Kommt die "virtuelle APO"?
IT-Kompetenzen zwischen Wirtschafts- und Forschungsministerium abgesteckt
Endlich sind die Kompetenzen zwischen Wirtschafts- und Forschungsministerium abgesteckt - mit ersten Folgen: Die wesentlichen Impulse für die künftige IT-Politik werden nicht mehr aus dem Parlament, sondern von den Bürgern kommen. Konstituiert sich jetzt eine "virtuelle APO"?
Knapp fünf Wochen nach dem Regierungswechsel sind nun die Kompetenzfelder allerortens abgesteckt. Die Minister sind benannt, ebenso die Staatssekretäre. In der ersten Kabinettssitzung bestimmte Bundeskanzler Schröder im sogenannten Organisationserlaß, wer nun welche Aufgaben zu übernehmen hat.
Nachdem Oskar Lafontaine wichtige Kompetenzen aus dem Wirtschaftsministerium abgezogen hatte, bekommt dieses nun einige Bereiche aus dem Forschungsministerium. Vor allem solche Förderprogramme ans Wirtschaftsministerium werden nun abgegeben, die direkt mit der Markteinführung neuer Produkte zu tun haben. Dazu gehört auch die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen in der IT-Branche, nicht jedoch der forschungsnahe Bereich, aus dem beispielsweise die GMD oder das Deutsche Forschungsnetz gefördert werden. Hinzu kommen noch Fördervorhaben aus dem Bereich der angewandten Energieforschung - ein Bonbon für den ehemaligen Veba-Manager Werner Müller, der die Lücke nach Stollmanns Rücktritt bereitwillig füllte.
Kurzfristig liegen damit die Anträge für Fördermittel von rund 1200 mittelständischen Unternehmen auf Eis, bis die neuen Zuständigkeiten im Beamtenapparat verteilt sind. Langfristig wird der schwelende Konflikt zwischen Wirtschafts- und Forschungspolitikern befriedet, der durch die Förderung marktnaher Forschungsvorhaben durch das Forschungsministerium entstanden war.
Spontane Nachverhandlungen
Überraschend wurde in der letzten Woche noch einmal nachverhandelt. Offiziell hieß es, daß man damit nachträglich dem frischerkorenen Wirtschaftsminister Müller noch eine Chance gewähren wollte, inoffiziell war jedoch die Kryptofrage der Stein des Anstoßes: Das Innenministerium hatte die Federführung verlangt - für das Wirtschaftsministerium Anlaß genug, sich nicht weiter gegen das Forschungsministerium ausspielen zu lassen und eine weitere Klärungsrunde einzuläuten - mit Erfolg.
Zwar sieht das Ergebnis auf den ersten Blick wenig spektakulär aus, doch die Folgen sind schon heute abzusehen: Die Rechtsabteilung im Forschungsministerium, die bislang für das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) zuständig war, wechselt mit ihren fünf Mann jetzt auch zum Wirtschaftsministerium. Ebenso ein Mann, der bislang mit rund 50 Millionen Fördermitteln für Pilotprojekte in Sachen "digitaler Signatur" zuständig war. Waren bislang allein an der Frage der "digitalen Signatur" die drei Ressorts Forschung, Wirtschaft und Innen beteiligt, so sind es jetzt nur noch zwei.
Frischer Wind für E-Commerce ?
Mit dem Personalwechsel wittern die Teile der IT-Branche Morgenluft, die ihre ökonomischen Interessen in der Gestaltung des IuKDG bislang vernachlässigt sahen. Im nächsten Jahr kommt das IuKDG wieder auf den Prüfstand - jetzt unter der neuen Ägide des Wirtschaftsministeriums. Es gibt einige Ungereimtheiten, die ein Nachtunen erfordern: Schwierig ist die Zuordnung von Tele- und Mediendiensten. Ein Vertreter der Europäischen Kommission umriß die Problematik mit den "Fragen eines jungen Unternehmers":
"Vielleicht bin ich ein Teledienst, vielleicht bin ich ein Mediendienst, vielleicht bin ich ein Problemfall?"
Die SPD-Bundestagsfraktion empfohl immerhin in einem Sondervotum die Einrichtung eines Bund-Länder Kommunikationsrates, um die Zuständigkeiten zu koordinieren und die bestehende Zersplitterung wenigstens etwas zu mildern. Zudem empfahl sie die Gründung einer "Medienanstalt der Länder" als Ersatz der 15 Landesmedienanstalten, um "Mehrfacharbeit" zu vermeiden. All dies wurde jedoch von Forschungsministerin Bulmahn aus dem Koalitionsvertrag herausgehalten. Sie befürchtete Schwierigkeiten mit den Ländern - jetzt ist sie das Problem los. Den Kommunikationsrat muß jetzt Wirtschaftsminister Müller einberufen.
Zur Klärung stehen vorwiegend anwendungsbezogene Fragen an, die im Wirtschaftsministerium vermutlich mehr Gehör finden werden: In Diskussion sind der spätestens seit dem Somm-Urteil umstrittene Paragraph 5 des Teledienstegesetzes zur Inhalteverantwortlichkeit der Provider. Zudem muß eine Lösung gefunden werden für die mangelhafte Umsetzung datenschutzrechtlicher Grundsätze wie die elektronische Einwilligung in die Weitergabe personenbezogener Daten oder der Datenminimierung. Ungeklärt auch die Haftung bei Verwendung digitaler Signaturen oder die Verantwortlichkeit für Angebote bei automatischen Speicherverfahren.
Parlamentarier im Beiboot
Im Bundestag ist konsequenterweise jetzt der Wirtschaftsausschuß für alle Fragen des "Multimediarechts" zuständig. Nur findet sich in den Regierungsparteien kein einziger Parlamentarier mehr, der zuvor bei den Beratungen des Gesetzes involviert war. Der Internetexperte der SPD, Jörg Tauss, sitzt im Forschungsausschuß. Mit dem Zuständigkeitswechsel verliert er seine angestammte Rolle als Berichterstatter für das IuKDG. Unklar ist jetzt, wer künftig das von ihm und der SPD-Abgeordneten Ute Vogt erarbeitete Eckwertepapier der SPD-Bundestagsfraktion für ein "Modernes Datenschutzrecht für die Wissens- und Informationsgesellschaft" vertreten wird. Tauss' alter Ego Sigmar Mosdorf ist zwar noch Bundestagsabgeordneter, doch als Staatssekretär nicht mehr im Parlament.
Auf Seiten der Bündnisgrünen besteht schon seit längerem ein IT-politisches Vakuum: Der ehemalige forschungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Manuel Kiper, ist nicht mehr im Bundestag vertreten. Er war auf der niedersächsischen Landesliste nach hinten gerutscht, nachdem Jürgen Trittin ministrale Ambitionen angemeldet hatte. In den Bundestag hätte er es nur mit 8,5 Prozent geschafft - die Bündnisgrünen erreichten bekanntermassen weniger. Bis jetzt konnte die Partei keinen Nachfolger benennen. Bei den neuen Oppositionsparteien ist ebenfalls noch alles unklar. Zudem hatte sich in den vergangenen Jahren kein Abgeordneter der damaligen Regierungsparteien in Sachen IT-Politik eindeutig profiliert. Eine erste Orientierung ist erst zu erwarten, wenn in einigen Wochen die Ausschüsse bis zum letzten Mann und zur letzten Frau besetzt und die Vorsitzenden bestimmt sind.
Virtuelle APO
Die Rechtsmaterie des IuKDG ist komplex - nicht zuletzt, da sie auf einem umfangreichen technischen Allgemeinwissen fussen muss. Unwahrscheinlich, dass den Abgeordneten einige Wochen Einarbeitungszeit genügen werden. Verbände und andere Interessensgemeinschaften werden ebenfalls eine gewisse Orientierungszeit benötigen. Schon jetzt erwarten Bonner Insider die nötigen Impulse für die künftige Internetpolitik nur noch von einer "virtuellen APO". Diese muss sich jedoch erst konstituieren. Einen ersten Anlauf unternahmen vor wenigen Tagen ausgerechnet die Datenschützer, die mit "10 Thesen" einen radikalen Politikwechsel forderten: Verankerung eines Grundrechts auf Datenschutz im Grundgesetz, Abbau der ausgeweiteten Überwachungsbefugnisse, Absage an eine Kryptoregulierung, Ja zu einem Informationszugangsrecht.