Kommunismus = Internet + Räte
Einige Anmerkungen zu der in China aufkommenden Diskussion über die Aussichten einer Hightech-Planwirtschaft
Angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten scheinen radikale Gesellschaftskritik und das Streben nach gesellschaftlichen Alternativen immer stärker in die Defensive zu geraten - gerade innerhalb der Linken ("Aus Angst vor der AfD die Gesellschaftskritik aufgeben?"). Mögen sich nun Teile der politischen Linken von der Diskussion alternativer Gesellschaftsentwürfe verabschieden und die bloße Idee der Emanzipation aufgeben - es gibt andere relevante Akteure, die diese wichtige Aufgabe übernehmen. Etwa die Financial Times (FT), die somit, neben dem Papst etwa die Linkspartei inzwischen mühelos links überholt.
Jüngst haben die Genossen von der FT einen längeren Bericht publiziert ("The Big Data revolution can revive the planned economy"), der die Möglichkeiten der Einführung einer Hightech-Planwirtschaft eruiert. Insbesondere in der Volksrepublik China würden demnach Wege gesucht, um die im Verlauf der IT-Revolution entstandenen "Ozeane an Informationen" anzuzapfen, mit deren eine modernisierte Form der zentralen Planwirtschaft "wiederbelebt" werden könnte.
Die von der FT aufgegriffene Argumentationslinie, die eine zentrale Steuerung der Wirtschaft im 21. Jahrhundert propagiert, geht davon aus, dass die zentrale Planung und Leitung der Wirtschaft in der Sowjetunion letztendlich an einem Mangel adäquater Datenverarbeitung scheiterte. Dezentralisierte Datenverarbeitung sei effizienter als zentralisierte Datenverarbeitung, so die Financial Times in Anlehnung an den israelischen Historiker Yuval Noah Harari: "Wie konnte ein Planer, der in dem Gosplan-Büro in Moskau sitzt, darauf hoffen, all die sich bewegenden Teile der sowjetischen Ökonomie zu verstehen, die sich über elf Zeitzonen erstreckte?"
Doch die "Explosion von Daten" im Spätkapitalismus könnte - zumindest in der Theorie - dazu beitragen, dass die "Informationsungleichgewichte" zwischen der Markt- und der Planwirtschaft nivelliert würden und Managemententscheidungen auf einer besseren Informationsgrundlage fielen, so die FT. Die Planer einer Zentralen Planwirtschaft würden sich demnach "sehr schnell die Werkzeuge zu eigen machen, um Daten effektiv zu verarbeiten".
Echtzeitökonomie im Computerkommunismus
Der Mann, der den Wind der Veränderung spürt, sollte keinen Windschutz, sondern eine Windmühle bauen.
Worte des Vorsitzenden Mao
Der Kapitalismus stellt eine archaische, auf irrationaler Ressourcenverschwendung basierende Gesellschaftsformation dar. Immer noch bildet die Lohnarbeit die Substanz des Kapitals, wie schon vor 300 Jahren bei der brutalen gesamtgesellschaftlichen Durchsetzung des Kapitalismus. Angesichts des inzwischen erreichten hohen Grades an Automatisierung stellt gerade die Verdrängung der Lohnarbeit aus der Warenproduktion die Ursache des gegenwärtigen Krisenprozesses - die Menschheit wird sukzessive ökonomisch überflüssig (siehe Flüchtlingskrise).
Überdies produzieren Kapitalisten ihre Waren letztendlich ohne feste Abnahmegarantie - in der bloßen Vermutung, diese auf dem Markt losschlagen zu können. Bei Überproduktionskrisen werden entsprechende Berge an unverkäuflichen Waren akkumuliert, die dann irgendwie entsorgt werden müssen, weil der in ihnen enthaltene Wert nicht mehr auf den Markt realisiert werden kann. Zudem geht es bei der ganzen Veranstaltung nicht etwa darum, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um die uferlose Erzielung möglichst hoher Profite, um die möglichst hohe Verwertung des in die Warenproduktion investierten Kapitals, des Werts. Dies hat die bekannten Tendenzen zur geplanten Obsoleszenz zufolge: Waren sollen möglichst schnell "veralten", um wieder Nachfrage zu schaffen. Je produktiver das Kapital die Warenproduktion gestaltet, desto verschwenderischer geht es mit den Ressourcen um, was angesichts der Klimakrise verhängnisvoll ist.
Gegenüber all diesem - von der Öffentlichkeit längst dumpf als "Normalität" hingenommenen - Absurditäten kapitalistischer Warenproduktion deutet die Financial Times zumindest das ungeheure soziale Potential an, das den neuen IT-Technologien samt ihren permanent anschwellenden Datenflüssen innewohnt:
Alle unsere vernetzten Geräte pumpen in Echtzeit Datenozeane über unsere ökonomischen Aktivitäten, unsere Nachfrage und unsere Wünsche heraus. Vernünftig ausgewertet, könnten diese Daten den Preismechanismus als einen Indikator für Angebot und Nachfrage imitieren.
FT
Es ließe sich nur noch fragen, wozu wir einen Preismechanismus bräuchten, wenn Angebot und Nachfrage in Echtzeit ermittelt würden. Bei vielen Gütern des täglichen Bedarfs, wie Lebensmitteln oder Kleidung, spielt ja nur die Lokalisierung der Nachfrage eine Rolle, da diese im Überfluss vorhanden sind (50 Prozent der Lebensmittel in der EU landen im ach so effizienten Kapitalismus schlicht auf dem Müll).
Letztendlich zeichnet sich hier das Potential einer kommunistischen Echtzeit-Ökonomie ab, in der der Bedarf an Gütern sofort lokalisiert und befriedigt werden kann. Das immer dichtere Netz an internetgebundenen Geräten ermöglicht den Aufbau nahtloser Produktionsketten, die ohne die blindwütige "unsichtbare Hand" des Marktes auskommen würden: vom Feld über die Produktion und die Distribution bis zum Kühlschrank.
Es zeichnet sich ein neues Paradigma ab: Produktion zwecks Bedürfnisbefriedigung - und nicht um der uferlosen Kapitalverwertung willen, bei dem Bedürfnisse nur ein Mittel zum irrationalen Selbstzweck der Akkumulation von Geldwerten sind. Die Rechenkapazitäten, um das System in Echtzeit zu betreiben, sind schon längst gegeben. Es ist nur noch die kapitalistische Produktionsweise, die diese ihrem Schoss herangereiften Produktivkräfte fesselt, an ihrer freien Entfaltung hindert.
Chinesische Transformationsansätze
Es ist notwendig, den Widerspruch zwischen Produktion und Bedarf der Gesellschaft durch staatliche Pläne zu regulieren.
Mao Tse-tung
Insbesondere in China, das weiterhin "mit kommunistischer Ideologie verheiratet" sei, nehme derzeit die Diskussion über neue Formen der Planwirtschaft Fahrt auf, berichtete die Financial Times. Informationstechnologien ermöglichten inzwischen die Sammlung und effiziente Verarbeitung von Daten in zuvor unvorstellbarem Ausmaß, erläuterte jüngst auf einer Wirtschaftskonferenz Jack Ma, Gründer der chinesischen Onlineplattform Alibaba mit ihren 500 Millionen Nutzern. Techniken, die von den Konzernen des "Big-Data" hervorgebracht wurden, seien bereits jetzt imstande, den Markt "smarter" zu machen. Sie könnten aber laut Genosse Jack Ma auch dazu verwendet werden, "Marktkräfte vorherzusagen" oder "endlich eine Planwirtschaft zu errichten".
Die chinesischen Ökonomen Binbin Wang und Xiaoyan Li seien laut FT in einer vielbeachteten Studie noch weiter gegangen - indem sie konkrete Ansätze für ein ökonomisches Transformationsmodell ausarbeiteten, bei dem marktwirtschaftliche und planwirtschaftliche Elemente verknüpft wurden. Der freie Datenfluss könnte demnach viele der Nachteile ausgleichen, die bislang Planwirtschaften aufwiesen, wie Machtkonzentration, irrationale Entscheidungen oder Korruption. Die Planungsinstanzen könnten aufgrund der schieren Masse spezifischer Informationen auch stark personalisierte Angebote erstellen.
Die Autoren sehen in den gegenwärtigen spätkapitalistischen Onlineplattformen bereits Vorformen zentraler Planungsinstitutionen. Es wäre "legitim und rational", diese monopolartigen Onlineplattformen, die bereits den Informationsfluss kontrollierten, in staatliche "Super-Monopole" zu transformieren, argumentierten Binbin Wang und Xiaoyan Li.
Die Autoren zögen laut FT bei dieser Übergangsform Parallelen zu einem staatlichen "Flughafen, der den marktgetriebenen Verkehr lenkt". Diese staatlichen Planungsinstanzen würden Standards setzen, Nachfrage, Sicherheit, Ökologie und Warenverkehr ausbalancieren und die Interessen der Konsumenten und Produzenten in Übereinstimmung bringen.
Probleme der Planwirtschaft im 21. Jahrhundert
Das Dogma ist weniger wert als ein Kuhfladen.
Mao Tse-tung
Es bestehe kein Zweifel daran, dass "Big Data" sowohl die Effizienz als auch die Managementsysteme verbessern werde - im öffentlichen wie im privaten Sektor, schlussfolgerte die Financial Times. Indes verwies die FT aller Euphorie zum Trotz auf eine Reihe von Problemen, mit denen sich die Planwirtschaft des 21. Jahrhunderts konfrontiert sehe. Zum einen sei es das alte Problem der Innovationsmüdigkeit zentral gelenkter Wirtschaftssysteme. Es sei nun mal sehr schwer für Konsumenten, den staatlichen Zentralplanern Nachfrage nach einem Produkt zu signalisieren, dass es noch nicht gäbe, sodass die Planwirtschaft in "die Zukunft fahren würde, indem sie in den Rückspiegel schaut". Die Financial Times zitierte in diesem Zusammenhang Steve Jobs: "Konsumenten wissen nicht, was sie wollen, bis wir es ihnen zeigen."
Hinzu kämen noch berechtigte Fragen nach dem sinnvollen Einsatz sensibler Daten durch staatliche Institutionen, monierte die FT. Dies ist ein sehr zurückhaltende Umschreibung für die nur zu berechtigte Sorge, dass die "Ozeane" von Daten, die von staatlichen Planungsinstitutionen akkumuliert und ausgewertet würden, sehr leicht machtpolitisch missbraucht werden könnten. Insbesondere autoritäre Regimes könnten die neuen Techniken zur lückenlosen Bevölkerungskontrolle verwenden, neben der selbst die Dystopie eines Buches wie 1984 verblassen würde.
Die staatlichen Organe hätten die totale Kontrolle nahezu aller Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion inne, die Vermischung von ökonomischer und politischer Kontrolle ist hierbei vorprogrammiert. Dies geben auch die Autoren der chinesischen Studie freimütig zu, indem sie klar machen, dass die Überwachung der Teilnehmer dieser Planwirtschaft eine "Notwendigkeit" darstellen würde. Hier bestehen klare Differenzen zu westlichen Vorstellungen einer modernen Planwirtschaft, die von der Anonymisierung der Daten ausgeht.
Es stellt sich eigentlich sofort die Frage, wieso bei der Diskussion postkapitalistischer Wirtschaftssysteme die Rolle des Staates von den chinesischen Genossen nicht hinterfragt wird. Wieso halten diese am Dogma des Staates bzw. der staatlichen Planung fest, als ob es keine Alternative gäbe? Der Staat ist schließlich ebenso wie der Markt ein Produkt des Kapitalismus, der in seiner Eigenschaft als "ideeller Gesamtkapitalist" die instabile "Marktwirtschaft" vor ihren autodestruktiven Tendenzen abschirmen muss (etwa Monopolgesetzgebung, organisierte Kriminalität, Justizwesen, Infrastruktur, etc.).
Die Antwort hierauf ist eigentlich klar: Binbin Wang und Xiaoyan Li hinterfragen den Staat nicht, weil sie Teil einer staatlichen Hierarchie sind, die aufrecht zu erhalten selbstverständlich scheint. Die politische kapitalistische Machtstruktur soll bewahrt werden, auch wenn deren ökonomische Basis transformiert werden soll. Es ist somit letztendlich Ideologie, die Märkte überwinden, aber den vom Kapital geformten Staat beibehalten zu wollen. Es ist auch schlicht ineffektiv, an dem Dogma der zentralen staatlichen Planung festzuhalten, wenn - wie es Yuval Noah Harari konstatierte - die dezentrale Datenverarbeitung sehr viel effizienter ist als die zentrale Datenverarbeitung.
Sinnvoller wäre eine netzwerkartige, globale und egalitäre Koordinationsstruktur regionaler oder lokaler Planung, die nur dann globale Planungsstrukturen ausbilden würde, wo sie auch notwendig wären: bei der Allokation von knappen Ressourcen, bei der Bekämpfung weltweiter Probleme (Klimakrise), bei globalen Projekten (Weltraumkommunismus). Die gegenwärtige globale Produktionsstruktur, bei der Waren über den halben Globus verschifft werden, ist selbstverständlich unsinnig. Sie kann sich nur deswegen "rentieren", weil das Kapital deren Kosten (Umweltkosten, Infrastrukturkosten) externalisiert.
An die Stelle der Lohnarbeit tritt die kollektive Diskussion über die Gestaltung des weitestgehend automatisierten Produktionsprozesses
Die Vorbedingung einer postkapitalistischen Gesellschaft besteht darin, die Produktion nicht mehr marktvermittelt zum Selbstzweck der Verwertung von Wert ablaufen zu lassen, sondern zwecks der direkten Bedürfnisbefriedigung bewusst zu organisieren. Sobald die marktvermittelte, destruktive Eigendynamik des Kapitals überwunden wird, ist auch die Rolle des Staates als ideeller Gesamtkapitalist hinfällig. An seine Stelle tritt der Prozess einer bewussten, egalitären Verständigung der Gesellschaftsmitglieder über Form und Inhalt der gesellschaftlichen Reproduktion. In einem gesamtgesellschaftlichen - gerne über das Internet organisierten - Diskurs würden die Menschen sich über das verständigen, was produziert wird und wie es produziert wird. Das Internet, das derzeit nur als Marktplatz von Wahnideen und Bühne für Eitelkeiten dient, wäre endlich zu etwas Vernünftigem gut.
Die Tätigkeitsform der Gesellschaftsmitglieder würde sich im Postkapitalismus radikal wandeln: Die Lohnarbeit würde absterben, während die kollektive Diskussion über Ausgestaltung und das Organisieren des weitestgehend automatisierten Produktionsprozesses mehr Zeit in Anspruch nähmen. Dies wäre eine bewusste - durchaus nicht spannungsfreie - Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion, die im Gegensatz zum Fetischismus einer entfesselten, destruktiven Kapitaldynamik stünde. Dies wäre der Ausgang aus der "Vorgeschichte der Menschheit" (Marx).
An die Stelle des staatlichen Plans tritt somit die gesamtgesellschaftliche Verständigung über den Reproduktionsprozess der Gesellschaft, ein Netzwerk von Räten, in permanenten Datenaustausch bezüglich des Wie und des Was der Produktion, Distribution und Konsumption. Eine bewusste gesamtgesellschaftliche Verständigung, ein globaler egalitärer Diskurs über die Reproduktion der Weltgesellschaft würde nicht nur die Problematik der "staatlichen Überwachung" überwinden, auch das Innovationsproblem wäre gelöst. Niemand müsste den Menschen mehr sagen, "was sie wollen", um auf das Zitat des Apple-Mitbegründers zurückzukommen. Die wissenschaftlichen Innovationen würden einfach Eingang finden im besagten gesamtgesellschaftlichen Diskurs, in dessen Verlauf deren "ökonomische" Anwendung sich herausschälen würde.
Somit würden auch die Gebrauchswerte von den Absurditäten des Werts befreit, der derzeit noch die Waren kontaminiert - und etwa PS-schwere, als Schwanzverlängerung dienende Autos produziert, die einem Batman-Film entsprungen zu sein scheinen (Kultur der Panik).
Um auf das Beispiel Apple zurückzukommen: Es ist unsinnig, Smartphones und Notebooks zu bauen, die praktisch irreparabel sind und bei denen man nicht einmal die Batterie selber auswechseln kann. Ein modulares Design bei Hightech-Produkten, bei dem man ressourcensparend einzelne Komponenten auswechseln könnte (CPU, GPU, Bildschirm, RAM, SSD, Gehäuse, etc.) wäre selbstverständlich sinnvoll - wenn die Produktion nicht mehr um der Kapitalakkumulation willen organisiert wäre.
Die technischen Möglichkeiten, den Computer- oder Internetkommunismus zu realisieren, sind längst gegeben. Es gilt nur noch, die fesselnden kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu überwinden, in deren Schoss diese Produktivkräfte heranreiften. Darauf gilt es gerade im deutschen Dunkelwald zu beharren, wo gerade rechter Wahn und Stumpfsinn triumphieren. Oder, wie schon der Vorsitzende Mao sagte: "Wie die Geschichte der Menschheit zeigt, führten stets die hart vor ihrem Untergang stehenden reaktionären Kräfte einen letzten Verzweiflungskampf gegen die revolutionären Kräfte."