Knackende Fugen im neuen Bundestag

Plenarsaal des deutschen Bundestags. Foto: Times / CC BY-SA 3.0

Von den Spalt- und Gärprozessen in den politischen Parteien

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In der Bundestagswahl haben sich die Deutschen ein weiteres Mal auf die Probe gestellt. Jetzt möchten sie nicht sehen, wie schlecht sie abgeschnitten haben. Die politischen Parteien in Deutschland, so sagt es das Grundgesetz, "wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes" mit. Sie stellen das Buffet bereit, von dem der Wähler und die Wählerin auswählen können.

Wenn man sich fragt, woher die Parteien selbst ihren Willen nehmen, dann ist es abseits der innerparteilichen Demokratie - auf die in diesem Zusammenhang unfehlbar verwiesen wird - wahrscheinlich am sinnvollsten, eine Partei als eine Verein gewordene Ideologie zu begreifen. Wählerinnen und Wähler entscheiden sich für den Verein, der ihrer eigenen ideologischen Formierung am nächsten steht. Ein schöner, geschlossener Kreislauf.

Eine Reise durchs Halbrund

Ideologien sind aber meistens schwammig und flexibel, das stärkt ihre Anpassungsfähigkeit. Wie haben die Parteien ihr ideologisches Arsenal nach der Wahl angepasst? Machen wir die Rundreise. Die CDU einigte sich mit der CSU auf eine Obergrenze bei der Zuwanderung, die keine sein soll.

Die SPD ging trotzig in die Opposition und versprach, zukünftig die Sorgen der kleinen Leute wegen all den Ausländern ernster zu nehmen, Wagenknecht und Lafontaine machten genau das Gleiche - mit dem Unterschied, dass immerhin ein wenig Widerspruch aufkam, aber den daraus resultierenden Machtkampf gewann das lafonknechtsche Wagentainment.

Wie dieser Machtkampf an der Basis auch ausgefochten wurde, darüber gibt das Facebook-Posting des Saarlouiser Linken-Politikers Mekan Kolasinac Auskunft: Er bezeichnete Linken-Bundesparteichef Bernd Riexinger, einen innerparteilichen Gegner Wagenknechts, als "Falsche hinterlistige Jude" (sic). Als er das erklären sollte, meinte er, er sei ähnlich wie seinerzeit Beatrix von Storch mausgerutscht: Er habe Riexinger nur als "Judas" bezeichnen wollen.

Ein schönes neues Beispiel für das, was in dieser Partei schon seit Jahren möglich ist. Die grünlackierten Opportunisten beschlossen, erst einmal einen positiven Heimatbegriff zu entwickeln, und der inoffiziell für das Ausländerreferat zuständige Boris Palmer verbreitete wieder einmal seinen bodenständig-grünen Rassismus in einer Talkshow.

Bei der Gelegenheit erteilte er auch gleich den Obergrenzen der CDU/CSU seinen Segen. Die AfD erlebte ein kleines blaues Wunder, indem die Parteivorsitzende den Kram hinschmiss, weil ihr der reinrassig rechtsextreme Parteiflügel die ideologische Definitionsmacht verweigerte. Ein Abrücken der Vorsitzenden von früheren Kernpositionen war nicht festzustellen. Man erinnert sich: Sie hatte schon einmal die Lieblingsphantasien ihrer Fans über Schüsse an den Grenzen beflügelt und den Begriff "völkisch" neu positiv besetzen wollen.

Der "Rechtsrutsch" ist ein Schritt nach rechts

Den Rechtsextremismus jenseits der CSU wird es also im kommenden Bundestag in zwei Geschmacksrichtungen geben: "NS" und "Light". Die FDP schwieg still, immer noch fassungslos darüber, dass es zum Wiedereinzug in den Bundestag gereicht hatte, gelb zu sein.

Das Fugenknacken resultierte also bei allen Parteien, bei denen es knackte, aus der Tatsache, dass sie nach rechts drifteten. Dieser "Rechtsrutsch", der in Wirklichkeit ein Rechtsschritt ist, resultierte in der Schaffung einer virtuellen völkischen Front, der Deutsch-Nationalen Einheitspartei (DNEP), zu der natürlich auch die FDP gehört, weil die FDP letztendlich alles mitmacht, was ihr ein paar Ministerposten und Bundestagsbüros verheißt. Warum handeln die Parteien so?

Ganz einfach: Mit einiger Berechtigung gehen sie davon aus, dass die Wählerinnen und Wähler bei ihrem Buffet nicht zugreifen werden, wenn ihnen nicht schmeckt, was sie dort vorfinden. Der oben erwähnte geschlossene Kreislauf wurde soeben kräftig nach rechts gerollt. Aber wie kann das sein, wenn die AfD bei der Wahl "nur" 12,6 Prozent geholt hat?