Klimapolitik als geopolitische Waffe

Seite 2: Dekarbonisierung ändert nichts an Rohstoffabhängigkeit

Auch bei den für die Dekarbonisierung notwendigen Rohstoffen sieht es nicht besser aus. So braucht man für eine Batterie neueren Typs mit 60 kW/h-Leistung neun Kilogramm Kobalt, elf Kilogramm Lithium und 70 Kilogramm Nickel.

Die Länder mit der größten Fördermenge bei Kobalt sind Demokratische Republik Kongo, China, Kanada, Russland. Bei Nickel sind es Indonesien, Philippinen und Russland. China hat auch die größte Menge bekannter Reserven seltener Erden, während Russland hier an vierter Stelle liegt.

Gebraucht werden diese Stoffe etwa in Elektromotoren, Robotern oder Windgeneratoren. Derzeit bezieht die EU mehr als 90 Prozent davon aus China. Für E-Autos und Speichertechnologie benötigt sie bis 2030 nach eigenen Angaben 18-mal mehr Lithium und 5-mal mehr Kobalt und bis 2050 jeweils 60-mal und 15-mal mehr. Weltweit prognostiziert die Weltbank bis 2050 einen Anstieg der Kobalt- und Lithiumproduktion um 500 Prozent.

Lediglich bei grünem Wasserstoff, eine Hauptsäule des Green Deal, sieht die Lage etwas günstiger aus. Zumindest auf den ersten Blick. "Grün" heißt, die sehr energieintensive Elektrolyse, mit der Wasserstoff aus Wasser abgespalten wird, geschieht mit erneuerbaren Energieträgern.

Spanien etwa und andere Mittelmeeranrainer verfügen hier über beträchtliches Potenzial – vorausgesetzt sie haben genügend Wasser und Photovoltaik. Die Solarzellen könnten sie von China beziehen, dem globalen Marktführer.

Oder sie können sie selbst herstellen. Dazu braucht man aber neben dem problemlosen Silizium u.a. auch unbedingt Indium aus der Familie der seltenen Erden. Und wo gibt es das?

Mit 40 Prozent der Weltproduktion liegt China an erster Stelle, gefolgt von Südkorea mit 32 Prozent und Japan mit zehn Prozent. Auch die größten bekannten Reserven liegen in China. Also auch hier keine Spur von strategischer Autonomie.

Aber immerhin ließe sich grüner Wasserstoff aus benachbarten Regionen beziehen, so Sonnenstrom aus Nordafrika oder Windstrom aus Skandinavien oder der Ukraine. Allerdings wird auch das seine Zeit dauern, denn auch dort braucht man die gleichen Rohstoffe.

Deshalb wird kurzfristig blauer, violetter und gelber Wasserstoff für eine Übergangszeit als kleineres Übel schneller verfügbar sein.

Bei der blauen und violetten Methode wird die Elektrolyse mit Gas durchgeführt, das CO2 abgeschieden und unterirdisch gelagert (Carbon Capture & Storage, CCS), bzw. der Kohlenstoff in fester Form als Grafit abgespalten.

In der Umweltbewegung stößt die Technik weitgehend auf Ablehnung, während der Weltklimarat der Uno (IPCC) sie als legitimes Verfahren zur CO2-Reduzierung führt.

Die gelbe Wasserstoffgewinnung arbeitet mit Atomenergie und wird vom IPCC, ebenfalls als legitimer Beitrag zur Energiewende eingestuft. Die EU dürfte darin demnächst folgen. Frankreich bezieht nicht nur 70 Prozent seines Strombedarfs aus seinen 57 Reaktoren, sondern plant, den Bau von sog. Minireaktoren (Small Modular Reactor).

Wie Le Monde aus einem internen Papier von Finanzministerium und der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft berichtet (10.12.2020; S. 6), soll es auch sechs neue Druckwasserreaktoren geben. Verständlich, dass den AKW-Gegnern die Haare zu Berge stehen. Für unser Thema aber heißt das: Was Frankreich recht ist, ist China und Russland nur billig.

Dünkelhafte Selbstüberschätzung

Wie immer man es dreht und wendet, die Umstellung der Energiebasis ist ein komplexer und schwieriger Prozess. Selbst mit Greta Thunberg als Bundeskanzlerin und EU-Chefin zugleich würde er einige Jahre brauchen. Konfrontation und Kalter Krieg machen ihn jedoch noch komplexer, schwieriger und langwieriger, wenn nicht gar unmöglich.

Für die eingangs zitierten Prognosen der EU bedeutet das:

Erstens, die Dekarbonisierung ändert nichts daran, dass die EU eine rohstoffarme Gegend bleibt und deshalb auch in Zukunft hochgradig von Energie- und Rohstoffimporten abhängig sein wird.

Zweitens folgt aus dem Ende der Kohlenstoffwirtschaft mitnichten der geopolitische Niedergang Russlands und Chinas. Im Gegenteil, Russland verfügt auf seinem riesigen Territorium über enormen Rohstoffreichtum.

Das gilt nicht nur für konventionelle Ressourcen, sondern auch für zukunftsträchtige Energieträger, wie Sonnenstrom am Schwarzen und Kaspischen Meer und den Steppen östlich der Wolga. Beim Potenzial an Windenergie ist Russland sogar mit Abstand weltweit Spitzenreiter, mit 143 PWh/p.a. vor Kanada mit 99, den USA mit 88 und China mit 43 PWh/p.a. (PWh/p.a. = Peta Watt/pro Jahr. 1 PW = 1.000 Tera Watt).

Anfang Oktober hat die Regierung ein Entwicklungskonzept für die wasserstoffbasierte Energie verabschiedet und Gazprom beauftragt, eine Roadmap zu erstellen.

Ähnliches trifft auf China zu, auch wenn dessen Rohstoffsituation nicht ganz so üppig ist. Dafür ist es in wichtigen Technologiebereichen schon heute der EU weit voraus. Zudem führt Konfrontationspolitik zur Lagerbildung, mit dem Effekt, dass Chinas ökonomisches und technologisches Potenzial noch enger mit der Nuklearmacht und den russischen Rohstoffen gekoppelt wird. Es würde ein gigantischer eurasischer Block entstehen.

Weder die Chancen, die Brüssel für die EU zu wittern glaubt, noch der geopolitische Niedergang, den sie China und Russland an den Hals wünschen, sind realistisch. Die Fehleinschätzung reiht sich ein in den generellen Habitus dünkelhafter Selbstüberschätzung, der auch in der Vergangenheit bei wichtigen Entscheidungen immer wieder durchnässte.

Erinnert sei nur an den Brexit, wo ein weniger protziges Auftreten und etwas Flexibilität womöglich zu einem anderen Ausgang des britischen Referendums geführt hätte. Oder die Ukraine-Krise 2014, wo die Überlegenheitsillusion der Kommission Barroso bei etwas mehr Realismus zu einem anderen Verlauf der Geschichte geführt hätte.

Daran sollte man sich erinnern, wenn die Brüsseler Spin-Doktoren jetzt bei der Klimakonferenz in Glasgow wieder mal ihre Selbstbeweihräucherungsmaschine anwerfen und suggerieren, am europäischen Wesen könnte die Welt genesen.