Kommt eine Rezession in den USA?

Nach 20 Jahren ununterbrochenem Wachstums des Fremdkapitalanteils könnte nun das "Deleveraging’ begonnen haben

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Nachdem der Fremdkapitalanteil bei Investmentunternehmen wie Konsumenten seit 20 Jahren nur steigt, könnte nun ein Wendpunkt erreicht sein. So wurde von den Geldmanagern während der jüngsten Aktienturbulenzen kaum frisches Geld in "sichere Häfen" umgeschichtet, sondern es wurden Fremdfinanzierungen getilgt. Am US-Hypothekenmarkt erfolgt die Entschuldung hingegen zwangsweise.

Es bedufte nicht mehr als einer kleinen positiven Überraschung am US-Immobilienmarkt und leicht fallender Ölpreise, um zu bewirken, dass die Indizes an der Wall Street am letzten Dienstag auf den höchsten Stand seit fünf Wochen kletterten. Wie an den meisten anderen Märkten sind damit die Verluste von Ende Februar, als die Aktienkurse ausgehend von China weltweit eingebrochen waren ("Goldilocks Economy" in Gefahr?), weitgehend aufgeholt.

Während die Experten in den Wall Street Banken intensiv darüber rätseln, wie es nun mit Börse und Wirtschaft weitergehen kann, waren sie schon lange nicht mehr so weit von einem Konsens entfernt wie dieser Tage. So sieht etwa der stets skeptische Steven Roach von Morgan Stanley seine düsteren Ahnungen nun endlich bestätigt. Er erwartet ein Übergreifen der Probleme mit Hypotheken schlechter Qualität auf andere Segmente und sieht den US-Konsum in Gefahr. Hingegen erwartet der Chef-Investmentstratege von Merrill Lynch, Richard Bernstein, noch für dieses Jahr einen neuen Kursrekord des US-Aktienindex S&P 500. Unentschieden scheint der Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Jan Hatzius, zu sein, der zwar viele Gründe sieht, warum die USA bald in eine Rezession abrutschen könnten, doch wettet er darauf, dass die USA dem nochmals entgehen könnten. Denn die aktuelle Immobilien/Hypothekenkrise sei zwar von der Dimension her mit der New Economy-Krise von Anfang 2000 vergleichbar, nur würde sie viel langsamer verlaufen und könnte von der FED daher viel leichter beherrscht werden. Außerdem setzt er auf die starke Weltkonjunktur.

Immerhin lassen sich mittlerweile einige Hinweise über das finden, was sich an den globalen Finanzmärkten eigentlich ereignet hat. Es scheint, als häuften sich die Anzeichen einer fast schon epochalen Trendwende in Richtung eines weltweiten "Deleveraging", eines Abbaus der enorm hohen Fremdfinanzierungen, die durch die weltweit so üppige Liquidität ermöglicht wurde. Immerhin werden die Finanzmärkte seit bald 20 Jahren (mehr noch als die Realwirtschaft) von stetig steigenden Fremdkapitalanteilen ("Leverage") beherrscht. Ob Hedge Fonds, Private Equity oder Immobilienentwickler, alle arbeiten mit Fremdkapital, das weniger kosten soll, als die damit finanzierten Investitionen verdienen. Dank der jahrelang sehr freigiebigen Notenbanken und den hohen Ersparnissen wichtiger Exportländer war das Kreditangebot so groß, dass der Wettbewerb unter den Kreditgebern den Kreditnehmern weltweit zu Top-Konditionen verhalf. Institutionelle Finanzinvestoren erhöhten mit geliehenem Geld ihre Eigenkapitalrendite und die dadurch finanzierte Nachfrage nach riskanten und höher verzinsten Finanzanlagen ließ deren Preise in die Höhe schnellen.

Nun lassen aber die eher geringfügig ausgefallenen Preisanstiege bei Finanzanlagen, die in turbulenten Börsezeiten für gewöhnlich als "sichere Häfen" genutzt werden, darauf schließen, dass während der jüngsten Kurseinbrüche weniger Geld etwa in Gold und erstklassige Staatsanleihen umgeschichtet wurde als bislang üblich, was Skeptiker nun von einem globalen "Deleveraging" sprechen lässt. So konnten zehnjährige Staatsanleihen aus dem Euroraum oder der USA kaum zehn Basispunkte (0,1 Prozent) an Kursgewinnen verbuchen, und der Goldpreis war Anfang März sogar stark eingebrochen. Das könnte bedeuten, dass die Cash-Einnahmen aus dem Abbau der Positionen vor allem zur Tilgung von Krediten verwendet wurden und durch das "unwinding" (rückgängig machen) von Carry-trades also tatsächlich einiges an "Leverage" abgebaut wurde.

Nun sind solche Schwankungen in der Fremdkapitalnutzung nicht neu und waren erst im Mai letzten Jahres in beträchtlichem Ausmaß zu beobachten. Jedoch erfolgt derzeit gleichzeitig Ähnliches am US-Immobilienmarkt. Auch dort war der Fremdkapitalanteil in den letzten Jahren massiv angestiegen, jetzt scheinen die gravierenden Probleme des schlechtesten Kreditsegments ("Subprime") aber gerade auf die etwas besseren Kredite des so genannten "Alt-A"-Segments überzugreifen (Am amerikanischen Subprime-Hypothekenmarkt droht ein Desaster). Damit müssten weitere Millionen an Zwangsversteigerungen einhergehen, wo doch allein das "Subprime"-Segment für 2,4 Millionen verlorene Eigenheime verantwortlich sein könnte, wie Mike Calhoun, Präsident des Center for Responsible Lending, vergangene Woche im Kongress erklärte. Anderseits werden die Immobilieneigentümer dadurch nicht nur von ihren Immobilien, sondern (mit etwas Glück) auch von ihren Schulden befreit, was auf ein "Deleveraging" hinaus läuft. Das könnte durchaus von globaler Bedeutung sein, bedankt man, dass die USA nach wie vor der Hauptabnehmer der weltweiten Exportüberschüsse sind.

Während aber im Finanzbereich noch lange nicht klar ist, ob nicht doch bald wieder neue "Leverage"-Rekorde erzielt werden – und die rasche Kurserholung an bevorzugten Carry-trade-Destinationen wie den Börsen der Emerging Markets sprechen eher dafür, - ist dies im Bereich der US-Eigenheimfinanzierung wohl auszuschließen. Es herrschen nicht nur seit kurzem wieder deutlich strengere Kredit-Vergaberichtlinien, wie die FED zuletzt feststellte, es kommen auch die Hypothekenbanken selbst nur noch schwer an Finanzierungen. Denn typischerweise verkaufen diese Hypothekarbanken ihre neu generierten Hypotheken sofort gebündelt an Investmentbanken weiter. Andernfalls versiegt der Geldfluss und es können auch keine Hypotheken mehr ausgereicht werden.

Als Käufer sind vor allem große internationale Geldhäuser wie HSBC, Goldman Sachs, Morgan Stanley, Citigroup, Deutsche Bank und Merrill Lynch im Markt, die nun aber zunehmend nervös werden. Dazu kommt, dass diese Hypotheken-Bündel zumeist zurückgenommen werden müssen, sollten die zugrunde liegenden Kredite schlechter als vereinbart bedient werden. Insbesondere diejenigen Hypothekenbanken, die entweder besonders lockere Kreditvergaben vorgenommen oder in ihren Bilanzen nicht ausreichende für etwaige Rücknahmen vorgesorgt haben, sind plötzlich von der an den globalen Finanzmärkten nach wie vor so üppig vorhandenen "Liquidität" abgeschnitten und haben Probleme, die hohen Rückforderungen zu finanzieren. So hat sich mit New Century Anfang der Woche der zweitgrößte Subprime-Lender (mit 225 Mrd. USD an Ausleihungen) in die Insolvenz geflüchtet, der schon im Februar erst im letzten Moment eine fällige fast 700 Mio. USD-Rückzahlung an die Citi Group finanzieren konnte.

Die US-Konsumenten, auf deren ungebrochene Spendierfreudigkeit Notenbank-Chef Bernanke zuletzt seine Hoffnung auf moderates Wachstum stützte, scheinen sich inzwischen aber doch ein wenig eingebremst zu haben, nachdem im Februar die US-Konsumausgaben ebenso wie die Einkommen noch um forsche 0,6 Prozent zugelegt hatten. Deutlich zurückgegangen ist zuletzt jedoch der Aktivitäts-Index für den Servicebereich des Institute for Supply Management, der von 54.3 im Februar letzten Monat auf 52,4 zurückgefallen ist, den niedrigsten Stand seit 4 1/2 Jahren. Immerhin hatten private Arbeitgeber im März noch 106.000 Jobs geschaffen, trotz schwächerer Auftragseingänge auch der Industrie. Obwohl sich zudem die Unternehmensgewinne noch auf höchstem Niveau befinden, gingen ihre Investitionen im letzten Quartal 2006 zurück und sollen laut Bloomberg-Analystin Caroline Baum im ersten Quartal 2007 noch stärker zurückgegangen sein. Statt in die eigenen Geschäfte zu investieren, hätten die US-Unternehmen zuletzt lieber massiv eigene Aktien zurückgekauft, Baum zufolge 2006 immerhin um 547,6 Milliarden USD - was insgesamt recht wenig Hoffnung auf das Ausbleiben einer US-Rezession macht.

Fraglich ist auch, ob die Notenbank im Ernstfall tatsächlich so rasch, wie an den Märkten erhofft, zu Hilfe eilt. Denn während Ex-FED-Chef Alan Greenspan wohl kaum Hemmungen gehabt hätte, den Märkten Unterstützung zu geben, ist sein Nachfolger noch damit beschäftigt, sich einen Ruf als ernsthafter Inflationsbekämpfer zu schaffen. Aber wie die OECD am Mittwoch bekannt gab, hat die Inflation im gesamten OECD-Raum zuletzt wieder deutlich angezogen, wobei die 2,4 Prozent Anstieg im Januar-Jahresvergleich der USA unter den großen Industriestaaten nur von Großbritannien (+2,8%) übertroffen wurden.