"Klimakleber": Die Mär vom "Pakt zwischen Regierenden und Gesetzesbrechern"

Vorerst abgesagt: Straßenblockaden in Hannover. Foto: Letzte Generation

Hat die "Letzte Generation" erfolgreich die Stadt Hannover erpresst – oder sich mit warmen Worten über den Tisch ziehen lassen? Vielleicht brauchen die Aktiven der Gruppe nur eine Verschnaufpause.

"Die nettesten Erpresser Niedersachsens" nannte die Zeit am Montag die Klima-Initiative "Letzte Generation" "Wir haben eine Stadt gewonnen", freute sich eine Aktivistin über den "Deal" mit Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne).

Das bedeutet aber nun nicht, dass in Hannover ab sofort die von konservativen Autofans befürchtete Ökodiktatur herrscht. Vorerst finden dort keine Straßenblockaden der "Letzten Generation" mehr statt – und Onay hat im Gegenzug einen Brief an alle Bundestagsfraktionen, mit Ausnahme der AfD geschickt.

"Mir ist es wichtig, den Protest und die Blockaden von der Straße zu holen", erklärte das Stadtoberhaupt am Donnerstag auf Instagram.

Das Thema Klimaschutz ist zu wichtig, als dass wir es uns erlauben können, damit gesellschaftlich zu polarisieren – so wie es derzeit die "Letzte Generation" tut. Ich diskutiere lieber mit klimabewegten Menschen und schaue, ob ihre Forderungen und Ideen uns weiterbringen können.

Diese Debatten sind vor allem bundespolitischer Natur und entsprechend habe ich heute einen Brief an die Bundestagsfraktionen gesendet.


Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover

Mit der "Letzten Generation" habe er sich darauf verständigt, weiter im Gespräch zu bleiben. Dafür habe die Gruppe zugesichert, "ihre Störungen in Hannover dauerhaft einzustellen".

Letztendlich scheint Onay nicht viel mehr versprochen zu haben, als bei den Bundestagsfraktionen ein gutes Wort für die Ziele der Gruppe einzulegen. In besagtem Schreiben unterstützt er die Forderung nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen und einem günstigen Nahverkehrsticket in Anlehnung an das Neun-Euro-Monatsticket.

Er teile die Einschätzung der Wissenschaft und der "Letzten Generation", dass die aktuellen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen und die existenzbedrohende Klimakrise abzuwenden, schrieb Onay den Fraktionsvorsitzenden ins Stammbuch – und ruft den Bundestag auf, über die Forderungen zu beraten und sie umzusetzen.

Über die unterschiedlichen Vorstellungen von einem "Gesellschaftsrat" oder einem "Bürger:innenrat", der effektive und sozialverträgliche Klimaschutzmaßnahmen erarbeiten soll, "lohnt es sich" aus seiner Sicht "zu diskutieren".

"Ziviler Widerstand ist einmal mehr von Erfolg gekrönt"

Versprochen wird im Grunde nichts – für Hannover bekräftigt Onay noch einmal das Ziel, dass die Stadt bis 2035 klimaneutral werden soll. Ein "Sofortprogramm" hierfür wurde bereits im Juni 2022 vorgelegt. Das sei aber nicht mehr als eine Sammlung unverbindlicher Vorschläge – ohne Terminierung und Budgetierung, bemängelten damals Klimabewegte von Fridays for Future.

In Onays Schreiben heißt es nun, die bundespolitischen Forderungen der "Letzten Generation" könnten der Stadt helfen, ihre Klimaziele zu erreichen. Von der Gruppe wird dies als Erfolg gefeiert:

"Ziviler Widerstand ist einmal mehr von Erfolg gekrönt. Würde die Bundesregierung der existenziellen Bedrohung des Klimakollaps mit derselben Vernunft begegnen, wie die Stadt Hannover, wären wir beim Schutz der Bevölkerung einen großen Schritt weiter", freute sich der Sprecher der "Letzten Generation", Theodor Schnarr, über den Appell des Lokalpolitikers.

Auch wenn dieser Appell vorerst völlig wirkungslos bleiben könnte und Autofahrer in Hannover trotzdem erst mal nicht mit "Klimaklebern" auf der Fahrbahn rechnen müssen, sind Konservative, Rechte und Neoliberale nicht etwa erleichtert, sondern erbost über die "Kooperation" des grünen Oberbürgermeisters mit der Gruppe. Von einem "Pakt zwischen einem Regierenden und Gesetzesbrechern" ist im neurechten Blog Tichys Einblick die Rede.

"Herr Onay und Bündnis 90/Die Grünen unterstützen damit eine Bewegung, die fortlaufend und bewusst Straftaten begeht, um ihre Anliegen durchzusetzen, und die in Teilen von Berufsdemonstranten getragen wird", beschwerte sich Andrea Lindholz, CSU-Fraktionsvize im Bundestag, laut einem Bericht der Welt.

"Die nächste Eskalation kommt bestimmt"

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin nannte es "naiv und gefährlich, wenn einzelne Kommunen dieser Erpressung jetzt nachgeben. Denn die nächste Eskalation folgt bestimmt".

Gut möglich, dass sich die "Letzte Generation" angesichts des engen Zeitfensters zur Eindämmung der Klimakatastrophe nicht ewig mit Appellen von Kommunalpolitikern an den Bundestag abspeisen lässt – aber eine gewisse Verschnaufpause haben Aktive, die den Winter über mehrmals im Morgengrauen auf der kalten Fahrbahn klebten und von der Polizei festgenommen wurden, vielleicht auch nötig. Wer wäre da nicht erschöpft?

Den Klimaschutz-Bremsern in Politik und Medien scheint es vor allem darum zu gehen, dass die Gruppe, die sich bei ihren Aktionen auf das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 beruft, nicht durch Gespräche mit Politkern "geadelt" wird, sondern weiterhin ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden bleibt. Es geht um Deutungshoheit und Delegitimierung.

Allerdings machen manche Richterinnen und Richter dabei keine gute Figur. Ein Berliner Amtsrichter ließ am 16. Februar im Prozess gegen die Aktivistin Carla Hinrichs tief blicken, als er ihr erklären wollte, warum ihr Engagement sinnlos und somit auch nicht zu rechtfertigen sei: "Die Dinos sind auch ausgestorben. Der Mensch wird es sowieso, davon bin ich fest überzeugt. Das lässt sich nicht verhindern, dafür ist er zu dumm."

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