Können Roboter den Krieg humanisieren?

Seite 2: Roboter schießen besser

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Dazu werde es nicht kommen, versichern Vertreter des Militärs ebenso wie Politiker. Es solle auch in Zukunft immer ein Mensch die letzte Entscheidung haben. Doch diese Absichtserklärung, die durchaus ernst gemeint sein mag, kann nicht wirklich beruhigen. Denn es liegt offensichtlich nicht in der Macht der Rüstungsplaner, dies zu gewährleisten.

Schnelligkeit und Feuerkraft sind die wichtigsten militärischen Parameter. Wer bewaffnete Roboter ins Gefecht schickt, will, dass sie schneller schießen als die des Gegners. Da ist irgendwann die Grenze der Fernsteuerung erreicht, spätestens wenn Reaktionszeiten gefordert werden, die kürzer sind als die Laufzeiten der Funksignale. So gehen US-Militärplaner davon aus, dass es bereits in 20 Jahren luftkampffähige Flugroboter geben könnte. Um gegen andere Flugzeuge bestehen zu können, müssen sie aber innerhalb von Sekundenbruchteilen über den Waffeneinsatz entscheiden. Das geht nur, wenn sie autonom agieren.

Wer sich heute für bewaffnete Drohnen entscheidet, nimmt diese Rüstungsdynamik in Kauf. Sie läuft unweigerlich auf - angeblich von niemandem gewünschte - autonom feuernde Roboter hinaus.

Aber vielleicht ist das alles gar nicht so schlimm? Im Gegenteil, es könnte für die Menschen sogar von Vorteil sein, wenn Roboter über tödliche Waffen verfügen. Schließlich kennen die Maschinen weder Emotionen noch Stress, die die Entscheidungsfähigkeit im Schlachtengetümmel häufig beeinträchtigen. Ronald Arkin, Informatiker am Georgia Institute of Technology in Atlanta (GeorgiaTech) hat diese Frage im Auftrag der US-Militärforschungsbehörde Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency) untersucht.

Es kann sein, dass sich Roboter auf dem Schlachtfeld besser bewähren als Menschen, nicht nur in militärischer Hinsicht, sondern auch in ethischer. Das Resultat könnten weniger zivile Opfer und geringere Zerstörungen sein. Ich habe menschliches Verhalten im Kampfeinsatz ausgiebig studiert und das Ergebnis ist ernüchternd: Menschen machen hier viele Fehler und verhalten sich oft grausam. Insofern könnte das Schlachtfeld der Ort sein, an dem sich ethisch agierende Roboter womöglich leichter realisieren lassen als anderswo."

Ron Arkin

Arkins Forschungsteam entwickelte ein System, das in der Lage sein soll, sich am Kriegsvölkerrecht zu orientieren:

Ähnlich wie James Watt für seine Dampfmaschine einen "centrifugal governor" konstruierte, der sicherstellte, dass die Leistung der Maschine sich in bestimmten Grenzen bewegte, haben wir eine Software entwickelt, die die Reaktionen des Roboters daraufhin überprüft, ob sie sich innerhalb der Regeln des Kriegsvölkerrechts bewegen. Der "ethical governor" erlaubt oder verbietet Aktionen, die von einer anderen Komponente der Software ausgewählt worden sind.

Ron Arkin

So könne es für einen Roboter ein zwingender Grund sein, den Schießbefehl zu verweigern, wenn im Funkverkehr von "Verwundeten" die Rede ist.

Traditionell vertrauen wir mehr dem Menschen als der Maschine. Auf dem Schlachtfeld kann das aber gefährlich sein, denn hier reagieren Menschen anders als beim Ausfüllen eines Testformulars am Schreibtisch. Auf den Stress und das Chaos einer Kampfsituation kann man sie nur begrenzt vorbereiten. Roboter könnten besser dafür geeignet sein. Es ist nur eine Möglichkeit, aber sie könnte helfen, Leben zu retten. Das ist für mich Grund genug, sie weiter zu erforschen.

Ron Arkin

Auch Arkin hält "tödliche Autonomie" auf Dauer für unvermeidlich, sofern die technische Entwicklung nicht durch internationale Abkommen gestoppt oder kontrolliert werde.

Es geht nicht darum, einen autonomen Roboterstaat zu schaffen. Roboter bekommen ihre Befehle von Menschen, genauso wie Soldaten, brauchen für die Durchführung ihrer Missionen aber Entscheidungsfreiraum. Dabei werden sie gewiss Fehler machen. Sie sollten daher erst dann zum Einsatz kommen, wenn erwiesen ist, dass sie weniger Fehler machen als Menschen. Sie werden menschliche Soldaten auch nicht komplett ersetzen, sondern an ihrer Seite kämpfen. Ich sehe sie vor allem in Spezialmissionen wie dem Einsatz gegen Scharfschützen, der Durchsuchung von Gebäuden oder anderen Aufgaben, für die Spezialisten benötigt werden.

Ron Arkin

Optimierte Gewalt

Arkins Robotersoldaten schießen vorsichtiger als Menschen. Gegenüber den Kampfrobotern der Science-Fiction, die in erster Linie schneller und genauer schießen, hocheffizient und ohne jedes Mitgefühl, kann das zunächst wie ein Fortschritt erscheinen. Wenn die Studie trotzdem häufig Unbehagen auslöst, hat das vor allem damit zu tun, dass die zugrundeliegende Entwicklungslogik unverändert geblieben ist: Wie bei Terminator und Robocop dient die Robotik auch bei Arkin der Optimierung der Gewalt.

Krieg ist die Entfesselung des Grauens. Gewaltige Zerstörungskräfte werden freigesetzt, die sich nur teilweise kontrollieren lassen, Emotionen geschürt, Gewaltexzesse begünstigt. Das Versprechen der Automatisierung besteht darin, diese Exzesse zu reduzieren - als wären sie Entgleisungen des Krieges und nicht sein eigentliches Wesen, als wäre Krieg an sich akzeptabel, wenn er nur ordentlich geführt würde. Der Gewalteinsatz wird den jeweiligen Aufgaben angepasst, gerade so viel wie nötig, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Aber grundsätzlich bleibt die Anwendung tödlicher Gewalt ein akzeptiertes Mittel zur Durchsetzung von Interessen und damit die Basis internationaler Beziehungen.

Es überrascht nicht weiter, dass eine Militärinstitution wie die Darpa die Robotik vorrangig aus der Perspektive der Kriegsführung betrachtet und dem Potenzial dieser Technologie zur Kriegsvermeidung und Friedensstiftung keine weitere Beachtung schenkt. Akzeptabel ist diese Verengung der Perspektive trotzdem nicht.

Krieg ist kein Schicksal, er ist Ergebnis kultureller Entwicklung. Für die weit verbreitete Annahme, dass es Kriege "schon immer gegeben" habe, gibt es keine archäologischen Belege.1 Vielmehr kamen die Menschen den größten Teil ihrer Geschichte offenbar ohne Kriege aus. Der Anthropologe Raymond C. Kelly konnte zeigen, dass seit vermutlich einer Million Jahren freundschaftliche Beziehungen zwischen verschiedenen Menschengruppen dominierten:

Diese altsteinzeitliche Periode der Abwesenheit von Kriegen wurzelte in einer niedrigen Bevölkerungsdichte, einer Anerkennung der Vorzüge freundschaftlicher Beziehungen mit Nachbarn und einem gesunden Respekt vor deren Verteidigungsfähigkeiten. Sie endete erst, als die kulturelle Entwicklung komplexere Formen der Organisation und damit den Krieg hervorbrachte.

Raymond C. Kelly

Bei Jägern und Sammlern, der über Jahrhunderttausende vorherrschenden Existenzform, kommt es sehr selten zu kollektiver Gewalt. Erst mit der Entwicklung stärker strukturierter Gesellschaften und der Durchsetzung sesshafter Lebensformen gewinnen kriegerische Auseinandersetzungen an Bedeutung. Die ältesten Siedlungen, deren Verteidigungsstrukturen zweifelsfrei der Abwehr von Angriffen dienten, sind nur etwa 7000 Jahre alt.2

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