Kommt die 2. Welle der Corona-Kritiker?
Am Wochenende soll es eine Hygienedemo XXL in Berlin geben. Antifaschisten fordern Abstand gegen rechts, erwähnen aber den Corona-Notstand mit keinem Wort
In den letzten Wochen war es still geworden um die sogenannten "Hygienedemonstranten", wie sich Menschen nannten, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gingen. Nun könnte man denken, dass die Lockerungen der Corona-Maßnahmen den Protesten den Grund entzogen haben. Doch am Wochenende melden sich die Corona-Kritiker zurück. Aufgerufen wird auch zu einer Großdemonstration in Berlin.
Die teilweise größenwahnsinnigen Zahlen, die vor einigen Wochen von den Organisatoren verbreitet wurden, sind schon nach unten korrigiert worden. Doch immer noch wimmelt es in den Ankündigungen von Phrasen wie "Tag der Freiheit" oder Irrationalismen von der Art, dass am 1. August "das Ende der Pandemie" gefeiert werden soll. Da kann man nur rätseln, was gemeint ist. Die Verbreitung des Corona-Virus ist bekanntlich noch lange nicht gestoppt, eine Pandemie ruft die Weltgesundheitsorganisation nach bestimmten Kriterien aus.
Sie ist im aktuellen Fall noch keinesfalls beendet. Der Aktionstag soll mit einem "Tanz für die Freiheit und die Grundrechte" enden. Man hat den Eindruck, am 1. August soll im bundesweiten Maßstab das in großen Teilen irrationale Bündnis wiederhergestellt werden, das sich ab Mitte April aus den Hygienedemonstrationen entwickelt hat. Auch am 1. August werden diverse Rechte aus unterschiedlichen Spektren teilnehmen. Die NPD hat ebenso ihre Teilnahme angekündigt.
Auch das Magazin Compact ruft dazu auf. Es ist zu erwarten, dass neben den Rechten auch viele Impfgegner und wohl auch manche Menschen in Berlin auf die Straße gehen werden, die aus unterschiedlichen Gründen von den Folgen der Corona-Maßnahmen betroffen sind.
Abstand halten gegen rechts
Daher spricht das Bündnis "Berlin gegen Nazis" auch korrekterweise von "rechtsoffenen Veranstaltungen". Das bedeutet, dass Rechte dort toleriert werden, aber dass es sich eben um keine Demo handelt, an der nur Rechte teilnehmen. Allerdings kann auch nicht von einer "Querfront" geredet werden. Denn dann müssten auch relevante Strömungen der Linken dabei sein.
Das ist aber nicht der Fall. Michael Zantke hat mit guten Argumenten kürzlich in der Wochenzeitung Jungle World vor dem inflationären Gebrauch des Begriffs der Querfront gewarnt. Zantke zitiert diverse bürgerliche Medien, die eine Querfront gegen Corona beschwören. Manche basteln sich eine eigene Verschwörungstheorie, in dem sie noch angebliche chinesische und russische Fake-News heranziehen, die angeblich den Corona-Protesten Schwung geben. Dagegen stellt Zantke richtig fest:
Aus historischer Sicht kann man von Querfront nur sprechen, sofern sich linke und rechtsextreme Gruppen unter einer gemeinsamen strategischen Führung vereinigen. Bei den "Hygienedemonstrationen" ist kein dauerhafter organisatorischer Zusammenschluss abzusehen. Ken Jebsen, Attila Hildmann, Hooligans sowie NPD- und AfD-Mitglieder betätigen sich vor allem nebeneinander.
Michael Zantke, Jungle World
Der Autor weist darauf hin, dass es wichtig ist, sich die Frage zu stellen, warum immer wieder ehemalige Linke in exponierter Stellung einige Jahre später genauso überzeugt rechte Positionen vertreten.
Diese Zusammenhänge theoretisch zu erfassen, wäre eine rühmliche Aufgabe für Politikwissenschaftler und sogenannte Extremismusexperten. Die inflationäre Verwendung des Querfrontbegriffs vernebelt jedoch die Analyse.
Michael Zantke, Jungle World
"Coronaleugner" und "Verschwörungstheorie" - diese Begriffe haben Konjunktur
Bei den Kritikern der rechtsoffenen Hygienedemonstrationen haben zwei Begriffe Konjunktur, die aus dem bürgerlichen Theoriearsenal entnommen wurden: "Verschwörungstheorie" und "Coronaleugner".
So heißt das Motto des Aufrufs einer Berliner Antifagruppe: "Keine Bühne für Verschwörungstheoritiker". Damit wird auf Arbeiten des Philosophen Karl Popper Bezug genommen, der die offene Gesellschaft von linken und rechten Ideologien und von einer conspiracy theory of society bedroht sah.
Aus einer linken Perspektive wäre es besser, eine "Kritik des Irrationalismus" zu leisten. Zudem lautet das Motto einer anderen Protestaktion "Coronaleugner und Faschisten bekämpfen".
Es ist schon bemerkenswert, dass nun auch das Leugnen einer Krankheit Gegenstand für antifaschistisches Handeln sein soll. Tatsächlich sollte doch der Fokus auf dem rechtsoffenen Charakter der Veranstaltungen liegen. Der Begriff "Coronaleugner", der auch in einem Tagesspiegel-Artikel verwendet wird, ist auch deshalb zu hinterfragen, weil er an den Begriff des Holocaustleugners erinnert.
Es hat seine Berechtigung, gegen die Leugnung des weltweit einmaligen Verbrechens der Shoah vorzugehen. Doch gerade diese Einmaligkeit wird infrage gestellt, wenn nun die Leugnung von vielen anderen Dingen politisch sanktioniert werden soll. Es gibt nicht den Begriff des Kapitalismus- oder Patriarchatsleugners. Warum soll also der Begriff des Coronaleugners eingeführt werden?
Wo bleibt der Abstand zu den Staatsapparaten?
Zudem wird in dem Aufruf auch keine Unterscheidung gemacht zwischen linken Kritikern des Corona-Notstands und seiner Folgen und den angeblichen Coronaleugnern.
Diese Trennung wäre aber unbedingt notwendig, damit deutlich wird, dass es wohl nötig und möglich ist, die Corona-Maßnahmen von links zu kritisieren. Gerade in einer Zeit, in der die zweite Corona-Welle von Medien und Staatsapparaten schon herbeigeredet wird, sollte daran erinnert werden, dass wir seit Mitte März die massivsten Eingriffe in Grundrechte seit dem 2. Weltkrieg in Deutschland hatten.
Es ist bedauerlich, dass sie in den antifaschistischen Aufrufen gegen die rechtsoffenen Veranstaltungen der kommenden Tage in Berlin völlig ausgeblendet werden. Es war doch viele Jahre eine gute Praxis einer unabhängigen Antifabewegung nicht nur diverse Rechte und Rassisten, sondern auch die Staatsapparate zu kritisieren.
In dieser Tradition könnte man die absolut notwendige Forderung nach Abstand gegen rechts verbinden mit einer Forderung nach Abstand von den Staatsapparaten, die mit einer Politik der Angst Grundrechte einschränken wollen.
Der Autor hat mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee das Buch Corona und die Demokratie. Eine linke Debatte herausgegeben.