Köln: Erdoğan-Jubelshow ohne größere Zwischenfälle beendet
Seite 2: "Unser Ziel ist der islamische Staat"
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Schon Erdoğans Zeit als Oberbürgermeister von Istanbul (1994 - 98) lässt tief blicken. Nicht nur in Hinsicht auf die Brutalität mit der Oppositionelle (auch) in dieser Zeit verfolgt wurden, sondern auch im Hinblick darauf, wes Geistes Kind der "Büyük Lider", wie er seit dem vereitelten Putschversuch vom 15. Juli 2016 von seinen Anhängern genannt wird, ist.
"Gott sei Dank sind wir Anhänger der Scharia", sagte Erdoğan 1994 der Zeitung "Milliyet". Außerdem betonte er in dem Interview.
Unser Ziel ist der islamische Staat.
Während seiner Amtszeit wurde in städtischen Lokalen kein Alkohol mehr ausgeschenkt. In der privaten Gastronomie war das jedoch weiterhin möglich.
Erdoğan betont immer wieder, dass er die Rolle der Frau als die der liebevollen Ehefrau und Mutter sieht. Seine beiden Töchter, Esra und Sümeyye, haben in den USA studiert, da es ihnen in der Türkei verboten gewesen, in der Uni das islamische Kopftuch zu tragen. Die AKP versuchte, das Kopftuchverbot außer Kraft zu setzen, war damit in allen Instanzen gescheitert. Also verfügte der Hochschulrat "Yök" 2010, die wichtigste Hochschulbehörde der Türkei, per Rundschreiben: "Studentinnen dürfen bei Verstößen gegen die Kleiderordnung nicht mehr vom Unterricht ausgeschlossen werden." Damit bleibt das Kopftuchverbot zwar offiziell als Vorschrift bestehen, doch in der Praxis dürfen Studentinnen jetzt tragen, was sie wollen.
Das Mindestalter für den Koranunterricht wurde 2012 auf drei Jahre gesenkt und die Anforderungen für die Lehrkräfte in diesem Bereich vermindert, so dass nun auch in Saudi-Arabien ausgebildete Imame die Kinder unterweisen dürfen. Insgesamt ist Erdoğan bestrebt, die Rolle des Islam, u.a. auch an den Hochschulen stärken. Je länger er im Amt ist, desto mehr nähert er sich also wieder den Ansichten seines Mentors Erbakan an.
UETD: der "lange Arm Erdoğans"
In diesen Tagen tauch immer wieder der Name UETD auf. Die Organisation kann getrost als deutsche Sektion der AKP bezeichnet werden. Die UETD wird in Stellung gebracht, immer dann, wenn es gilt, Erdoğans Anhänger hierzulande zu mobilisieren.
Fatih Singal, Anwalt aus Solingen und stellvertretender Vorsitzender der UETED, schwärmte kürzlich in der Talkshow "Anne Will":
Man muss sagen, dass die Türkei hier eine Bewährungsprobe bestanden hat.
Das war zwei Tage nach dem vereitelten Putschversuch, und Will hatte gefragt, wie die schnellen Verhaftungen von Militärangehörigen zu erklären sei, und ob die massenhaft durchgeführt Maßnahme gerechtfertigt sei.
Man weiß nicht ganz genau, wer da alles drin verstrickt ist.
Ok, dann lieber Tausend Verhaftungen zu viel, als eine zu wenig.
Schließlich, so Zingal, seien die "Parallelstrukturen" sehr undurchsichtig. Gemeint waren Einrichtung der Bewegung von Fetullah Gülen, einem ehemaligen engen Weggefährten Erdoğans, mit dem er sich allerdings überworfen hat. Die Jerusalem Post habe geschrieben, zitierte Zingal, "dass es Parallelstrukturen in der Türkei gibt, und dass diese zionistisch seien, und als Wölfe im Schafspelz gelten".
Zwar holte Diskussionspartner Cem Özdemir (die Grünen) an dieser Stelle hörbar einmal tief Luft, ansonsten blieb dieses Zitat unwidersprochen so stehen.
In der Talkshow von Maybritt Illner bezeichnete Zingal das Agieren Erdoğans nach dem Putsch als "grunddemokratisch".
DITIB
Religiös nimmt die türkische Regierung Einfluss über die DITIB, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion. Der Verband mit Sitz in Köln-Ehrenfeld ist ein seit dem 5. Juli 1984 beim Amtsgericht Köln eingetragener Verein. Er untersteht der dauerhaften Leitung, Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei, DIYANET, welches dem türkischen Ministerpräsidentenamt angegliedert ist.
Ditib sagte auf Anfrage der Welt am Sonntag, sie habe derzeit rund 970 Imame nach Deutschland entsandt, die regulär je fünf Jahre hierblieben.
Die Behörde für Religionsangelegenheiten beim türkischen Ministerpräsidenten in Ankara, die auch Ditib anleitet, verfügt in diesem Haushaltsjahr über rund 6,4 Milliarden Türkische Lira (rund 1,8 Milliarden Euro). Davon baut und unterhält sie Moscheen und hat aktuell 120.000 Mitarbeiter. 2004 waren es 72.000, 2008 schon 83.000. Seit 2008 hat sich ihr Etatposten in Euro fast verdoppelt, in Lira sogar verdreifacht.
Wie viel davon Ditib erhält, wollte die Behörde nicht mitteilen. Heute übersteigt das Budget der Religionsbehörde den Etat von zwölf türkischen Ministerien, darunter den des Innenministeriums (ohne Polizeietat) und des Außenministeriums.
Mit anderen Worten: Die Türkei lässt sich die Einflussnahme auf das muslimische Geschehen in Deutschland (und anderen Staaten) richtig was kosten. Diese Einflussnahme hat sich nicht nur verstärkt, sondern in der Ägide Erdoğan auch verändert:
"Seitdem die AKP regiert, gibt es zudem eine engere Zusammenarbeit mit der Milli Görüs. Dies kam in der Vergangenheit nie vor", wird die Kölner ehemalige SPD-Abgeordnete Lale Akgün in der Zeit zitiert. Eine Nähe der türkischen Regierung zu Millî Görüş legt auch die Tatsache nahe, dass der studierte Kölner Jurist Mustafa Yeneroğlu , seines Zeichens ehemaliger Generalsekretär der Organisation, im Juni 2015 für die AKP ins türkische Parlament eingezogen ist. Auch Yeneroğlu, wird es nicht müde, Erdoğan in Talkshow als "lupenreinen Demokraten" zu bezeichnen.
Millî-Görüş-Bewegung
Der Begründer der Millî-Görüş-Bewegung war wie oben geschildert Erbakan, der auch als "Mentor" Erdoğans bezeichnet wird. Insofern ist die ideologische Nähe des "Büyük Lider" zu islamisch-fundamentalistischen Organisationen nicht verwunderlich.
Erbakan war überzeugt davon, dass der Islam die einzige Rettung für die Menschheit darstellt, was er für wissenschaftlich und historisch erwiesen hielt. Er wollte in der Türkei einen islamistischen Staat errichten. Sein Feindbild war der Westen, der seiner Ansicht nach vom Zionismus beherrscht sei, er sprach offen von einer angeblichen zionistischen Weltverschwörung und davon, dass der Zionismus alle Kreuzzüge organisierte, die "Sekte des Protestantismus" schuf und sie mit der Etablierung der kapitalistischen Ordnung beauftragte.
Und zudem noch die "IATA", die in Havanna/Kuba gegründete "International Air Transport Association" (Internationale Luftverkehrs-Vereinigung) unter seine Kontrolle gebracht hatte, und somit von der Hadj, der Wallfahrt von Muslimen nach Mekka profitiere, da diese 9% der Einnahmen aus dem Verkauf von Flugtickets bekäme.
Es war der Zionismus, der die Sekte des Protestantismus geschaffen hat. Die kapitalistische Ordnung heute ist der religiöse Auftrag des Protestantismus. Das ist so, weil der Papst das Konzept des Zinses ablehnt, um nicht die Ausbeutung seiner Kinder zu gestatten. Das ist [der Grund], weshalb die Juden beschlossen, die [christliche] Religion zu ändern und den Protestantismus gründeten. So können sie Zins erheben und alle dazu bringen, für sie zu arbeiten. ... Die Zionisten halten die Christen in ihren Handflächen und benützen sie. Die Industrieentwicklung Chinas und Indiens wird mit jüdischem Kapital betrieben. Japans auch. Sie kontrollieren diese auch. Nur der Islam bleibt gegen sie. Die Juden sagen, ihr werdet unsere Sklaven sein. Islam sagt, la i lahe il l' Allah. Wir werden vor niemand als vor Allah den Kopf beugen. Niemand wird irgendjemandes Sklave sein. So ist das ein Konflikt zwischen den beiden - ein Konflikt zwischen dem Guten und dem Bösen.
Hagalil
Die Innenministerien von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sehen in der Bewegung antisemitische Charakterzüge und unter anderem auch damit eine deutliche Gegnerschaft zur demokratischen Grundordnung. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) bescheinigte Millî Görüş ein antidemokratisches Staatsverständnis. Allerdings stellten sowohl das Land NRW als auch Hamburg die Beobachtung durch den IS mittlerweile ein.
Der europäische Dachverband
Neben dem Schwerpunkt Europa ist Millî Görüş auch in Nordamerika, Australien und Zentralasien aktiv. In Deutschland hat die IGMG ihren Sitz in Kerpen. Die deutsche Sektion die größte Auslands-Organisation der Millî-Görüş-Bewegung.
Die türkische Mutterorganisation Millî-Görüş-Bewegung und die im Ausland agierende Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMF) haben dieselben Wurzeln. Die Unterscheidung wird immer dann ins Feld geführt, wenn es politisch ratsam erscheint. So z.B., wenn der Antisemitsmus in der Bewegung angeprangert wird. Mit dem Argument, eine eigenständige Organisation zu sein, wird Kritik daran entkräftet.
Die IGMG ist damit einer der größten islamischen Verbände in diesem Land.
Die IGMG wurde bezichtigt, sich zweifelhafter Praktiken zu bedienen, Mitglieder zum Kauf von Anteilen an dubiosen Holdings zu animieren. Diese Gelder seien in Wahrheit jedoch in die Parteikasse der AKP geflossen. Auch gab es den Vorwurf, die Hamas finanziell zu unterstützen. Beides konnte jedoch nie bewiesen werden.
Über einen sehr langen Zeitraum wurde die Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet. Doch mehrere Bundesländer haben die Beobachtung unterdessen eingestellt, da nichts darauf hindeute, dass es sich dabei um eine terroristische Organisation handele. U.a. auch Hamburg. Obwohl einer der IGMG-Repräsentanten, der SCHURA-Vorsitzende Mustafa Yoldaş, ebenfalls bekennender Erdo?an-Anhänger, auch schon mal auf "Ungläubige" los geht. Es gibt Fotos, die das belegen.
80% aller Hamburger Moscheen gehören der IGMG an. Von den übrigen 20% wiederum ist mehr als die Hälfte DITIB zuzurechnen, "der direkt vom türkischen Religionsminister kontrolliert wird - und nicht gerade im Verdacht steht, Erdoğan gegenüber kritisch zu sein".