Können Roboter den Krieg humanisieren?
Seite 3: Das Krieg/Frieden-System
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Erstaunlicherweise sind diese Erkenntnisse bislang kaum ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen. Offenbar werden sie von vielen für belanglos gehalten, weil sie einen Zeitabschnitt betreffen, der häufig immer noch als "Vorgeschichte" der Menschheit wahrgenommen wird, ohne Bedeutung für die Gegenwart.
Nun ist die Rückkehr zu einfachen nomadischen Lebensformen sicherlich kein gangbarer Weg, um zukünftig Kriege zu vermeiden. Dennoch ist der Blick in die Vergangenheit an dieser Stelle wichtig und hilfreich, stellt er doch die in Arkins Studie vorgenommene Verengung der Perspektive in Frage. Es mag realpolitisch vernünftig erscheinen, auch zukünftig von der Existenz von Kriegen auszugehen und sich darauf vorzubereiten, um siegreich und mit möglichst wenig Opfern auf der eigenen Seite aus ihnen hervorzugehen. Aber dieser kurzfristige militärische Vorteil wäre viel zu teuer erkauft, wenn dadurch die Chance vertan würde, den Krieg als Werkzeug der Politik grundsätzlich abzuschaffen oder dessen Nutzung wenigstens massiv einzudämmen. Diese Chance gibt es: Es hat in der Vergangenheit nicht immer schon Kriege gegeben. Also sind sie auch in der Zukunft nicht unvermeidlich.
Kellys Studie zeigt, dass technologische Innovationen und soziale Organisation ausschlaggebend für die lange Zeit des Friedens waren, die erst durch einen tiefgreifenden sozialen Wandel, den Übergang zu sesshaften Lebensformen, beendet wurde. Globalisierung und das Erreichen der Wachstumsgrenze sind Umwälzungen von vergleichbarer Tragweite. Sie könnten Wege eröffnen, erneut eine Periode des Friedens einzuleiten. In diesem Zusammenhang sind die Überlegungen von besonderem Interesse, die Kelly zu den Andamanen vorgenommen hat.
Die Inselgruppe der Andamanen im Indischen Ozean ist seit mindestens 2200 Jahren von Menschen besiedelt. Die meisten der 13 Völker waren sich kulturell und verwandtschaftlich so nah, dass sie sich sprachlich verständigen konnten. Je nach Jahreszeit und Siedlungsgebiet nutzten sie Nahrungsquellen im Meer und in den Wäldern, lebten aber in "einer begrenzten Umgebung, in der die maximale Bevölkerungsdichte erreicht war".3 Streit um Ressourcen war unter diesen Umständen unvermeidlich und führte gelegentlich zu Todesfällen, die wiederum Racheakte zur Folge hatten.
Kelly zitiert dazu den britischen Sozialforscher Alfred Radcliffe-Brown, der die Inseln vor etwa hundert Jahren besuchte:
Solche Angriffe und Gegenangriffe mochten für einige Jahre fortgesetzt werden und so zu einer Fehde zwischen zwei benachbarten Gruppen führen. In der Regel wurde aber nach ein oder zwei solcher Kämpfe Frieden geschlossen. Bei den Völkern der Nord-Andamanen gab es eine spezielle Friedenszeremonie. (…) Alle Friedensverhandlungen wurden von den Frauen geführt. Ein oder zwei Frauen der einen Gruppe wurden beauftragt, die Frauen der anderen Gruppe zu befragen, ob sie bereit wären, die Vergangenheit zu vergessen und Freundschaft zu schließen. Es scheint, als wäre es vor allem der Groll der Frauen über die getöteten Angehörigen gewesen, der die Fehde am Leben erhielt. Die Männer der beiden Parteien waren viel eher als die Frauen bereit, Freundschaft zu schließen.
Alfred Radcliffe-Brown
Um den Frieden zu besiegeln, kam die "vergebende Partei" zum Siedlungsplatz derjenigen, die für den letzten feindlichen Akt verantwortlich waren. Zentrales Element der Friedenszeremonie war ein Tanz, bei dem zunächst jeder Mann und danach jede Frau der besuchenden Gruppe jeden Mann der anderen Gruppe einmal kräftig schüttelte, während deren Frauen den Takt dazu klatschten. Auf diese Weise, so Kelly, wurde der "Frieden in einem Konsens verankert, an dem jeder beteiligt war".4. Auf den Andamanen entwickelten sich Friedenschließen und Kriegsführen parallel. Der Krieg, betont Kelly, entstand "als ständiger Wechsel von Krieg und Frieden, das heißt, als ein Krieg/Frieden-System. Der Ursprung des Krieges ist damit gleichzeitig der Ursprung des Friedens (als eines sozial konstruierten Zustands).5
Bei der Diskussion über Militärroboter steht bislang allein die Kriegsführung im Vordergrund. Das Potenzial der Robotik für das Schließen und Bewahren des Friedens wird dagegen bislang nicht beachtet. Dabei unterstreichen die Nachrichten Tag für Tag, dass gerade hier offenbar die deutlich größeren Defizite bestehen.
Friedensbotschafter
Nun werden sich die Friedensrituale der Andamanesen nicht eins zu eins in die Gegenwart übertragen lassen. Roboter, die mit Selbstmordattentätern die Versöhnung ertanzen, sind ein schöner Stoff fürs Kino oder für ein Musical, aber wahrscheinlich keine realistische Lösung für aktuelle Konflikte. Dennoch verdient der Blick auf Roboter als Friedensbringer mindestens die gleiche Aufmerksamkeit wie der auf Roboter als ethisch korrekter schießende Soldaten.
Vergleichende Untersuchungen friedlicher Gesellschaften haben ein hohes Maß an Gleichheit als zentrales Element bei der Wahrung des Friedens erkannt:
Weitere friedenserhaltende Ansätze sind (1) Erziehungspraktiken, die Gewaltlosigkeit höher bewerten als Aggressivität und die Verinnerlichung gewaltloser Werte und Verhaltensmuster fördern; (2) sich aus dem Weg zu gehen als gängiges Verhalten; (3) die Entwicklung von Selbstbeherrschung gegenüber Ausdrücken von Wut und Aggression; (4) der Gebrauch verschiedener sozialer Kontrollmechanismen zur Förderung von Gewaltlosigkeit; (5) die aktive Einbeziehung dritter Parteien bei der Lösung von Konflikten.::Baszarkiewicz/Fry6
Hier können Roboter eine wichtige Rolle spielen. Schließlich wird gerade von Militärvertretern immer wieder hervorgehoben, dass sie vor allem die schmutzigen, langweiligen und gefährlichen Arbeiten übernehmen sollen, die auf Englisch besonders einprägsamen 3 D: dirty, dull, dangerous. In der zivilen Welt haben aber gerade diejenigen, die bislang die Drecksarbeiten ausführen, durch Roboter in der Regel nur Nachteile: Ihnen wird die Arbeit nicht abgenommen, sondern weggenommen und damit auch der Lebensunterhalt. Automatisierung trägt so zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft bei - dabei hätte sie das Potenzial, diesen Prozess umzukehren.
Notwendig wäre dafür allerdings eine Neubewertung der Erwerbsarbeit, insbesondere eine Entkoppelung der Arbeit von der Sicherung des Lebensunterhalts. Andrea Bertolini, Rechtswissenschaftler an der Scuola Superiore Sant‘Anna in Pisa, wies Ende 2013 bei einer Konferenz des europäischen Netzwerks für künstliche kognitive Systeme (EUCog) darauf hin, dass Arbeit die Stellung des Individuums in der Gesellschaft definiere. Ihre Bedeutung beschränke sich keinesfalls darauf, lediglich das Einkommen zu sichern. Mit der Mehrheit der Tagungsteilnehmer war er sich einig darin, dass sich die Frage immer dringender stelle, wie sich der Wohlstand, den die Maschinen schaffen, fair verteilen lasse. Auch viele Kommentare, die übers Internet und Twitter die Konferenz erreichten, gingen darauf ein. Automatisierung, so eine Forderung, solle zu einem besseren Leben für alle beitragen, nicht zu einer weiteren Verstärkung der Spaltung zwischen arm und reich.
Wenn es gelänge, Roboter in dieser Weise wirken zu lassen, könnten sie tatsächlich gute Krieger werden - ganz im Sinne des chinesischen Philosophen Sun Tzu, Verfasser des ersten Buches über die Kriegskunst, der vor 2500 Jahren schrieb: "Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen." Vielleicht müsste es heute eher heißen: die Feindschaft gar nicht erst entstehen zu lassen.
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