Klitschko: "Wir gehören zum Westen"
Bei den Osnabrücker Friedensgesprächen ging es am Donnerstagabend um die Ukraine. Zu Gast war mit dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko ein genauso prominenter wie umstrittener Akteur
Bereits im Vorfeld hatte es Streit in der "Friedensstadt" gegeben. Die örtliche SPD kritisierte, dass Klitschko sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen dürfe, obwohl er mit ukrainischen Rechtsradikalen politisch zusammenarbeite. Die Bildzeitung ernannte den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Rathaus, Frank Henning, zur Strafe für diese Kritik zum "Verlierer des Tages".
Wie zu erwarten, kam es trotz Kritik zum Eintrag ins Goldene Buch. Klitschko bezeichnete bei dieser Gelegenheit Osnabrück als historisches Vorbild. Denn hier wurde eine diplomatische Lösung für den 30-jährigen Krieg ausgehandelt. Dies müsse auch das Ziel für den Ukraine-Konflikt sein.
Vor dem Rathaus und vor der Osnabrück-Halle gab es derweil Proteste gegen Klitschko u.a. von örtlichen Friedensinitiativen. Sie erinnerten an die ermordeten Maidangegner von Odessa. Andrej Jusow, ein Politiker aus Klitschkos UDAR, habe am 2. Mai zu Gewalt gegen den örtlichen Anti-Maidan aufgerufen, kritisierten sie. Ein Video-Beweis dafür sei etwa in dem Dokumentarfilm "Lauffeuer" zu sehen.
Ein anwesender Überlebender des Brandanschlags trug den Vorwurf gegen Klitschkos Parteikollegen später auch in der Diskussion vor. Der Kiewer Bürgermeister wies die Vorwürfe zurück. Jusow sei eng mit einem Juden befreundet und könne daher kein Nazi sein, sagte der frühere Boxweltmeister.
Veranstaltung ist kein "Tribunal"
Rund 1100 Interessierte waren in die Osnabrück-Halle zu der abendlichen Debatte gekommen. Der emeritierte Theologie-Professor und Moderator Reinhold Mokrosch betonte mit Blick auf Klitschko zu Beginn, dass die Osnabrücker Friedensgespräche kein Tribunal seien.
In seinem Eingangs-Statement erklärte Klitschko die militärischen Auseinandersetzungen in seinem Land zum Krieg zweier Zivilisationssphären: "Die Ukraine ist ein Bestandteil der westlichen Zivilisation." Der Krieg in seinem Land sei demzufolge eine Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen.
Klitschkos Priorität seien demokratische Reformen, doch Russland werde alles tun, eine demokratische Entwicklung der Ukraine zu verhindern. Dies wäre nämlich eine direkte Bedrohung für die "russische Diktatur", erklärte Klitschko. Russland setze im Gegenzug auf Propaganda. "Ich weiß, welche Wirkung Propaganda hat, ich habe das selbst in der Sowjetunion erlebt." Millionen Menschen würden dadurch gehirngewaschen.
"Russland ist auch ein europäisches Land"
Auch Klitschkos Mitdiskutant Hans-Gert Pöttering (CDU) fokussierte seine Kritik auf Russland. "Die Annexion der Krim ist durch nichts zu rechtfertigen." Die Krimbewohner wurden nicht bedroht, behauptete er. Die russische Unterstützung der Separatisten sei ein Gewaltakt. Wladimir Putin habe das in ihn gesetzte Vertrauen durch Lügen verspielt.
Trotzdem soll es weiterhin Gespräche mit der russischen Führung geben. Russland dürfe nicht aus Europa ausgeschlossen werden. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier setzen sich bis zur "physischen Erschöpfung" für den Frieden ein, meinte der frühere Präsident des Europäischen Parlaments und heutige Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Einen deutschen Sonderweg dürfe es nicht geben. Die Bundesrepublik müsse fest an der Seite ihrer transatlantischen Partner und der Ukraine stehen.
Maidan auch nationalistisch aufgeladen
Als entgegengesetzte Stimme saß Reinhard Lauterbach auf dem Podium. Der frühere ARD-Osteuropakorrespondent setzte bei seiner Analyse etwas früher an: Der Euromaidan war nur zum Teil ein pro-europäischer Aufstand der Zivilgesellschaft. Er sei auch sehr schnell nationalistisch und anti-russisch aufgeladen worden. Rechte Gruppen hätten polarisiert in Ukrainer und "Moskals" - eine Beleidigung für angeblich moskautreue Ost- und Südukrainer.
Lauterbach berichtete von Plakaten auf dem Maidan, die das Russische als "Sprache der Okkupanten" bezeichneten. "Solche Plakate habe ich nicht gesehen", wendete Klitschko ein. "Ich schicke Ihnen gern meine Fotos davon", bot Lauterbach im Gegenzug an.
Der Rechte Sektor hat sich nur wenige Tage nach dem Beginn des Euromaidan gegründet, erläuterte der Journalist. In der Folge gab es zahlreiche Angriffe der Rechtsradikalen auf Anhänger Janukowitschs. "Zu euch auf die Krim kommen wir auch noch", hätten sie dabei gedroht. Dies habe sich rumgesprochen und Abspaltungstendenzen auf der Krim bestärkt. Auch die schnell nach der Machtübernahme laut werdenden Drohungen von Rada-Abgeordneten, den Flottenvertrag mit Russland zu kündigen, hätten in diese Richtung gewirkt. "Nichts passiert ohne Grund und Anlass", sagte Lauterbach mit Blick auf den Anschluss der Halbinsel an Russland.
Keine Nationalisten im Parlament
Nazis auf dem Maidan seien ein Propagandamärchen, sagte Klitschko. "In jedem Land gibt es Rechtsextreme. Die russische Propaganda macht aus einer Mücke einen Elefanten." Faschisten hätten keine Bedeutung oder Macht in der Ukraine.
Lauterbach konterte, die Nazis seien schon tief in die Sicherheitsstrukturen der Ukraine eingedrungen. Selbst auf Nachfrage aus dem Publikum behauptete Vitali Klitschko jedoch, Wadim Trojan, den Rechtsradikalen und neuen Chef der Polizeikräfte in der Region Kiew, nicht zu kennen (Von der rechtsextremen Miliz Asow zum Polizeichef).
In Deutschland wird auch oft der Fehler gemacht, Nazis nur in der Partei Swoboda zu vermuten, erläuterte Lauterbach - einer "widerlichen Partei", wie Pöttering anmerkte. Viele Rechtsextreme seien aber in anderen etablierten Parteien wie etwa der Volksfront von Regierungschef Jazenjuk vertreten.
"Jetzt im Parlament gibt es keine nationalistischen Parteien", behauptete Klitschko auf Nachfrage des Moderators. "Herr Klitschko wird sein Parlament schon kennen", quittierte Mokrosch das höhnische Gelächter aus dem Publikum.
Minderheitenschutz und Föderalisierung
Immerhin waren sich die Diskutierenden einig, dass es einen gesetzlichen Minderheitenschutz und mehr Föderalisierung in der Ukraine geben müsse. Klitschko sprach sich zudem für eine "Dezentralisierung der Macht und der Budgets" aus. Für Lauterbach ist die Föderalisierung sogar die einzige Chance, die Ukraine zusammenzuhalten.
Doch selbst das reicht wohl nicht mehr. Mittlerweile seien rund 80 Prozent der Bewohner in den neuen Volksrepubliken Donezk und Lugansk gegen eine Rückkehr zur Ukraine, sagte Lauterbach. Vor einem Jahr war das noch ganz anders. Nur eine Minderheit wollte sich damals abspalten. Doch die neue Kiewer Regierung habe nicht verhandelt, sondern militärisch attackiert, so der Osteuropajournalist. "Nun ist die Stimmung durch die Angriffe verhärtet."
Ukraine soll westlicher werden
Für Klitschko als Bürgermeister der Millionenmetropole Kiew steht nach eigener Aussage jedoch der Kampf gegen Korruption an erster Stelle. Ohne einen Sieg in diesem Kampf funktioniere keine Reform. "Das ganze Land ist total korrupt. Das betrifft alle Bereiche", erläuterte der Bürgermeister. Bis zur Hälfte des Staatsbudgets verschwinde in schwarzen Kanälen. Positive Veränderungen könnten nur von der Hauptstadt ausgehen, meint Klitschko. "Wir machen alles offen und durchsichtig: Alle Dokumente, Einnahmen und Ausgaben." Klitschko erklärte Deutschland in dieser und in rechtsstaatlicher Hinsicht zu seinem Vorbild.
Die Ukraine habe nötige Reformen seit ihrer Unabhängigkeit 1991 nicht angepackt, kritisierte Pöttering. Das Land müsse sich nun entschlossen den westlichen Werten nähern. Es soll zwar auf "absehbare Zeit" nicht in die Nato kommen, aber langfristig solle die Ukraine EU-Mitglied werden, so der CDU-Politiker. Die EU gründe sich auf Werte und die Ukraine habe großes wirtschaftliches Potenzial.
Erneut kippte Lauterbach Wasser in den Wein: Die EU helfe der ukrainischen Wirtschaft mit dem Assoziierungsabkommen gar nicht. In der EU gebe es kein Interesse an neuen wirtschaftlichen Konkurrenten. So wird es keine EU-Wirtschaftshilfe für die potenziell leistungsstarke ukrainische Landwirtschaft oder den Flugzeugbau (Antonow-Werke) geben, sagte der in Polen lebende Korrespondent.
Der entwickelte Teil der ukrainischen Wirtschaft lebte bislang vom Handel mit Russland. Für das Abkommen mit der EU hätte Janukowitsch diesen Teil "in die Tonne treten" müssen. "Das wäre politischer Selbstmord gewesen." Deswegen wollte er nicht unterschreiben. Das "Entweder Assoziierung oder Zollunion" der EU habe zur Eskalation beigetragen - genau wie die unkritische Unterstützung des Maidan durch westliche Politiker.
Anklagebank statt Podium?
In der Fragerunde des Plenums kam es durch die große Mehrheit der Fragesteller zu scharfer Kritik an Klitschko. Er habe mit Faschisten zusammengearbeitet und einen Staatsstreich mitorganisiert. Der Maidan sei schwerer Landfriedensbruch gewesen. Für die Tausenden von Toten in der Ostukraine sei er mitverantwortlich. Klitschko gehöre nicht auf dieses Podium, sondern auf die Anklagebank eines Gerichts, sagte eine Frau. "Dies hier ist kein Tribunal", betonte der Moderator erneut.
Klitschko ging auf die Vorwürfe nicht ein. Die Adenauer-Stiftung finanziere seine Partei UDAR nicht, erklärte er immerhin auf Nachfrage. "Ich finanziere meine Partei selbst." Die Stiftung zeige den Parteimitgliedern in Seminaren jedoch, wie man eine Partei bzw. ein Land aufbaut. Er wolle auch keine Mauer zwischen Russland und der Ukraine bauen, antwortete Klitschko einer anderen Fragestellerin.
Nach den zahlreichen kritischen Fragen in der Schlussrunde, zeigten sich auch die Anhänger des Kiewer Bürgermeisters. Nach Ende der Debatte stürmten Dutzende Zuhörer zur Bühne, um Klitschkos Hand zu schütteln und sich Autogramme geben zu lassen.