Kommt Putin eines Tages für den Ukraine-Krieg vor ein Gericht?

Bild: Philippe Oursel/Unsplash

Ein vorläufig noch akademisches Gedankenspiel des ehemaligen französischen Justizministers Badinter

Jeder hat soviel Recht, wie er Macht hat.

Spinoza

Wladimir Putin wird eines Tages vor den Internationalen Gerichtshof von Den Haag gestellt werden – davon ist jedenfalls Robert Badinter überzeugt. Badinter, ist zwar inzwischen 93 Jahre alt, aber immer noch einer der großen Juristen Frankreichs. Seinerzeit (1981-1986) war er als Justizminister unter Francois Mitterrand verantwortlich für die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich. Insofern hat sein Wort das Gewicht eines erfahrenen Politikers wie einer moralischen Instanz.

"Es ist der Zeitpunkt des Krieges", sagte Badinter aktuell im Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender France 2: "Wenn man später keine Beweise hat, gibt es natürlich keine erfolgreiche Verurteilung. Darum ist es ja sehr gut, dass jetzt schon Beweise gesammelt werden. Es geht dabei nicht nur um eine Sammlung für die Historiker – nein, das sind Beweise für einen zukünftigen Prozess. Gegen Putin und gegen alle, die seine Komplizen sind." Denn es gebe nicht nur Putin.

"Es gibt die militärischen Entscheider und die zivilen Entscheider, und die Oligarchen. Darauf möchte ich aufmerksam machen: Um Putin herum sind diese vielen anderen."

Badinter verglich den Fall Putin mit den Fällen des ehemaligen serbischen Präsidenten Milosevic und den Nürnberger Prozessen gegen die überlebende Führungselite des NS-Staats.

"Ich kann das nicht verstehen: Putin kommt aus Leningrad"

Badinter gab aber auch zu, er habe sich nicht vorstellen können, dass es jemals wieder einen Krieg in Europa geben würde. "Ich sage Ihnen aber ganz offen: Ich konnte mir auch den Krieg in Jugoslawien nicht vorstellen", antwortete er auf eine entsprechende Frage des Moderators.

Gegenüber der rätselhaften Persönlichkeit des russischen Präsidenten, über den sich spätestens seit vier Wochen Kohorten von Journalisten, Wissenschaftlern und Hobbypsychologen den Kopf zerbrechen, gab Badinter, der in seinem Berufsleben mit Serienmördern, Wahnsinnigen und politischen Verbrechern wie dem Deutschen Klaus Barbie ("Schlächter von Lyon") gleichermaßen zu tun hatte, aber offen seine Ratlosigkeit zu:

Wissen Sie, ich komme aus einer Generation, die den Krieg gekannt hat. Ich war zwölf Jahre alt, als er begann und 17 als er aufhörte. Und ich kann das nicht verstehen: Putin kommt aus Leningrad, eine Stadt, die unter der Blockade gelitten hat und in der die Menschen verhungert sind während dieser Belagerung. Wie kann ein Mensch, der aus dieser Stadt kommt, keine Vorstellung haben, von der immensen Zahl des Leids und des Unglücks, die immer den Krieg begleiten?

Robert Badinter

Aber was für Folgen hat die Drohung mit Den Haag für Putins Verhalten? Wird sie ihn bremsen, oder führt sie umgekehrt zu dem Bewusstsein, dass ein Weg zurück verbaut ist? Er sei kein Psychoanalytiker für Putin, so Badinter.

Es ist keine Frage: Der russische Präsident hat das Völkerrecht in den letzten Wochen mehrfach mit Füßen getreten. Bis Putin vor Gericht gestellt werden könnte, muss allerdings noch so einiges passieren.

Es ist schon mal die große Frage, was eigentlich im Völkerrecht verboten ist und was erlaubt. Entgegen der breiten öffentlichen Meinung unserer heutigen demokratischen Wohlstandsgesellschaften ist der Krieg als solcher völkerrechtlich gesehen keineswegs ein Verbrechen, auch dann nicht, wenn ein Staat als erster zu den Waffen greift.

Die Voraussetzungen für die Strafverfolgung sind in diesem Fall besonders schwierig. Der 1998 gegründete Internationale Strafgerichtshof hat erst seit 2018 das Recht, wegen dieses Tatbestands zu ermitteln. Und auch dann nur, wenn beide Seiten - der mutmaßliche Aggressorstaat und das mutmaßliche Aggressionsopfer - zustimmen. Das steht hier ganz gewiss nicht zu erwarten.

Und auch ein weiterer moderner Gedanke steht einer schnellen völkerrechtlichen Verurteilung im Weg: Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde aus dem Strafrecht, auch dem deutschen zunehmend die Vorstellung von der Strafe als Rache oder Ausgleich für eine begangene Tat getilgt. Strafe hat heute im Fall von privaten Tätern vor allem das Ziel der Resozialisierung.

Zudem sind die USA bis heute nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs.