlichen Konzernen diktierte Handelsverträge und scheinpartnerschaftliche Kooperationen erweisen sich seither folgerichtig als Betrugsmanöver, die das Ausmaß der Inbesitznahme von Boden, Kulturpflanzen und Arbeitskräften im Vergleich zur Kolonialzeit weiter verschärfen.1
Sie legalisieren und legitimieren den neuen Kolonialismus als gängiges Format des Umgangs des Nordens mit dem Süden, beseitigen ihn also keineswegs, wie sie häufig vorgeben.
Imperialismus, dem Kolonialismus verwandt, aber durch die unverhohlene Integration militärischer Gewalt effektiver und ergiebiger – gleich doppelt, denn das Militär war immer auch ein wichtiger Wirtschafts- und Technologiefaktor –, wurde zum Mittel der Wahl zeitgenössischer neoliberaler Expansion, deren Folgen täglich zu besichtigen sind, als Katastrophen-Kapitalismus, dessen Schock-Strategien seit einigen Jahrzehnten unvorstellbare Verwüstungen auf dem Planeten Erde anrichten.2
Seine Opfer in den kolonisierten Gebieten, in den ausgelaugten Gegenden im Süden, haben nichts als ihr nacktes Leben, werden von ihren Ländereien vertrieben3 und vielerorts als Sklaven bis zum letzten Atemzug ausgepresst.
Wagen sie den Widerstandsmodus als letzten Akt des Kampfes um ihr Überleben, werden sie mit überlegener militärischer Gewalt gemeuchelt, ganze Völker fast ausgerottet, wie die Nama und Herero durch deutsche Kolonisten.4
In der jüngeren Vergangenheit setzen die Damen und Herren der Damen- und Herrenvölker diese für sie fruchtbringende Tradition nahtlos fort, in Vietnam und Kambodscha, später Irak und Libyen, zuletzt vor allem Afghanistan. Das Vorkommen wichtiger Bodenschätze begründete etwas – historisch gesehen – wahrscheinlich wirklich Innovatives: Blut- und Bodenpolitik, Mord und Totschlag unter dem Motto "Menschenrechte" und "Demokratie" als Lüge und Betrug in Wort, Bild und Tat.
Verbrämt mit verbalen Rechtfertigungsorgien werden ferne Gemeinwesen für die eigene Bereicherung und Machterweiterung zerschlagen. Die trickreichen Kosten-Nutzen-Kalküle reichen bis in die gegenwärtige europäische Asylpolitik: Wer ausbeutbar ist, darf kommen und bleiben, unnütze Esser oder nicht auspressbare Hilfesuchende werden als unerwünschte Eindringlinge deklariert und dürfen im Mittelmeer ersaufen oder in der Wüste verdursten, sich in libyschen Lagern quälen und vergewaltigen lassen oder in Bosnien und an der polnischen Grenze, Europa zum Greifen nahe vor sich, in Stacheldrahtzäunen verrecken.
Kolonialismus und Imperialismus werden als Ausraubungs- und Zerstörungsmaschinerien zur Sicherung der nord-westlichen Existenzgrundlagen erst vollends begreifbar, wenn ihr Lebensnerv freigelegt wird: Rassismus, die Selbstgewissheit der BewohnerInnen im Norden, lebenswerter zu sein als die Menschen in südlichen Gefilden.
Schon zur Zeit der so gar nicht unschuldigen Entdeckungsreisen grassierte ein exkulpierender rassistischer Bazillus, der die jahrhundertelange Barbarei, mit der die zivilisatorisch Selbstgerechten die vermeintlich rückständigen Völker auf der Südhalbkugel ausnutzten oder abschlachteten, bis heute als legitim erscheinen lässt.
Diese Spur der rassistischen Legitimation für jedes weltweit begangene Verbrechen ist in die Zeit des europäischen Aufbruchs in die Moderne zurück zu verfolgen. So gewaltig die Veränderung des Welt-, Gesellschafts- und Menschenbildes durch Kopernikus war, als er das geo- durch das heliozentrische Weltbild ersetzte, so penetrant pochten seine politisch und ökonomisch dominanten ZeitgenossInnen darauf, dass es durch ein eurozentrisches ergänzt wurde:
Sie hatten sich im Zuge der nur vordergründig allumfassenden Aufklärung, die schon im Moment ihrer Geistwerdung gegenaufklärerisch wurde5, selbst zum wissenden und innovationsfähigen Teil der Menschheit erklärt, dem es zustand, den in jeder Hinsicht beschränkten Teil anderswo bedingungslos zu unterjochen.
Ihre Logik war so einfach wie betörend, weil zirkelschlüssig: Wer über die Fähigkeiten und die Mittel verfügte, Menschen und Völker in anderen Teilen der Welt zu betrügen, zu bestehlen, sich untertan zu machen, gehörte zweifellos zur überlegenen Rasse, deren nautische und kriegerisch-militärische Überlegenheit hinreichender Beleg dafür war, dass nur sie mit Gold und Gewürzen, Kakao und Zuckerrohr, Baumwolle und Kaffee wirklich etwas Sinnvolles anfangen konnten.
Ein globaler Lebensrhythmus, in dem alle Menschen zufrieden mitschwingen, war den Vertretern dieser Krämer- und Dominanz-Logik ein Gräuel, der brandschatzenden und räuberischen Selbstüberschätzung war eine friedliche und gerechte Welt für alle ein sinnloses Hirngespinst.
Alltägliches rassistisches Selbstverständnis und Verhalten haben sich in fünfhundert Jahren europäischen Überlegenheitsdünkels wahrscheinlich im Erbgut des weißhäutigen, bleichgesichtigen Teils der Menschheit verankert – oder gibt es eine auch nur annähernd überzeugende oder plausible Begründung für die obszönen Formen der Ausbeutung von Abermillionen Menschen, für die Vertreibung von ihrem Grund und Boden, für das Leerfischen ihrer überlebenswichtigen Gewässer, für Kinderarbeit auf Kakaoplantagen und in T-Shirt-Fabriken, für verlogene Debatten über "faire Löhne" und "Sozialstandards", die im Vergleich zu den hiesigen Bedingungen nichts als herrische Demütigungen sind?
Für den gesellschafts-politischen Umgang mit Flüchtlingen, mit in Armut lebenden Menschen, mit Sklaven auf Plantagen, mit gewaltsam unterdrückten Frauen, mit Indigenen, spielt nicht die Hautfarbe die entscheidende Rolle, sondern die grundsätzliche Missachtung von Menschen, die generelle Gleichgültigkeit ihnen gegenüber – das rassistische Grundmuster, das allen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen zugrunde liegt. Sonst würden uns6 Bananen, Ananas und Steaks im Hals stecken bleiben und Hemden und Hosen würden uns die Haut verbrennen, weil wir das Blut, den Schweiß, die Verzweiflung und das Elend ihrer ProduzentInnen spüren würden.
Und wir würden begreifen, dass von dieser Menschenvernichtungslogik jene, die das fatale Pech haben, im sonnigen und so unermesslich reichen Süden geboren worden zu sein, gleich doppelt heimgesucht werden: Direkt über Vertreibung, Hunger und Verheerung ihrer Lebensräume, indirekt über die Folgen der Klimaveränderungen, die ihre Lebensgrundlagen verwüsten oder im Meer versinken lassen.