Klimawandel und Kapitalismus: "Nicht mehr blind dem Markt vertrauen"
Seite 3: "Man sollte mit zwei autofreien Tagen anfangen"
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- Die Verlierer der industriellen Revolution
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Eine ökologische Wende benötigt seltene Erden und Minerale. Wie lässt sich eine weitere Ausbeutung Afrikas verhindern?
Jochen Wermuth: Bei der Kobaltgewinnung kommt es häufig vor, dass kleine Kinder in vier Metern Tiefe per Hand graben. Mit Hilfe von Social Media und Blockchain sollte es möglich sein, die Quelle eines jeden Metalls oder Konsumguts zu dokumentieren. Es sollte doch möglich sein, die Einfuhr von Gütern, die auf Kinderarbeit basieren, zu verbieten, bzw. Güter, die mit Hilfe von CO²-Emissionen hergestellt wurden, zu besteuern.
Mein Schlüsselerlebnis war, als ich mit meiner Frau im Norden Russlands war. Dort fließen jedes Jahr fünf Millionen Tonnen Rohöl in die Arktis - das entspricht der Menge, die British Petroleum beim Unglück im Golf von Mexiko verloren hatte.
Das Ganze friert im Winter, taut im Mai und mischt sich mit dem Wasser in den Flüssen. Wer das Wasser trinkt, bekommt Krebs oder gebärt Babys mit deformierten Körperteilen. In diesem Moment dachte ich mir: "Das kann ja wohl alles nicht sein. Dass jemand sich freut, einen Liter Benzin für einen Cent weniger zu kaufen ohne zu wissen, dass so der Tod von Menschen durch Krebs gefördert wurde."
Meine Hoffnung ist, dass diese Geschehnisse durch digitale Informationen offengelegt werden. Das sollte dazu führen, dass die Leute ganz schnell von Öl, Kohle und Gas Abstand nehmen und auf nachhaltige Energieträger umsteigen.
Herr Wermuth, Sie suchen die Nähe der Politik. Viele Menschen wünschen sich mehr Einmischung und Verbote durch die Regierung. Ist der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik nicht schon groß genug?
Jochen Wermuth: Beim "Cum-Ex-Skandal" wurden dem Staat viele Milliarden unter der Nase weggeklaut. Keine der großen Parteien ließ sich dazu von der ARD interviewen. Der einzige, der sich dazu interviewen ließ, war Gerhard Schick von den Grünen. Es stellte sich heraus, dass er der Freiburger Schule der Ordoliberalen angehört. Diese Leute vertrauen auf die Wirtschaftskräfte im Rahmen einer gesetzlichen und regulatorischen Ordnung der Wirtschaft. Natürlich muss der freie Wettbewerb stattfinden, aber auf eine geordnete Art und Weise.
Ist das Parteiprogramm der Grünen grün genug?
Jochen Wermuth: Nein. Wir brauchen mehr Mut. Wenn die Londoner es schaffen, eine Congestion Zone einzurichten, gelingt es uns auch, in Berlin-Mitte, in Hamburg oder Leipzig eine CO²-freie Zone einzuführen. Unsere Kinder müssen nicht von Verbrennungsmotoren vergiftet werden, sondern wir entscheiden uns dafür.
Man sollte mit zwei autofreien Tagen anfangen, zum Beispiel Mittwoch und Samstag, um die Bürger daran zu gewöhnen.
Ich würde auch alle Fahrradwege wie in Barcelona von der Seite auf die Mitte der Straße verlegen, damit die Autofahrer beim Abbiegen nicht die Radfahrer überfahren.
Beim Grundsatzkonvent der Grünen habe ich Kompetenz auf allen Ebenen der Finanzen, der Wirtschaft, der Bildung, der Kultur, der Gesundheit, der internationalen Beziehungen etc., etc. erleben dürfen. Wenn wir diese Kompetenz in die bundesweite und europäische Verantwortung bekommen, sehe ich für die Zukunft grün.
Je radikaler die Grünen sind, desto sicherer heißt der nächste Kanzler oder die nächste Kanzlerin Annalena oder Robert.
Bitte beenden Sie den folgenden Satz: Eine Marktregulierung im ökologischen Sinne führt zu …
Jochen Wermuth: Wohlstand für alle, mehr Demokratie, Arbeitsplätze für Geflüchtete, Zukunftsperspektiven. Eine Welt, in der es mir Spaß macht zu leben und für die ich mich nicht schämen muss, wenn meine Kinder mich mal fragen: "Du hast gewusst, was das Problem ist, dass uns das Ende der Menschheit droht. Du hast gewusst, wie sich das Problem profitabel lösen lässt. Warum hast du es nicht gemacht?"
Dankeschön.