Klimawandel? Gab es schon immer!
Ein Pseudoargument als Zeugnis haarsträubender Denkfaulheit: Wie ideologische Verblendung den selbstkritischen Verstand ausschaltet
I. Die Hintergründe
1.1 Standard-Pseudoargument
Unter den vermeintlichen "Argumenten" gegen die Dringlichkeit der Ergreifung hinreichend geeigneter Maßnahmen gegen die Folgen eines menschengemachten Klimawandels und damit mittelbar gegen eine forcierte Energiewende taucht in der Debatte früher oder später beinahe so sicher wie das Amen in der Kirche ein Pseudoargument auf: "Klimawandel gab es schon immer ..."
Im Grunde ist das ein Rückzugspseudoargument, welches indirekt eingesteht, was vor noch nicht allzu langer Zeit glattweg geleugnet wurde: Dass sich aktuell das Klima erwärmt. Dieser Standpunkt ist heutzutage angesichts der immer klareren Daten- und Faktenlage nur noch vereinzelt anzutreffen. Man will sich nicht mehr mit einer offenkundig kontrafaktischen Haltung lächerlich machen. Nur die Klimaerwärmung anzuerkennen, welche zuvor vehement abgestritten wurde, ohne das ehrliche Eingeständnis, sich früher fundamental geirrt zu haben, ist zumindest ein Indiz für Unglaubwürdigkeit und fehlende Seriosität und untermauert, dass es dieser Fraktion oftmals in Wahrheit gar nicht um den Klimawandel geht, sondern darum, die Energiewende zu torpedieren.
1.2 Klimawandel als Scheindebatte gegen Energiewende
Genau dieser Sachverhalt bedarf einer stärkeren Bewusstwerdung: Die Leugnung eines [menschengemachten] Klimawandels ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck: Der Leugnerfraktion geht es i.d.R. darum, eine Energiewende weg von konventionellen und nuklearen Energieträgern hin zu erneuerbaren zu bremsen, zu torpedieren, zu unterminieren oder gar zu verhindern.
Eine hinreichend kompetent geregelte Energiewende konterkariert die Geschäftsmodelle von Konzernen und Branchen, die zu den einflussreichsten weltweit zählen: Ölkonzerne und die Kohle- sowie Automobilindustrie. Diese haben schon vor Jahrzehnten Lobbyorganisationen gesponsert (z.B eike), die wider besseren Wissens den menschengemachten Klimawandel leugnen.
1.3 Energiewende
Was meint Energiewende? Hinsichtlich der Kritik oder Vorbehalten gegenüber der Energiewende gilt es trennscharf zu differenzieren zwischen dem Konzept/der Idee und der tatsächlich politischen Umsetzung.
1.3.1 Die politische Praxis
An der politisch völlig verkorksten Energiewende ist zuhauf berechtigte Kritik angebracht. Telepolis ist voll davon. Zu Recht. Wenn in diesem Artikel von "Energiewende" die Rede ist, dann ist eben nicht diese politisch nahezu maximal inkompetent regelte "real existierende" Energiewende gemeint, sondern die folgende.
1.3.2 Das Konzept
Eine Energiewende weg von begrenzten und schmutzigen fossilen und nuklearen Energieträgern hin zu nachhaltigen und sauberen Erneuerbaren nicht nur in der Stromversorgung, sondern den gesamten Primärenergiebedarf wie auch Transport und Wärmeerzeugung betreffend, für die es jenseits der Klimaerwärmung genug gute Gründe gibt, müsste völlig anders gestaltet werden.
Hinreichend kompetent gemanagt würde eine Energiewende im schlechtesten Fall genauso teuer wie ein "Weiter so" - jedoch auf jeden Fall enorme Vorteile für Volkswirtschaft und Arbeitsplätze generieren. Wahrscheinlicher aber ist, dass eine solche Energiewende sogar signifikant preiswerter würde, weil die exorbitanten Subventionen für fossile & nukleare Energieträger wegfielen. Das Konzept extrem vereinfacht/verkürzt (und hier nur die Stromversorgung betreffend):
1.3.2.1 Massiver EE-Ausbau
Hinreichend starker Ausbau an Erneuerbaren Energien, wo immer sinnvoll: auch Kleinwasserkraft- oder Kleinwindkraft ]-Anlagen. Entfernung aller EE-Ausbau behindernden sinnlosen oder gar kontraproduktiven Bestimmungen (z.B Eigenverbrauchsabgabe, Ausschreibungspflicht oder 10H-Regel und sonstigen sinnlosen Ausbauverhinderungsbestimmungen)
1.3.2.2 Power2Gas
Aufbau einer Power2Gas-Infrastruktur, welche in "Überschusszeiten" wahlweise Wasserstoff oder Methan produziert. Die Mechanisierung sollte vorzugsweise aufgrund eines wesentlich besseren Wirkungsgrades in Biogasanlagen erfolgen. Damit ist die Speicherproblematik gelöst und negative Strompreise gehören der Vergangenheit an.
1.3.2.3 BHKW-Netz
In EE-Strom-Mangelzeiten wird das zuvor mittels Power2Gas synthetisierte Methan oder Wasserstoff durch ein intelligent geregeltes Netz aus dezentralen und stromgesteuerten Brennstoffzellen-BHKW, welche gegenüber dem Status quo träger Großkraftwerke einer "Dinosauriertechnologie" enorme Vorteile mitbringen, hocheffizient in Strom und Wärme rückgewandelt (Sektorkopplung).
II. Klimawandel gab es schon immer
2.1 Konsens in der Sache
Diese Tatsache wird übrigens von keinem seriösen Wissenschaftler oder Klimaforscher in Abrede gestellt. Alle sind sich dessen bewusst. Was also soll diese triviale Feststellung, über die allgemeiner Konsens besteht?
2.2 Falsche Schlussfolgerung
Aus dem Umstand, dass frühere Klimawandel natürlich waren, wird mehr oder minder explizit insinuiert, dass damit auch der aktuelle natürlichen Ursprungs sein müsse. Das wäre in etwa so wie die Behauptung, dass aktuelle Waldbrände nicht durch Brandstifter gelegt sein könnten, weil es natürliche Waldbrände schon seit jeher gegeben habe. Ein klassischer Trugschluss unzulässiger Verallgemeinerung.
2.3 Weltuntergang?
Mitunter wird ein "und damals ist die Welt auch nicht untergegangen" angefügt. Nur: Niemand hat das Gegenteil behauptet! Kein seriöser Klimatologe behauptet, die Klimaerwärmung würde "die Erde zerstören". Wie auch? Jeder weiß, dass Klimaerwärmungen keinen Planeten zerstören können.
Ergo: Es handelt sich um ein klassisches Scheinargument in Form eines Strohmanns. Dabei wird etwas widerlegt, was niemand behauptet hat. Oberflächlich behält man damit zwar Recht, hat aber in Wahrheit nichts zur Sache beigetragen, sondern nur Rezipiententäuschung betrieben.
2.4 Kein Handlungsbedarf?
In sehr seltenen Fällen wird dann noch etwas nachgeschoben im Sinne von "... und das hat der Mensch auch überlebt". Die dahinter stehende Implikation lautet: "Was soll dann die ganze Hysterie? Ist doch nicht weiter schlimm - ein Handlungsbedarf ist 'also' nicht gegeben". Aber stimmt das tatsächlich?
Während "Klimawandel gab es schon immer" noch eine unbestrittene Tatsache ist (2.1), handelt es sich bei "dann ist doch auch der aktuelle unproblematisch" um eine zutiefst fragwürdige "Schlussfolgerung". Warum?
2.5 Rahmenbedingungen
Inwiefern unterscheiden sich die aktuellen Rahmenbedingungen von denen früherer Klimawandel?
2.5.1 Zeiträume
In keiner für Menschen relevanten Ära hat eine Klimaerwärmung dermaßen schnell stattgefunden.
2.5.2 Temperaturen
In keiner für die Menschheit relevanten Zeiten, d.h. nicht in den letzten 11000 Jahren, lag die klimatisch gemittelte Temperatur so hoch wie jetzt: Die vier letzten Jahre (2015-18) waren die wärmsten seit Messbeginn.
Von den notorischen Klimawandelleugnern (mg) wird dies unter Verweis auf eine eike-Grafik bestritten. Was davon zu halten ist wird von Prof. Rahmstorf unter Frage 2 entlarvt.
2.5.2.1 "above deadly threshold"
Weite Teile Afrikas und Südamerikas werden wegen Temperaturen, wo das menschliche Eiweiß denaturiert und ein Leben verunmöglicht, unbewohnbar werden. Dort und in gewissen anderen Gebieten werden die Temperaturen jenseits einer tödlichen Schwelle liegen.
2.5.3 Globaler Umfang
Frühere Klimaschwankungen traten vor allem regional und zu unterschiedlichen Zeiten auf. Gemäß einer Studie von Schweizer Forschern würden im Gegensatz zu früher zurzeit die Temperaturen überall auf der Welt und gleichzeitig steigen.
2.5.4 Weltbevölkerung
Der mit Abstand wichtigste bedeutendste Sachverhalt ist jedoch, dass während keiner Klimaerwärmung zuvor die Erde auch nur ansatzweise so stark bevölkert war wie derzeit. Im Jahre 0 lag die Weltbevölkerung bei unter 200 Millionen, in weiter zurückliegenden Zeiten nochmals erheblich weniger. Aktuell leben jedoch über 7,7 Mrd. Menschen auf der Erde (rund Faktor 40 im Vergleich zum Jahre 0).
2.5.4.1 Küstennahe Ballungszentren
Schon jetzt ist der von Klimamodellen vorausgesagte Meeresanstieg zu verzeichnen. Dieser wird jedoch weitergehen, wenn nicht geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden. Große Küstenstädte wie Hamburg oder Bremen werden dauerhaft unter Wasser stehen. Die Niederlande wird großenteils geflutet sein. Gemäß einer aktuellen Studie des Earth Institute der US-amerikanischen Columbia University werden im Jahr 2025 der 2,75 Milliarden Menschen in der Nähe des Meeres leben.
2.6 Konsequenzen
Worum es tatsächlich geht, räumt auch gleich mit der Kritik am Begriff "Klimaschutz" auf, welche da lautet, dass das Klima nur ein Mittelwert sei und sich weder dieser noch das Klima schützen ließe. Eine weitere Klimaerwärmung wird jedoch die Zivilisation, wie wir sie jetzt noch kennen, zerstören:
Die Klimaerwärmung wird Landstriche, wo derzeit noch mehrere Hunderte Millionen bis zu einer Milliarde Menschen leben, in unbewohnbare Regionen verwandeln. Diese ums Überleben bemühten Menschen werden sich in Bewegung setzen und in andere Regionen ziehen, wo ein Leben noch möglich ist. Aufgrund der hohen Weltbevölkerung können diese aber eben im Gegensatz zu früheren Zeiten der Klimaerwärmung nicht einfach in einem langen Migrationsprozess in noch hinreichend "freie Gebiete" übersiedeln.
Wenn jetzt schon wenige Millionen Flüchtlinge schwere soziale und politische Verwerfungen verursachen, was wird dann erst los sein, wenn sich die Europäer mit Hunderten von Millionen Flüchtlingen konfrontiert sehen?
Klimaschutz also meint die Ergreifung zielführender Maßnahmen (nämlich eine Energiewende, wie unter 1.3.2 angerissen), um die verheerenden Folgen weiterer menschengemachter Klimaerwärmung für die Zivilisation abzuwenden.
III. Fazit
So richtig die Feststellung "Klimawandel gab es schon immer" auch sein mag - so verfehlt ist sie als implizites "Argument", dass sich damit ein Handlungsbedarf erübrigen würde, weil die Menschheit dies auch früher überlebt hätte. Denn die Rahmenbedingungen sind in multipler Hinsicht signifikant andere:
- In keinem Klimawandel zuvor stiegen die Temperaturen in so kurzen Zeiträumen,
- In keinem für die Menschheit relevanten Klimawandel stiegen die Temperaturen auf so hohe, mitunter Leben verunmöglichende Temperaturen und vor allen Dingen:
- Von keiner zurückliegenden Klimaerwärmung waren auch nur näherungsweise so viele Menschen betroffen, wie derzeit, nämlich eine Erde, die von rund 8 Mrd. Menschen bevölkert ist. Dies ist in doppelter Hinsicht problematisch: nicht nur, dass damit ungleich mehr Menschen aus Regionen mit Temperaturen "above deadly threshold" vertrieben werden, sondern auch die Fluchtziele sind ungleich dichter bevölkert.
Dass die aktuelle Klimaerwärmung allein aufgrund der außerordentlich höheren Weltbevölkerung eine gänzlich andere Situation ergibt, weil im Gegensatz zu früher nicht genug "freies Land" vorhanden ist, in welches zugezogen werden kann, eröffnet der gesunde Menschenverstand. Wenn dem zum Trotze dieses selten unintelligente Pseudoargument vorgebracht wird, so zeugt dies davon, zu welchem Abgrund an Denkfaulheit ideologische Verblendung führen kann.
Jeder hinreichend ehrliche Mensch, der den Mut besitzt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Kant), müsste eigentlich eher vor Scham im Boden versinken, wenn der Hinweis auf frühere Klimawandel als "Argument" missbraucht wird, damit ein Handlungsbedarf obsolet werde. Insofern möge sich jeder selbst fragen, der zu dem Titel-gebenden Pseudoargument neigt, ob er sich nicht eigentlich für so ein Zeugnis intellektuellen Totalversagens zu schade ist.
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Der Autor ist Dipl-Ing. Maschinenbau, Jahrgang 64. Er ist weder direkt noch indirekt Nutznießer einer Energiewende oder Klimaforschung (außer in der Weise, wie alle Menschen von einer gesünderen, weniger belasteten Umwelt profitieren).