Kollege Fallmanager: Gewerkschaftliche Loyalitäten im Hartz-IV-System
Rassismus-Vorwürfe gegen Jobcenter-Beschäftigte bringen ver.di-Vizechefin auf die Palme. Nicht alle Mitglieder der Gewerkschaft teilen ihre Empörung. Tatsächlich geht es auch um den Umgang mit Macht
Verärgert und verständnislos hat die stellvertretende ver.di-Chefin Christine Behle Anfang der Woche auf Rassismus-Vorwürfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbands gegen Jobcenter reagiert."Wir finden es befremdlich, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband pauschale Vorwürfe gegen Beschäftigte erhebt und damit alle in ein falsches Licht gestellt werden", teilte Behle am Montag in Berlin mit. "Dieses Verhalten ist empörend", befand sie. Doch nicht alle ver.di-Mitglieder halten die Kritik für unbegründet.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte vergangene Woche eine Mitteilung unter der Überschrift "Paritätischer warnt vor Rassismus in Jobcentern" veröffentlicht. Dabei berief sich der Verband auf Ergebnisse einer Umfrage, an der eine Referentin beim Paritätischen Gesamtverband mitgewirkt hatte. Bei der Entscheidung über den Bezug von Sozialleistungen oder Kindergeld werden demnach aus dem EU-Ausland stammende Antragstellerinnen und Antragsteller diskriminiert. Teils würden sie schon im Eingangsbereich von Jobcentern zurückgewiesen.
Andere würden zu einer stärkeren Mitwirkung verpflichtet als deutsche Antragstellende. In einigen Fällen würden trotz belegter Erwerbstätigkeit aufstockende Leistungen verweigert. Personenkennnummern würden mancherorts nur von Personen aus Rumänien und Bulgarien abgefragt.
Für die Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege waren rund 400 Antworten von Beratungsstellen unter anderem für Migrantinnen und Migranten ausgewertet worden. In der Auswertung heißt es, diese sei in der Art der Befragung und den Ergebnissen nicht repräsentativ. "Die Ergebnisse verdeutlichen aber, dass die beschriebenen Probleme bundesweit in nennenswertem Umfang anzutreffen sind."
"Rassistisch anmutende Arbeitsanweisungen"
Laut Behle reagierten Beschäftigte der Jobcentern entsetzt auf die Vorwürfe. Sie stelle sich gemeinsam mit dem Hauptpersonalrat, den Personalräten und den Beschäftigten gegen pauschale und undifferenzierte Rassismus-Vorwürfe, erklärte sie. Falls es aber Beschäftigte gebe, die sich sich Leistungsberechtigten gegenüber tatsächlich rassistisch verhielte, müsse es "deutlich angesprochen und im Zweifel auch arbeitsrechtlich geahndet und sanktioniert werden".
Solche "reflexhaften Reaktionen" kenne er, sagt Hans Sander, der längere Zeit im Bundeserwerbslosenausschuss von ver.di mitgearbeitet hat. Bei Kritik an der Praxis der Jobcenter werde "sofort aufgejault", betonte Sander gegenüber Telepolis. Nicht nur im Zusammenhang mit Rassismus, sondern allgemein, wenn es um den Umgang mit Macht im Hartz-IV-Sanktionssystem gehe. Natürlich gebe es Jobcenter-Mitarbeitende, die sich solidarisch verhielten - aber eben auch andere. Hinzu kämen "rassistisch anmutende Arbeitsanweisungen".
Tatsächlich scheinen die kritisierten Verhaltensweisen kein individuelles Problem zu sein, sondern durch Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) gefördert zu werden. Scharf kritisiert wird das zumindest in ver.di-Arbeitskreisen wie dem Zako (Zentraler Arbeitskreis Offensiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus).
Nach Informationen des Erwerbslosenvereins Tacheles e. V. hat die Bundesagentur für Arbeit Anfang Februar "nur für den Dienstgebrauch" die vierte Fassung ihrer Arbeitshilfe "Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit" (früherer Titel: "Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger") herausgegeben.
Nur Aufstockung möglich
Hintergrund ist, dass Erwerbslose aus dem EU-Ausland zunächst gar keinen Anspruch auf reine Sozialleistungen haben. Dieser ergibt sich erst nach fünf Jahren Erwerbstätigkeit in Deutschland. Prekär oder in Teilzeit Beschäftigte aus dem EU-Ausland können aber direkt nach Aufnahme der Tätigkeit in der Bundesrepublik aufstockende Leistungen beantragen. Entscheidend ist in diesem Fall die "Arbeitnehmereigenschaft".
Ziel der besagten Arbeitshilfe ist nach BA-Angaben die Erkennung des "Missbrauchs von Sozialleistungen" aufgrund einer "Vortäuschung des Arbeitnehmerstatus". Daher sollen die Jobcenter entsprechende Anträge besonders streng prüfen, im Zweifelsfall die Leistungen ablehnen und Repressionsmaßnahmen verschiedenster Art in die Wege leiten.
Manche Formulierung wurde zwar laut Tacheles gegenüber den Vorgängerversionen entschärft, die Wirkung bleibe aber rassistisch und "klassistisch", da nur Personen nicht-deutscher Staatsbürgerschaft "in prekären, ungeschützten Arbeitsverhältnissen" betroffen seien. Da dies besonders häufig Frauen seien, wirke sich die Arbeitshilfe auch sexistisch aus.
Nach Erfahrung von Dirk Heinke, der in der Berliner Fachstelle für Integration und Migration der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Betroffene berät, ist in den Jobcentern die Haltung verbreitet, dass Aufstockung in solchen Fällen eigentlich immer Leistungsmissbrauch sei - trotz anderslautender Rechtslage. Von seiner Gewerkschaft ver.di erwarte er statt reflexhafter Abwehr von Kritik "eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den strukturellen Problemen in Jobcentern, die Beschäftigte in ausweglose Situationen der Machtausübung bringen", so Heinke.
Ver.di-Erwerbslosenausschüsse haben zwar schon die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin, Whistleblowerin und "Hartz-IV-Rebellin" Inge Hannemann als Referentin eingeladen, ihre Botschaft scheint aber noch nicht überall in der Gewerkschaft angekommen zu sein.
Dabei hatten Gewerkschaftslinke schon vor der Einführung der Hartz-IV-Gesetze Anfang 2005 vor einer neuen Erpressbarkeit aller Beschäftigten gewarnt, die sich aus den Zumutbarkeits- und Sanktionsregeln für Erwerbslose und den Schikanen gegen sie ergeben werde.
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