Körpersubstanz auf Halde
Der Nationale Ethikrat empfiehlt den Aufbau von Biobanken
Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zum Thema "Biobanken" wägt Datenschutz und Forschungsfreiheit gegeneinander ab. Die "informierte Einwilligung" der Spender soll weit gefasst werden dürfen, die Informationen andererseits durch ein Forschungsgeheimnis Schutz erfahren. Zurückhaltend gibt sich die vornehmlich auf Belange der Persönlichkeitsrechte eingehende Empfehlung in Fragen sozialer Gerechtigkeit und bei der Beurteilung der durch Biobanken ermöglichten Medizintechnik.
Beharrlich und mit viel Sorgfalt arbeitet sich das Team des Nationalen Ethikrates durch das Feld aktueller Fragen der Bio- und Medizinethik. Nach Empfehlungen zur Regelung des Imports menschlicher Stammzellen und zur Genetischen Diagnostik vor und während der Schwangerschaft standen in den letzten zwei Jahren die Biobanken auf dem Programm. Biobanken sind brisant, weil sie medizinische Informationen mit personenbezogenen Daten über einzelne Patienten verknüpfen und für Dritte einsichtig machen. Dabei geht es sowohl in Form um die Speicherung (digitaler) Informationen, vorzugsweise in Verbindung mit DNA-Analysen, wie auch um die Sammlung von Zellen, Gewebe und Blut.
Bereits auf seiner ausführlich dokumentierten Jahrestagung 2002, die unter dem Titel "Biobanken: Chance für wissenschaftlichen Fortschritt oder Ausverkauf der 'Ressource' Mensch?" stand, hatte der Ethikrat das Terrain sondiert. Die dort zur Sprache gekommenen Erfahrungen mit bisherigen Biobank-Projekten in Island, Estland und in Großbritannien werden von der aktuellen Stellungnahme ebenso aufgegriffen wie die Expertisen von Medizinern und Industrievertretern über den Nutzen von bioinformatischen Datenbanken für die Forschung, vor allem für die Genetische Epidemiologie und die Pharmakogenetik. In der Genetischen Epidemiologie sollen Biobanken helfen, die Gleichzeitigkeit von Gen-Varianten mit dem Auftreten von Erkrankungen aufzuspüren und auf diesem Wege Aufschluss über das mit bestimmten Gen-Varianten verbundene Krankheitsrisiko geben. Die Pharmakogenetik untersucht, inwiefern spezifische Gen-Varianten mit unterschiedlichem Ansprechen auf bestimmte Medikamente zusammenhängen.
Der auf der Tagung vor zwei Jahren formulierten Zurückhaltung hinsichtlich allzu bald zu erwartender Fortschritte in der Prävention und der Bekämpfung von Volkskrankheiten mit Hilfe von Biobank-gestützter Forschung trägt auch die vorliegende Stellungnahme Rechnung. Bedenken gegenüber der Schaffung eines "gläsernen Menschen", die auf sehr optimistischen Prognosen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit genetischer Diagnosetechniken beruhen, treten vor anderen Motiven deutlich zurück.
Der Ethikrat bemüht sich, der Schaffung rechtlicher Voraussetzungen vor allem für Grundlagenforschung voranzuarbeiten. Dazu bedarf es in erster Linie Regelungen für die Erhebung von Daten mit unbestimmter Zweckbindung und für die Schaffung und Zusammenführbarkeit von Biobanken im Rahmen von Forschungskooperationen. Der leitende Gedanke in der Biobanken-Konzeption des Ethikrates ist dabei der Datenschutz.
Die Logik der Einwilligung
Ein wichtiger Punkt ist deshalb die Einwilligung von Patienten und Spendern in die Archivierung ihrer Bioinformation. Um sich von den Tücken der "informierten Einwilligung" ein Bild zu machen, hatte sich der Ethikrat vor kurzem an die britische Philosophin Onora O'Neill gewendet. In ihrem (öffentlichen) Vortrag Behind the Ritual of Informed Consent demontierte die Ethikerin die Idee der "informierten Einwilligung". Genetische Daten, so argumentierte O'Neill, seien gewöhnlicher Weise so komplex, dass dies die kognitive Basis sowohl von Einwilligung wie auch die Möglichkeit von Vertrauen in die bestimmungsgemäße Verwendung von Daten überfordere. Das ist auch eine Sache der Logik: Wenn jemand in "A" einwilligt, "A" aber "B" nach sich zieht, folgt daraus nicht schon, dass sich die Einwilligung auch auf "B" erstreckt - der Betreffende kann schließlich in Unkenntnis dieser Tatsachenzusammenhänge sein. Diese Unsicherheit in der Interpretation von Erklärungen der Einwilligung oder der Zusicherung von Vertraulichkeit, schloss Onora O'Neill, würde unser Verständnis der "informierten Einwilligung" nahezu untergraben.
Der Ethikrat ist offenbar diesen Überlegungen gefolgt. Einwilligungen, so empfiehlt er, sollen möglichst breit und allgemein eingeholt werden können: "Spender sollten ganz allgemein in die Nutzung ihrer Proben und Daten zum Zweck der medizinischen Forschung einschließlich genetischer Forschung einwilligen können", ohne dass deren Verwendung auf einzelne, im Vorhinein spezifizierbare Forschungsvorhaben begrenzt werden muss. Auch sollten Spender in die Nutzung ihrer Proben und Daten für unbestimmte Dauer einwilligen können.
Außerdem sollen zweckbestimmt erhobene Daten unter bestimmten Umständen weiterverwendet werden dürfen. Von einer Einwilligung soll so abgesehen werden, wenn die Proben und Daten vollständig anonymisiert oder pseudonymisiert sind. Als Ausnahmeregelung dürfen Daten, die mit Einwilligung der Spender für ein spezifisches Forschungsprojekt, etwa zur Erforschung einzelner Krankheiten, entnommen worden sind, für die Erforschung weiterer Krankheiten verwendet werden.
Forschungsgeheimnis
Der breit angelegten "Zustimmung" entspricht auf der anderen Seite ein starker Schutz der Vertraulichkeit: ein "Forschungsgeheimnis" soll Spender und Patienten vor dem Publikwerden ihrer Gesundheitsdaten schützen. Offen gehalten hat der Ethikrat die Einschränkungen dieses Geheimnisses.
Die Forderung, ein Forschungsgeheimnis gesetzlich abzusichern, so vermuten die Autoren der Stellungnahme, werde "zu einer Reihe schwieriger Überlegungen und Abwägungsprozesse" zwingen, "vor allem im Zusammenhang mit einem Zugriff auf die Daten bei der Aufklärung schwerer Straftaten." Im Klartext: Dass Ermittler etwa im Zuge einer Rasterfahndung auf Biobanken zugreifen können, wäre vielleicht nicht einmal unwahrscheinlich. Dass die Kriminalpolizei, die sich des "genetischen Fingerabdrucks" bislang nur eingeschränkt bedienen darf, in Zukunft einmal Biobanken bedienen kann, ist nicht ausgeschlossen.
Pharmakogenetik
Dass sich die Stellungnahme an diesem Punkt im Ungefähren verläuft, mag man ebenso kritisieren, wie den Verzicht auf eine generelle Genehmigungspflicht für Datenbanken, die es erlauben würde, einen Überblick über bioinformatische Forschungen zu erhalten. Ganz generell aber fordert vor allem der enge Zuschnitt auf Probleme des Daten- und Persönlichkeitsschutzes, der einerseits eine scharfe Begrenzung des Themas erst ermöglicht, gewisse Tribute.
Wie sehr die Konzentration auf das Thema "Biobanken" den ethischen Problemhorizont determiniert, wird deutlich, wenn man das Gutachten des Ethikrates mit einer anderen kürzlich veröffentlichen Stellungnahme zu einem ähnlichen Thema vergleicht: dem Bericht des britischen Nuffield Council on Bioethics zu "Pharmacogenetics".
Ebenso wie der Ethikrat, greift auch der Nuffield Council die Fragen des Datenschutzes und der Einwilligung von Spendern und Patienten in die Erhebung und Verarbeitung ihrer Informationen auf. Der Report deutet aber auch auf Punkte hin, wo der Ethikrat unnötig Kompetenzen verspielt. "Diskriminierungsgefahr muss gesondert vorgebeugt werden", heißt es in der deutschen Stellungnahme ganz generell - wohl im Hinblick auf das Gentest-Gesetz, an dem das Bundesgesundheitsministerium seit Jahren (bislang ohne öffentlich vorliegendes Ergebnis) arbeitet und das den Schutz 'genetisch Benachteiligter' gegenüber Versicherungen oder Arbeitgebern garantieren soll.
Dabei hätte man, auch im Gutachten zu Biobanken, durchaus auf spezifischere Möglichkeiten der Diskriminierung hinweisen können. Denn im gleichen Zug, wie Pharmakogenetik die gezielte Entwicklung von Medikamente oder Therapien für Patienten mit bestimmten Dispositionen ermöglicht, werden auch die Grundlagen geschaffen für den Ausschluss von Patientengruppen aus dieser Form von Behandlung. "Incentives might be necessary to encourage pharmaceutical companies to develop medicines that would provide benefit to only a small number of patients", empfiehlt deshalb das britische Gutachten.
Die Ethikrat Stellungnahme zieht in diesem Punkt allein in Betracht, dass ethnische Gruppen, die bestimmte genetische Dispositionen aufweisen, benachteiligt werden könnten - schließt diese Möglichkeit aber für Deutschland aus. Eines "community consent" einzelner Bevölkerungsgruppen soll die Erhebung von Daten für Biobanken über die Einwilligung des Einzelnen hinaus nicht bedürfen.
Gentests
Auch dort, wo der Ethikrat erklärt, für die Beurteilung "gesellschaftliche Tendenzen" nicht zuständig zu sein, wagt sich der Report des Nuffield Council entschieden weiter hervor. "The introduction of pharmacogenetics will mean that many more patients are exposed to genetic testing than ever before", heisst es dort klipp und klar. Der Grund: Erst die Biostatistik macht den "Gentest" möglich. Der Ethikrat kommt nur an einer Stelle auf die Verbindung zwischen Biobanken und Gentests zu sprechen - dort nämlich, wo es um die Partizipation von Spendern an Forschungsergebnissen geht.
Während die Kollegen aus Großbritannien damit sympathisieren, dass Biobank-Spender eine individuelle Rückmeldung über Untersuchungsergebnisse und Forschungsresultate erhalten sollten, wiegen sich die Gutachter des Ethikrates in Bedenken. Einen "nicht zu leistenden Aufwand" würde es bedeuten, einzelne Spender über Ergebnisse der Forschung mit menschlichen Körpersubstanzen zu informieren. Vor allem aber müssten die Spender über die "möglichen Konsequenzen" der Übermittlung von Befunden aufgeklärt werden.
Das hätte man auch konkreter sagen können: Wer, ob durch einen "Gentest" oder als Biobank-Spender, Informationen über persönliche Erkrankungsrisiken erhält, kann sich damit nicht nur den relativ sorgenfreien Blick in die Zukunft verspielen, sondern gerät möglicherweise auch in die Situation, beim Abschluss einer Versicherung diese Informationen angeben zu müssen.
Wenn der Ethikrat solcherart "mögliche Konsequenzen" in Betracht zieht, ist er äußerst weitsichtig: denn dass DNA-Befunde Stil Rückschlüsse über Erkrankungsrisiken erlauben, die weitaus signifikanter sind, als was konventionelle Daten wie Körpergewicht, Blutdruck Informationen über Erkrankungen in der Verwandtschaft ohnehin schon hergeben, wird von der Mehrzahl der Wissenschaftler bezweifelt. Insofern erstaunt die Zurückhaltung des Ethikrates. Außerdem muss man sich fragen, ob es nicht einen ebenso großen Aufwand bedeuten würde, Patienten und Spender vorab über Forschungen und medizinische Entwicklungen aufzuklären, die sie mit ihrem persönlichen Beitrag zur Biobank erst ermöglichen. Eine solche Aufklärung ist aber ist in der "informierten Einwilligung", wie sie die Stellungnahme skizziert, nicht vorgesehen. Der Ethikrat scheint dem Bürger nicht ganz zu trauen. Ihn mit einzubeziehen, ist aufwändig - und stört den reibungslosen Ablauf der Forschung.