Königsmacher und Zukunftskoalition
Haltepunkte, Rückzugslinien: Der Wahlabend im deutschen Fernsehen
"Erst das Land, dann die Partei", sagte Paul Ziemiak auf der ARD um viertel nach sechs, und spätestens dann wusste jeder: Für CDU/CSU ist es nicht gut gelaufen. Welt-TV versuchte sich zwar noch an alternativer Geschichtsschreibung durch Entlastungsangriffe und titelte stur: "Grüne verfehlen selbst gesetztes Wahlziel!", als ob das die Nachricht des Tages war.
Bald aber war dann in der CDU-Zentrale die "Zukunftskoalition" das neue Zauberwort, weil man wohl "Jamaika" nicht mehr sagen wollte. "Zukunftskoalition, Zukunftskoalition" wiederholte dann Nikolaus Blome auf Ntv und machte als einziger mit ironisch gestelzter Betonung den Politsprech deutlich. Zugleich musste Blome einem schon leidtun, als er parallel zur "Elefantenrunde" der Partei-Spitzen, die er bestimmt mit seinen Sottisen aufgemischt hätte, stattdessen mit "Bürgern" das Ergebnis "einordnen" musste.
Die war traditionell bei ARD/ZDF zu Gast und wurde - aufgeblasen auf über eine Stunde Länge - zu einer der langweiligsten in der Geschichte des Formats. Keinerlei Gespräch entwickelte sich, wie an einer Perlenschnur aufgereiht hakte man die Teilnehmer ab, stellte einfallslose, vorgestanzte Phrasenfragen, zum Teil zweimal die gleiche zehn Minuten später noch mal, und wusste erkennbar nichts mit der ungewöhnlichen Situation anzufangen, obwohl es doch zum ersten Mal eine Drei-Parteien Koalition geben würde, obwohl die Linke nur knapp am parlamentarischen Aus vorbeigeschrammt war.
Nur Scholz versuchte in der Elefantenrunde die Prioritäten zu setzen: "Wir haben ja drei Parteien, die hinzugewonnen haben. Auch das ist eine Botschaft."
Springer-Bonus beim ZDF
Hat das ZDF eigentlich eine Medienpartnerschaft mit dem Axel-Springer-Verlag? Oder nehmen die anderen Verlage keine ZDF-Einladungen an?
Dieser Eindruck kommt schon länger auf, wenn man die erstaunliche Häufigkeit der Auftritte der politischen Chefjournalisten der Welt, Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander, im ZDF beobachtet. In den letzten drei Tagen konnte es selbst wohlwollenden Beobachtern zu viel werden: Zunächst Chefredakteurin Rosenfeld am Donnerstag bei "Maybrit Illner", dann direkt danach Robin Alexander bei "Markus Lanz", wo Rosenfelds Stellvertreter bereits seit eineinhalb Jahren mehrmals im Monat zu Gast ist. Und am Sonntagabend durfte Robin Alexander dann bei "Maybrit Illner Special" kommentieren. Gegengewichte bildeten nur je einmal Anja Meier vom Weser-Kurier, und Markus Feldenkirchen vom Spiegel.
Zusätzlich pikant wird diese einseitige Auswahl "unabhängiger Medienbeobachter" dadurch, dass sowohl Rosenfeld wie Alexander politisch sehr klare neoliberale bzw. konservative Positionen vertreten. Rosenfeld macht aus ihren FDP-Sympathien kein Hehl, zugleich legen weder sie noch das ZDF offen, dass Rosenfeld neun Jahre lang mit FDP-Chef Christian Lindner verheiratet war. Vielarbeiter Alexander ist neben seinen regelmäßigen journalistischen Texten auch Autor brillant analysierender Sachbücher, die aber zugleich eindeutig der Agenda des rechten Unionsflügels in die Hände arbeiten.
So auch bei "Maybrit Illner Special": "Noch liegt Scholz vorne..." - eine gewagte Relativierung am Abend eines der größten SPD-Wahlerfolge der letzten Jahrzehnte. Aber selbst Alexander konnte das Ergebnis der Union nicht auf Dauer schönreden und beschränkte sich auf nicht falsche, aber recht hochnäsige Ratschläge an die Wahlsieger: "Sie müssen aus ihrer Haut, wenn sie die Leute abholen wollen."
Die neue Bürgerlichkeit übernimmt die Macht
Wahlsieger unter den Medien selbst war die Zahlen betreffend eindeutig das ZDF. Dort meldete man von Anfang an einen kleinen, aber festen Vorsprung der SPD vor der Union, während bei der ARD beide noch fast eine Stunde bei 25 Prozent lagen, und auch der Rest ungenauer war.
"Enttäuschend ist nicht das richtige Wort", sagte Habeck in der ARD, "aber ein Wahlkampf mit ganz schön Gewürge" sei es schon gewesen. "Wir sind nicht da, wo wir hinwollten. Wir haben es nicht geschafft, über 20 Prozent zu landen." Dann drehte er den Blick nach vorn und war der erste, der skizzierte, wie nun die neue Bürgerlichkeit die Macht übernahm.
Man könne sich ja auch erstmal allein mit FDP zusammensetzen, müsse nicht auf eine Einladung der SPD warten. So habe er das seinerzeit in Schleswig-Holstein auch gemacht. Christian Lindner griff dies dann in der "Elefantenrunde" auf, es sei doch klar "dass die Parteien die gegen den Status Quo einer Großen Koalition Wahlkampf gemacht haben aus unterschiedlichen Perspektiven, dass die jetzt miteinander sprechen".
Daraufhin wurde es dann zur offiziellen Linie des ZDF, die in mehreren Kommentaren wiederholt wurde: "Grüne und Liberale sind Königsmacher."
Überhaupt war man beim ZDF deutlich mehr als bei der ARD bemüht, der Union ein paar Rückzugslinien und Haltepunkte zu sichern, und dafür den Wahlsieg der SPD kleinzureden und zu relativieren.
Claus Klebers postfaktische Agenda
Zum Beispiel Claus Kleber im "Heute Journal". Zunächst raunte der Kommentar: "Scholz kennt die Geschichtsbücher. Schon vor ihm wurden Männer nicht Kanzler, obwohl sie im Ergebnis vorne lagen."
Im Interview danach unterbrach Claus Kleber Scholz schon bei seiner ersten Antwort und wies darauf hin, dass beide Parteien "ja nur Bruchteile eines Prozents" auseinander lägen - zu diesem Zeitpunkt führte die SPD in der ZDF Hochrechnung mit 1,5 Prozent.
Scholz hielt dagegen: "Die CDU ist ja abgewählt worden durch dieses Wahlergebnis - anders kann man die Wählerbotschaft gar nicht verstehen." Worauf Kleber erkennbar schlecht gelaunt konterte: "Das hat Gerhard Schröder vor 16 Jahren auch geglaubt, dass der Verlauf der Kurve vor der Wahl die Wahl entscheidet und nicht das Ergebnis."
Damals wurde Angela Merkel Kanzlerin - sie führte übrigens mit gerade mal einem Prozentpunkt, 0,7 Prozent weniger als Scholz' jetzige Führung.
Geradezu postfaktisch machte Kleber dann weiter, als er das direkt danach folgende Interview mit Alexander Dobrindt (CSU) der gerade in Bayern 7,1 Prozent verloren und das schlechteste Ergebnis der CSU-Geschichte eingefahren hatte, mit dem Satz anmoderierte: "Die befürchtete Niederlage ist nun ausgeblieben."
Streit statt Politfloskeln
Anne Will verhaspelte sich gleich zu Beginn lustig: "Die Schlussrunde" nannte sie die Elefantenrunde - aber es war nicht als Witz gemeint. Illner verwechselte Scholz und Laschet. Schon um 18 Uhr hatte Stefan Aust bei Welt-TV die Falschbehauptung in die Welt gesetzt, dass Helmut Schmidt nach dem Wahlsieg über Helmut Kohl die FDP "abhanden gekommen" sei. Tatsächlich war dies erst eine Legislaturperiode später der Fall, nach dem Sieg über Strauß 1980.
Illner war trotzdem wieder die Siegerin des Abends, weil sie ihre Gäste aus der Façon und zum Streiten brachte, während bei "Anne Will" wieder hauptsächlich Politfloskeln abgeseilt wurden.