Kommt nach dem IS der "schiitische Halbmond"?
Seite 3: "Iran muss Syrien verlassen oder Israel wird handeln"
- Kommt nach dem IS der "schiitische Halbmond"?
- Schreckensvision für sunnitisch-konservative Monarchien am Persischen Golf
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Das Südsyrienabkommen bzw. der Waffenstillstand in Syrien, ausgehandelt vom US-Präsidenten Donald Trump und Wladimir Putin beim G20-Gipfel in Hamburg, stößt in Jerusalem auf harten Widerstand. Laut dem Abkommen gibt es hauptsächlich drei Deeskalationszonen, die größere im Westen Syriens unter russischer Kontrolle, im Südwesten unter US-Kontrolle und die von der Türkei und Amerika gesicherte Nordwestzone im Kurdengebiet.
Die russische Kontrollzone grenzt an das Mittelmeer und verläuft genau auf der vom Iran angestrebten Mittelmeerroute durch den Irak und Syrien. Obschon zwischen den Iranern und der israelischen Grenze durch die Zonen ein Korridor von etwa 20 Kilometer besteht, traut Jerusalem Moskau nicht über dem Weg und befürchtet, dass Moskaus gute Beziehung zu Teheran dazu führt, dass iranische Revolutionswächter und die Hisbollah sich entlang der jordanischen Grenze breit machen und sich den israelischen Grenzen nähern. Assads Armee kontrolliert seit kurzem Tanf, das Grenzgebiet zum Irak und auf der anderen Seite der Grenze auf irakischem Gebiet hat die schiitische Hashad Hashd Al-Shaabi die Fläche erobert. So kommt der Iran seinem Traum - der Errichtung eines Landkorridors bis zum Mittelmeer - ein Stück näher.
Die Islamische Republik würde somit zum ersten Mal in ihrer Geschichte über eine direkte Landverbindung zu ihren Verbündeten in Syrien und im Libanon verfügen, die sich über den Irak bis an die Küste des Mittelmeeres (syrische Hafenstadt Latakia) erstreckt. Irans Revolutionswächter und Streitkräfte sowie die schiitischen Milizen könnten sich fortan zum Transport von Waffen und zu logistischen Zwecken frei zwischen dem Iran, Irak, Syrien und dem Libanon bewegen, ein Albtraum im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen Israels. Israels nördliche Grenzen, besonders die Golanhöhen, wären in Gefahr.
Die Sorge um Irans Schielen auf Israel ist nicht unbegründet. Im Januar 2015 griff die israelische Luftwaffe einen Hisbollah-Fahrzeugkonvoi an der libanesisch-israelischen Grenze nahe Golanhöhen an und tötete sechs Hisbollah-Kämpfer und sechs iranische Militärs. Unter den Iranern befand sich auch ein Angehöriger der Elitetruppe, der Brigadegeneral Mohammad Ali Allahdadi. Was Top-Militärs des Iran tausende Kilometer entfernt von den eigenen Grenzen und dicht an Israel wollen, lässt alle Befürchtungen in Richtung der These "Arbeiten an der Vernichtung Israels" als plausibel und nicht als Agitation seitens Israels erscheinen. Israels Premierminister Netanjahu ist besonders besorgt darüber, dass im Abkommen kein Wort über iranische Truppen und die Hisbollah zu sehen ist und dass es überhaupt nicht sicher ist, dass diese aus den Deeskalationsgebieten abziehen würden. Netanjahu fängt auch an, Zweifel an Trumps anfangs lautstark verlautbarter Entschlossenheit gegenüber dem Iran zu hegen.
Russische Truppen bzw. Polizisten sichern weite Teile der Deeskalationszonen. Israels Premier hätte lieber die US-Einheiten dort stationiert gesehen. Er ließ keine Zweifel daran: "Iran muss Syrien verlassen oder Israel wird handeln." Iran denkt nicht dran, sich aus Syrien zurückzuziehen. Jeder Mensch, der sich mit der Region auskennt weiß, dass Israel "handeln" wird, wenn es seine Existenz in Gefahr sieht. Das würde Jerusalem auch ohne die USA tun und im Endeffekt viele, inklusive die USA, mit in den Krieg ziehen. Iran provoziert fast täglich mit Rhetorik und die Israelis beschuldigen die Mullahs, in Syrien und Libanon Militärbasen sowie Raketenfabrik bauen zu wollen. In diese Richtung haben sich bereits die iranischen Offiziellen geäußert. Der Premier hat auch mit Bombardierung von Assads Amtssitzt gedroht. Putins Antwort zu Netanjahu erschreckt: "Viel Glück"!
Daesh (IS) und der Schaden, den er angerichtet hat, wären kleinkariert gegen einen Waffengang zwischen Iran und Israel, sollten die Beteiligten, allen voran die USA und Russland, keine Besonnenheit und Vernunft walten lassen. Der Überraschungseffekt des Nahen Ostens hat Tradition. Wer hat vor vier Jahren mit hässlichen brutalen Kreaturen wie dem IS, der mächtigsten Miliz aller Zeiten, gerechnet. Wenn es um den Nahen Osten geht, ist die einzige Überraschung, wenn es keine Überraschungen gibt.