Kollaboration statt Kollaps

IT-Branche, Werbe- und Webagenturen bewegen sich aufeinander zu

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Die Zeiten, als viele Designer eine Website als virtuelle Grafik betrachtet haben, sind vorbei. Anforderungen und Chancen im Netz verlangen mehr als das bloße Umgießen alter Weine in neue Schläuche. Denn trotz aller Unkenrufe haben globale Anbieter wie IBM Global Services oder EDS - die größten IT-Beratungsunternehmen weltweit - noch immer zweistellige Zuwachsraten. Auf der Verliererseite wurde viel analysiert: schlechte Geschäftsmodelle, überstürzte Projekte und unerfahrene Manager! Andere nennen es Konsolidierung. Auf der Internet World in Berlin konnte man eines sehen: die Anbieter für professionelle Webintegration traditioneller Geschäftsmodelle haben angesichts ihres Auftragseingangs zu wenig Manpower - keine Pink-Slip-Parties, sondern quantitatives und qualitatives Wachstum ist die Devise.

Eine komplexe Aufgabe von der Idee über ein umfassendes Konzept bis zur Produktion verantwortlich durchzuführen, ist jedoch nur mit viel Erfahrung und Ressourcen zu schaffen. Es reicht nicht mehr, ein oder zwei Topentwickler mit einer Handvoll Werkstudenten allein zu lassen. Das Bewerten einer Geschäftsidee aufgrund umfassender Evaluierung der Marktchancen und der Zielgruppen sind die erste Hürde für kleine Anbieter. Dann muss noch ein spezifisches Konzept erarbeitet werden. Es soll die vorhandene IT-Landschaft eines Unternehmens nutzen und integrieren - was oft mangels technischer Erfahrungen in Großprojekten unmöglich ist.

So bewegen sich IT-Branche, Werbe- und Webagenturen aufeinander zu. Denn die weltweiten Geschäftsstrukturen im Internet erfordern sowohl technisch fundierte Lösungen als auch gutes Handling einer Website, um aus einem bloßen Klick eine Kauftransaktion zu generieren. Kürzere Entwicklungszyklen der Webtechnologien und dynamische Verbraucherbewegungen erschweren die Aufgabe. Sie sind aber auch ein Argument für den Einsatz neuester Lösungen, denn nur mit gutem Design, echtem Kundennutzen und einer sinnvollen IT-Landschaft dahinter kann man schnell und global auf einen dynamischen Markt reagieren.

Trotz der Abkühlung im E-Business geht es um hohe Summen, die sich viele Branchen nicht einmal erträumen. Die Gartner Group hat ihre Prognose für den elektronischen Handel zwischen Unternehmen zwar nach unten korrigiert. Die B2B-Umsätze (Business-to-Business) im Jahr 2000 seien aber um 294 Prozent auf 81 Milliarden Euro gestiegen, der Markt wachse also nicht so schnell wie früher prognostiziert. Aber er wird im Jahr 2005 schon 1,5 Billionen überschreiten. Nüchterne Rechner sehen hier mehr zukunftssicheres Potenzial als in allen anderen Branchen - vor allem für potente Anbieter, die sich auf Großkunden spezialisieren.

Die Chance liegt in der Größe und Reichweite. Die Etats vieler Konzerne landen bei großen Dienstleistern. Globalisierung ist daher häufig weniger Innovation als notwendige Reaktion. Interkontinental anzubieten bedeutet nicht, alles zu können. Das ist auch nicht immer nötig. Erfolgversprechender ist ein charakteristisches Profil. Ruedi Bauer, Mitgründer von Integral Concept setzt seit 1989 auf das Modell Netzwerk. Viele kleine Firmen erhalten ihre Identität, und die gemeinsamen Ressourcen steigern insgesamt den Ertrag. "Dabei muss man darauf achten, dass innerhalb der Struktur nicht zu viel Konkurrenz entsteht. Das heißt, es muss reale Differenzen geben durch eine explizite inhaltliche oder geographische Position", erklärt Bauer. Jede Agentur bleibt für sich. Bei großen Ausschreibungen bietet man gemeinsam an. Wenn das Netzwerk die interne Koordination und vor allem die Kollaboration untereinander schafft, dann steht einer Best-of-breed-Lösung wenig im Weg. Die Aussichten für Universalanbieter stehen und fallen mit einer integrativen Plattform für große Vorhaben.

Erik Spiekermann hat beides erlebt. Der internationale gefragte Typo-Designer und Gründer von Meta Design Berlin verkaufte den Namen 1990 und teilte sich seit 1992 mit Agenturen in San Francisco und London den Kuchen. Aber es lief schief. Rüchblickend erkennt er, dass die Beteiligung der Berliner an den beiden anderen Büros zu gering war: "Wenn man ein internationales Geschäft machen will, dann müssen die Unternehmen auch 100-prozentig zusammen gehören." Da London sich sowieso schon seit 1999 abgenabelt hatte, wollte San Francisco das Berliner Büro schließen und beide zu einer Agentur mit Sitz in den USA vereinen, um sich gegenüber Razorfish, Framfab oder Sapient aufzustellen. Die Berliner Belegschaft war dagegen.

Die schwedische Framfab ist ein Konzern, der einige nationale Agenturen geschluckt hat. Auch die kleine aber feine deutsche BKM Online, ein Betrieb - durch Zusammenschluss schon auf dreißig Mitarbeiter gewachsen -, in dem sich ehemalige High Potentials den Traum der Selbständigkeit erfüllten. Was hat sich nun geändert, wenn man zu einem internationalen Schwergewicht gehört? Alexander Kandzior, vorher beim Forschungsinstitut GMD in Darmstadt und Mitgründer der BKM Online, ist mittlerweile CEO von Framfab Deutschland: "Am Anfang war ich stärker operativ in einzelne Projekte involviert und habe selbst Programme entwickelt. Später habe ich die Projekte geleitet und konzentriere mich nun auf strategische Gesichtspunkte: Welche Technologien sind in zwei Jahren aktuell? Was müssen wir unseren Mitarbeiter bieten, damit die bei uns ein vernünftiges Arbeitsumfeld finden? Gerade im IT-Bereich sollte man nicht nur behaupten, modern zu sein, sondern auch etwas dafür tun." Die Mutter in Schweden hat im Winter über 300 Mitarbeiter entlassen. Modernität rettet also auch nicht vor mangelnden Umsätzen im E-Business.

Im letzten Weihnachtsgeschäft sollten gestandene Manager großer Konzerne die Hälfte ihrer Geschenkeinkäufe online erledigen. Sie hatten es nicht leicht. Dieses Lernen durch Leiden hat vielen die Augen geöffnet. Donald Norman, Ex-HP-Manager und Mitgründer der Norman Nielsen Group, die zu diesem ungewöhnlichen Experiment eingeladen hatte, erklärt dazu: "Nicht selten kommt es selbst bei hartgesottenen Geschäftsleuten zu Tränenausbrüchen." Umsatzmaximierung kann aber nur realisiert werden, wenn im Web auch gekauft wird. Da helfen weder aufwendig noch schön gestaltete Seiten. Bruce Tognazzini, Mitglied in der NNG, sieht es drastischer: "Viele Sites werden nicht für den Benutzer, sondern für den Chef der Grafikabteilung entworfen. Dass die meisten Designer aus dem Print- und TV-Bereich kommen, macht sie nicht gerade zu kompetenten Webdesignern."

Schon seit einiger Zeit halten Industrie- und Produkt-Design Einzug in den Markt der visuellen Kommunikation quer durch alle Medien. Ergonomie und Usability sind keine exotischen Randthemen mehr. E-Commerce braucht gutes Navigationsdesign mit verständlichen Texten und einem passenden Layout. Die Aufgabe der Integration einer interaktiven Plattform in die bestehende IT-Welt beim Kunden ist unverzichtbare Basis im E-Commerce. Hier ist die Schnittstelle zwischen den Datenbankprogrammierern, den Designern und dem zugrunde liegenden Geschäftsmodell.

Die Präsentationsebene erlaubt den Nutzern leichten Zugriff auf alle sinnvollen Funktionen. Der Content(Inhalt) ist entweder als Katalog, Zeitung oder gleich als Portal alles in einem. Manche Anbieter erlauben sogar den Zugriff auf selbstgewählte Quellen - dann ist das Angebot personalisierbar. Beispielsweise sind alle Aktienkurse, die Schneehöhe in den Alpen, Routenplaner und eine Marktplatz für schöne Oldtimer ständig abrufbar. Dazu muss der Surfer seine Interessen preisgeben. Permissives Marketing als Preis für aktuelle Informationen. So ergeben sich Schnittmengen in Bedürfnisprofilen, und Zielgruppen können lokalisiert werden. Marketingpapst Philip Kotler lenkt den Blick auf das Wesentliche: "Marketing muss sich mehr mit immateriellen Werten wie den Fragen des Markenbildes und der Differenzierung eines Produkts beschäftigen. In der neuen Wirtschaft sollte die Marketingabteilung daher auch Direkt- und Telemarketing, CRM, Sponsorship sowie Electronic- und Social-Marketing beherrschen."

Der Kommunikationsberater Dr. Michael Charlier sieht noch einen fundamentalen Aspekt: "Content ist nicht in Bleiwüsten sondern in Textoasen - inhaltlicher Nutzen steht im Vordergrund. Viele Projekte setzen allein auf technologische Features und betrachten Content als beliebigen Füllstoff und nicht als "Inhalt". Wenn Content Management leben soll, dann nicht ohne den Beitrag von Autoren und Designern." Möglicherweise gibt es nur noch eine Evolution in der Zugangsart und in der Qualität von Information. Layout und Text wird getrennt erstellt und gespeichert. Das eröffnet Multikanalfähigkeiten, die über den PC hinaus auch noch Mobiltelefone und Ähnliches umfassen.

Die Entscheidung über Innovation und Tradition oder zwischen Konzentration und Vielfalt ist in den verschiedenen Geschäftszweigen unterschiedlich. Nicht nur das Entwickeln von Produkten sondern auch Marketing und innovative Logistik können ein Geschäftsmodell begründen. Das selbständige Konfigurieren des gewünschten Computers und eine einfache Bestellfunktion im Internet hat dem PC-Versender Dell riesigen Erfolg beschert. Wir werden sehen, wer der nächste Dell wird.