Köln: Erdoğan-Jubelshow ohne größere Zwischenfälle beendet

Seite 3: Der Zentralrat der Muslime

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Quasi als Gegengewicht zu den türkisch dominierten islamischen Verbänden wurde 1994 der ZMD, Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V., gegründet. Aktuell ist der Islamwissenschaftler Aiman Mazyek, Sohn einer Deutschen und eines Syrers, Vorsitzender der Organisation.

Organisatorisch mag der ZMD mit den 300 angeschlossenen Moscheen-Gemeinden tatsächlich ein Gegengewicht sein, inhaltlich unterscheiden sich die Verbände indes nicht viel. Allerdings weiß Mazyek sich gut - und vor allem als fortschrittlicher Muslim zu verkaufen:

Welt Online: Im ägyptischen Recht etwa spielt das islamische Rechtssystem der Scharia eine tragende Rolle. Wie soll Demokratie mit der Scharia vereinbar sein?

Mazyek: Ich denke das geht, indem wir zunächst sagen, was wir unter Scharia verstehen, denn da gibt es große Missverständnisse, die wir aufarbeiten müssen. Scharia (übersetzt: 'Der breite Weg zur Tränke' - Anm. d. Red.) ist eine Art muslimischer Katechismus, welcher göttliche unveränderliche Vorschriften wie z.B. die fünf Säulen und insbesondere Dinge des Glaubens (z.B. wie ein Muslim betet oder wie die Riten der Pilgerfahrt aussehen, siehe auch 5 Säulen des Islam - Anm. d. Red.) beinhaltet. Ein großer Teil der Scharia besteht aus veränderlichen Richtlinien, die die Gelehrten im Laufe der Zeit durch theologische Gutachten abgeleitet haben, welche demnach disponibel sind. Oft wird Scharia fälschlich mit drakonischem Strafgericht gleich gesetzt oder Kritiker schreiben für ihre polemischen Zuspitzungen der Scharia die Rolle eines Antisystems zur Demokratie zu. Beides trifft nicht zu und hat mit der eigentlichen Bedeutung nichts gemein.

Welt Online: Das ist eine sehr eigenwillige Interpretation…

Mazyek: ... interessant, dass Sie das so sagen, man könnte meinen, Ihnen ist einer extreme Sichtweise lieber.

Welt Online: In Scharia-Staaten werden Urteile gesprochen und vollstreckt, die mit den Prinzipien eines Rechtsstaates ganz und gar nicht vereinbar sind.

Mazyek: Und hierzulande wird dies dann alles eins zu eins dem Islam in die Schuhe geschoben, ohne eine einzige Sekunde zu verweilen, ob dies nun islamisch gerechtfertigt ist, oder ob dies wieder einmal nur zur Machterhaltung für irgendeiner Diktatur herhalten musste. Sie ist, ich wiederhole es noch einmal, vor allem ein Kanon unverrückbarer Glaubensfragen. Der Rest muss immer wieder neu interpretiert werden.

Die Welt

Seltsam nur, dass die islamischen Staaten die Scharia offenbar allesamt immer wieder gleich "neu zu interpretieren" scheinen …

Irgendwie gehören doch alle zusammen

IGMG- und ZMD- Vereine sind z.T. in denselben Verbänden organisiert sind. Z.B. im Rat der Islamischen Gemeinden, der SCHURA Hamburg. Zwei der insgesamt 41 darin zusammengeschlossenen Moscheevereine werden vom Verfassungsschutz beobachtet, weil bekannt ist, dass sich dort jugendliche radikalisieren, und z. T. nach Raqqa, dem Kalifat der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) ausreisen.

Eine der Moscheen, die Vatan-Moschee, die ebenfalls der IGMG angehört, ist in die Schlagzeilen geraten, weil nach einem 56jährigen Mann und dreifachen Vater gefahndet wird , der im Verdacht steht, in der Moschee sexualisierte Gewalt gegen 10 - 20 Mädchen im Alter von 8 - 12 Jahren ausgeübt zu haben. Durchsucht wurden kürzlich sowohl die Moschee als auch die Wohnung des Gesuchten. Allerdings ergebnislos.

Schura-Vorsitzender Yoldaş, treuer -Anhänger, hält die Scharia ebenfalls mit der Demokratie vereinbar. Die Centrum Moschee, die Yoldaş in die Schura entsandte, wird als IGMG-Zentrale der Hansestadt bezeichnet. Dort wurden laut Verfassungsschutz und Hamburger Medien Kinder-DVDs mit extrem antisemitischem Inhalt verkauft. Yoldaş fand das im Hamburger Abendblatt "nicht in Ordnung", hält es dem Springer-Blatt zufolge jedoch für wichtig, "bereits den Kindern zu zeigen, wie israelische Soldaten Zivilisten, Frauen und Kinder ermorden".

In einem Streitgespräch mit der Vorsitzenden der Bürgerschaftsfraktion der Partei DIE LINKE Hamburg, Cansu Özdemir, in der Welt sagte er:

Die Türken haben in den letzten 14 Jahren unter Erdoğan ein großes Selbstvertrauen aufgebaut. Die Wirtschaft boomt, der Gesundheitssektor ebenso wie der Bildungssektor. Die Türkei ist entschuldet und finanziell nicht mehr abhängig von den westlichen Mächten. Der kranke Mann vom Bosporus ist wieder genesen. Während hier seit Jahren über den Berliner Flughafen diskutiert wird, pflanzt Erdo?an jedes Jahr einen Flughafen und eine Brücke als Mega-Projekt in das Land. Nun sagen die Türken: Wir stehen seit 40 Jahren als Bittsteller vor den Toren der EU, um Mitglied zu werden und werden immer wieder abgewiesen. Jetzt wollen wir lieber die Führungsnation innerhalb der islamischen Welt werden als der Schwanz der Europäischen Union.

Die "Idealisten"

Wo immer dieser Tage dieses Konglomerat von Islamischem Fundamentalismus und türkischem Nationalismus an die Öffentlichkeit tritt, sind die rechtsextremen Grauen Wölfe nicht weit. Offiziell nennen sie sich Ülkücü-Bewegung, oder auch Idealistenvereine. Seit 2007 offiziell die "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" (ADÜTDF) mit Sitz in Frankfurt. Diese sieht sich als Bewahrerin türkischer Werte und Kultur. Der Vorsitzende ŞenTürk Doğruyol bezeichnet Integration als das "Bewahren der Herkunftskultur".

Bundesweit verfügt die ADÜTDF in rund 150 Vereinen über rund 7000 Anhänger. Schwerpunkte sind Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen. An den Jahreshauptversammlungen der ADÜTDF nehmen mehrere tausend Personen teil.

Mutterorganisation der hierarchisch aufgebauten ADÜTDF ist die 1969 gegründete türkische Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi; MHP). Die MHP setzt sich für eine nationalistische Ausrichtung der türkischen Gesellschaft ein. Im Mittelpunkt der Ideologie der MHP, die Oppositionspartei im türkischen Parlament ist, steht die Vorstellung der nationalen Einheit aller Turkvölker (Pantürkismus). Gründer der MHP und bis zu seinem Tod 1997 auch deren Anführer war der Ex-Oberst Alparslan Türkes (Jg. 1917), ein glühender Verehrer von Adolf Hitler. Türkes war während des Zweiten Weltkrieges Verbindungsmann des deutschen Außenministeriums zum türkischen Geheimdienst. Er träumte von einem pantürkischen Großreich von der Adria bis zur Heimat der Ahnen in der Mongolei.

Nachfolger von Türkes im Amt des MHP-Vorsitzenden ist Devlet Bahceli (Jg. 1948), ein Dozent der Betriebswirtschaft, der dem turkmenischen Großgrundbesitzer-Clan der Fettahogullari entstammt. Am 16. November 2013 führte Bahceli bei der Hauptversammlung der ADÜTDF im nordrhein-westfälischen Oberhausen vor rund 13 000 Personen die Kurden betreffend aus: "Seid unbesorgt, in Kürze wird die nationale Flut losgehen und die Überbleibsel der ethnischen Bande, ihre Lust zum, Separatismus und ihre terroristischen Ziele reinigen und das Mutterland säubern.

BNR.

In der Türkei werden ihnen offiziell hunderte Morde zur Last gelegt. Auch wenn es nie bewiesen wurde: die Grauen Wölfe sollen auch für den Mord an dem armenischen Publizisten Hrant Dink verantwortlich sein. Dink wurde am 19. Januar 2007 vor dem Verlagsgebäude der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Agos erschossen.