Knackende Fugen im neuen Bundestag

Seite 2: Der breite "lunatic fringe"

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Auch das ist leicht erklärt. Mit dem Rechtsextremismus ist es ein wenig wie mit dem Islamismus: Der "lunatic fringe" ist viel breiter, als man allgemein annimmt. Dazu muss man nicht einmal Gestalten wie Wagenknecht und Palmer zitieren. Geöffnete Ohren in der Fußgängerzone, ein Blick auf die rechte Gülle, die in den sozialen Medien herumschwappt, und die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Studien offenbaren, wie tief die Wurzeln rechtsextremen Gedankenguts in das Fundament der Gesellschaft hinabreichen.

Dass die diesjährige Frankfurter Buchmesse unfähig war, Nazi-Provokationen eine klare Haltung entgegenzusetzen und dass der DGB sich beinah von rechten Einflüsterern missbrauchen ließ, um einem Antifa-Kongress den bereits zugesagten Veranstaltungsort zu verwehren, spricht die gleiche Sprache: Der Rechtsrutsch hat nicht nur politisch, sondern gesamtgesellschaftlich stattgefunden.

Politik mit Panik gemacht

Und das vor dem Hintergrund, dass der angebliche Grund für diesen Rechtsrutsch schon lange nicht mehr existiert. Die Zuwanderung hat dramatisch abgenommen, unter anderem deswegen, weil Migranten von libyschen Häschern auf unbestimmte Zeit und unter entsetzlichen Bedingungen im Nirgendwo zwischengelagert werden.

Die von der EU finanzierte und ausgestattete libysche Küstenwache hilft dabei eifrig.

Diese "Lösung" löst aber nicht nur die Probleme der Migration nicht, sie besänftigt nicht einmal die Flüchtlingspanik ohne Flüchtlinge. Mit dieser Panik wird Politik gemacht. Nicht die explodierenden Mieten sind das Problem oder die immer weiter aufklaffende Einkommensschere, die multiplen ökologischen Herausforderungen, die Katastrophen in der Energie-, Verkehrs- und Bildungspolitik, oder ein völlig frei drehender Sicherheitsapparat. Sondern die Flüchtlinge. Alle. Jeder einzelne.

Anders gesagt: Der ideologische Kurswechsel, den sich die maßgeblichen deutschen Parteien nach der Bundestagswahl verordnet haben, reflektiert einen realitätsverdrängenden, sozialpsychologischen Wahn, der sich mittlerweile von seinem Anlass komplett abgekoppelt hat. Das ist die nüchterne und bittere Ausgangslage für den neu gewählten Bundestag.