Kohle nur noch für die Pflege
Am Weltgesundheitstag kooperieren Klimaaktivsten und Pflegekräfte. Eine die unterschiedlichen Gruppen verbindende Losung lautet: Der Markt wird es nicht richten
"Der Markt wird es nicht richten - Gesundheit ist keine Ware", lautet das Motto beim Berliner Aktionstag für eine bessere Gesundheit am 7. April. Wie in vielen Städten nutzen auch in Berlin Beschäftigte aus dem Medizin- und Pflegebereich gemeinsam mit Unterstützern den Weltgesundheitstag, um für ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr finanziellen Mitteln im Care-Bereich, wie der Gesundheits- und Pflegesektor genannt wird, an die Öffentlichkeit zu tragen.
Durch die Corona-Pandemie ist das Thema Gesundheit stärker in das Blickfeld der Gesellschaft gerückt. Das wollen Bündnisse in verschiedenen Städten nutzen, um Druck für konkrete Verbesserungen zu machen. Eine zentrale Forderung ist die tarifliche Bezahlung für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen und ein am Bedarf orientierter Personalschlüssel in den Krankenhäusern. Darüber hinaus fordert das Bündnis eine Abkehr von der Profitlogik im Gesundheitssystem.
Auch die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems gehört zu den Forderungen. Denn nach dem minutenlangen Klatschen für die Helden des Alltags zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns hat sich bisher im Gesundheitssystem nichts verbessert, so die Kritik des Bündnisses.
Gesundheit steht weder im Pflegebereich noch in der Klimapolitik im Mittelpunkt
"Obwohl seit einem Jahr der Corona-Pandemie viel über Krankheit und Gesundheit die Rede ist, steht Gesundheit längst nicht im Fokus, wenn es um die Ausstattung der Krankenhäuser geht", moniert eine Berliner Pflegekraft gegenüber Telepolis. Sie ist aktiv im Berliner Bündnis "Gesundheit statt Profite". Dort vertreten sind die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, zahlreiche weitere Organisationen von Beschäftigten im Care-Bereich, der Berliner Landesverband der Linken, aber auch außerparlamentarische Gruppen wie die Interventionistische Linke.
"Gesundheit steht natürlich auch nicht im Fokus beim Klimaschutz, wenn etwa Autos mit krankmachendem Co2-Gehalt nicht von der Straße verschwinden", kritisieren Aktivistinnen und Aktivisten der Klima- und Umweltbewegung, die den Aktionstag am 7. April unter dem Motto "Kohle nur noch für die Pflege" unterstützen. "Soziale Ungerechtigkeit und die Klimakrise verschärfen sich gegenseitig", begründet Jan von der Berliner Gruppe Fridays for Klimajustice, die Kooperation zwischen Umweltaktivisten und Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich.
Teil der Proteste ist auch das Bündnis Walk of Care, das in den letzten Jahren den eigentlich unpolitischen Tag der Pflege nutzte, um die schlechten Zustände im Care-Bereich anzuprangern und Abhilfe zu fordern. Solche Aktivitäten zeigen auch, dass bei den Beschäftigten im Care-Bereich in den letzten Jahren eine Politisierung eingesetzt hat.
Die Zeiten, in denen sich die dort Beschäftigten als unpolitische Helferinnen und Helfer für die Menschen verstanden, sind vorbei. Das zeigt sich auch daran, dass mittlerweile Arbeitskämpfe im Pflegebereich durchaus nicht mehr so selten sind. Vor 20 Jahren wäre ein Streik in diesem Bereich noch fast undenkbar gewesen. Noch 2009 experimentierten Beschäftigte im Pflegebereich mit neuen Formen des Arbeitskampfes, wozu auch der "Scheiss-Streik" gehörte.
Baustein für eine Care-Revolution?
Zur theoretischen Fundierung der Aktivitäten im Carebereich trägt ein Buch bei, das die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker kürzlich unter dem Titel "Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft" herausgegeben hat. Winker beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, warum die Sorgearbeit im Kapitalismus zunehmend zum Problem wird.
Sie ist Mitbegründerin des bundesweiten Netzwerks Care Revolution. In dem aktuellen Buch begründet sie nicht nur, warum eine Lösung der Care-Krise an die Grenzen des Kapitalismus stößt. Sie benennt auch im Sinne des radikalen Reformismus konkrete Maßnahmen, die schon heute im Care-Bereich umgesetzt werden können.
Zudem begründet sie, warum die Umweltbewegung und die Aktivistinnen und Aktivisten der Care Revolution von ähnlichen theoretischen Prämissen ausgehen müssen und ihre Kapitalismuskritik viele Gemeinsamkeiten hat. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Lektüre des Buches von Gabriele Winker zur Kooperation zwischen Umwelt- und Care-Bewegung bei den Aktionen zum diesjährigen Weltgesundheitstag beigetragen hat.
Es ist vielmehr ein Beweis dafür, dass die Autorin sowohl über die theoretischen Diskussionen als auch die praktische Bewegung in dem Care-Bereich sehr gut informiert ist. Ihr Buch könnte dazu beitragen, dieses Bündnis auf eine theoretische Grundlage zu stellen.